Rinder im Stall: Rindfleisch aus Deutschland ist in Russland bald nicht mehr zu haben Foto: dpa

Mit interaktiver Grafik - Die Sanktionsspirale beginnt sich zu drehen. Auf das Exportverbot von EU und USA für Hochtechnologie antwortet Russland mit Sanktionen auf Landwirtschaftsprodukte. Was sind die Folgen für die Bauern und die Konsumenten? Hier die wichtigsten Fragen und Antworten.

Stuttgart - Die Sanktionsspirale beginnt sich zu drehen. Auf das Exportverbot von EU und USA für Hochtechnologie antwortet Russland mit Sanktionen auf Landwirtschaftsprodukte. Was sind die Folgen für die Bauern und die Konsumenten? Hier die wichtigsten Fragen und Antworten.
 
Wie stellt sich die Lage dar?
Ab sofort dürfen landwirtschaftliche Produkte wie Obst, Gemüse, Fleisch, Fisch sowie Milch und Molkereiprodukte aus den USA und der EU nicht mehr nach Russland eingeführt werden – damit fehlt dem Land etwa ein Zehntel seiner Agrarimporte. Diese Güter stehen auf einer Boykottliste, die unserer Zeitung vorliegt. Auch aus Kanada, Norwegen und Australien dürften bestimmte Lebensmittel nicht mehr eingeführt werden, sagte Ministerpräsident Dmitri Medwedew in Moskau. Das Verbot ist eine Reaktion auf die Wirtschaftssanktionen des Westens gegen Russland von vergangener Woche und gilt zunächst für ein Jahr.
Wie wichtig ist Russland für die deutsche Landwirtschaft?
Nach Angaben des Bundeslandwirtschaftsministeriums betrug das Exportvolumen Deutschlands bei landwirtschaftlichen Gütern im Jahr 2013 rund 1,6 Milliarden Euro. Damit war Russland nach der Schweiz der zweitwichtigste Nicht-EU-Exportmarkt – wichtiger noch als die USA. Allerdings gärt es in den bilateralen Handelsbeziehungen schon des Längeren. Seit Monaten bestehen für bestimmte Fleischsorten Importverbote. Der deutsche Fleischexport sank 2013 im Vergleich 2012 von knapp 500 Millionen Euro auf rund 350 Millionen Euro.

Was sind die wichtigsten Exportgüter?
Fleisch ist das wichtigste deutsche Exportprodukt. Russen lieben traditionell die fetten Teile am Tier. Besonders Schweine stehen daher generell hoch im Kurs. Allerdings: Bereits im Winter 2013 verhängte das Land Einfuhrsperren für Schweinefleisch aus der EU. Als offizielle Begründung wurde die Angst vor der Einschleppung der afrikanischen Schweinepest angeführt. Wenige Tiere, die mit der für den Menschen ungefährlichen Krankheit infiziert waren, wurden damals in Polen und Litauen gefunden. Als Folge brach der deutsche Schweinefleisch-Export in den ersten fünf Monaten 2014 im Vergleich zum Vorjahr von 83 000 Tonnen auf 9000 Tonnen ein. Dahinter steht eine Politik der Marktabschottung, die Russland verfolgt, um die eigene Nahrungsmittelbranche vor ausländischer Konkurrenz zu schützen. Auch Käse aus Bayern war 2013 zeitweise vom Import nach Russland ausgeschlossen. Auch Bauern aus Baden-Württemberg litten. Viele liefern ihre Milch zu den Milchwerken Schwaben („Weideglück“) in Neu-Ulm. Das ist der größte Käseerzeuger im Einzugsgebiet Baden-Württembergs. EU-weit wurden nach Angaben der auf die Landwirtschaft spezialisierten Landesanstalt LEL 260 000 Tonnen Käse nach Russland exportiert. Damit war die EU mit Abstand der Hauptlieferant.
Welche Produkte sind noch betroffen?
Auch Butter und Joghurt sind gefragt. Hier haben sich allerdings viele europäische Erzeuger mit russischen Firmen zu Gemeinschaftsunternehmen zusammengeschlossen und produzieren direkt vor Ort. Insgesamt nahm Russland 2013 deutsche Milcherzeugnisse im Wert von 165 Millionen Euro ab. Außerdem stehen die Russen auf deutsche Schokolade und Backwaren. Zusammengenommen führten sie davon 2013 Produkte im Wert von rund 250 Millionen Euro ein.
Wie werden sich die Sanktionen auf Russland auswirken?
Nach Einschätzung des deutschen Bauernverbands (DBV) werden die russischen Verbraucher die Zeche durch steigende Preise zahlen. „In Russland wird es zu massiven Preissteigerungen für Agrarprodukte kommen, weil das Angebot fehlt“, sagt auch Richard Riester, Agrarexperte bei der LEL. Schweinefleisch ist seit dem Boykott schon erheblich teurer geworden. Das Embargo könnte aber auch langfristige Folgen haben. Die russische Landwirtschaft ist in erheblichem Maß von westlicher Landtechnik abhängig. Traktoren von Fendt und John Deere, Mähdrescher von Claas und Stalltechnik aus den USA sind mittlerweile unverzichtbar. Auch die großen Erzeuger sind eng verbandelt. Die Ekoniva-Gruppe, eines der größten russischen Agrarunternehmen, hat seit Jahren einen Deutschlandableger – die Ekosem-Agrar GmbH mit Sitz in Walldorf.
Wo trifft es Baden-Württemberg?
Baden-Württemberg gilt als Land der Sonderkulturen, also etwa des Wein- und Obstbaus. Besonders der Obstbau könnte leiden. Europaweit quellen die Obst-Läger über. Nach LEL-Informationen lagen Anfang Juli 2014 rund 400 000 Tonnen Äpfel auf Halde und warten auf den Abverkauf – die doppelte Menge wie normal. Dass jetzt Russland als potenzieller Nachfrager ausfällt, wird die Preise weiter „unter Druck“ bringen, sagt Richard Riester von der LEL. Diese sind schon heute im Keller. Für 100 Kilogramm Mostobst werden aktuell nur rund 5 Euro bezahlt. Das ist spottbillig. „Gerade wichtige Obst-Erzeugerregionen wie der Bodensee sind davon betroffen“, sagt Riester.
Wie reagiert die Politik?
Die EU kritisierte Russlands Vorgehen. „Das Verbot untergräbt das Ansehen Russlands als zuverlässiger Partner“, sagte ein EU-Sprecher in Moskau. Bei der Kommission in Brüssel hieß es, die EU behalte sich eine Antwort vor. Nach Einschätzung von Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) ist Russland jedoch auf Lebensmittelimporte aus der EU angewiesen. Eine autarke Lebensmittelversorgung schaffe man nicht „mit einem Fingerschnippen“.