Sitzt ein besonders kleiner Mensch am Steuer des Fahrschulautos, gilt es einiges ganz besonders zu beachten. Foto: Symbolfoto: Fischer

Annaliza W. darf mit 1,48 Meter zunächst nicht zur Fahrprüfung antreten. Gutachten erforderlich.

Kreis Rottweil - Im September 2015 hat Annaliza Wahl begonnen, Fahrstunden zu nehmen. Knapp zwei Jahre, 70 Fahrstunden und mehr als 2000 Euro später folgt dann der Paukenschlag: Die 1,48 Meter große Frau darf nicht zur Fahrprüfung antreten. Sie sei zu klein.

Tränen treten ihr in die Augen, als Wahl von ihrem Prüfungstag berichtet. Vor Aufregung habe sie die Nächte zuvor nicht schlafen können, intensiv habe sie sich auf ihre Fahrprüfung vorbereitet. "Dieser Führerschein ist sehr wichtig für mich", sagt die Rottweilerin. Ihre Familie lebt abgeschieden, sie ist auf ein Auto angewiesen.

Umso tiefer sitzt der Schock, als der Fahrprüfer der 37-Jährigen eröffnet, dass sie nicht zur Prüfung antreten darf. Mit ihren 1,48 Metern Körpergröße sei sie zwei Zentimeter zu klein. Weder Wahl noch dem Eigentümer der Fahrschule war diese Einschränkung bekannt. "Der hat es zunächst auch nicht geglaubt", sagt Wahl. Zu diesem Zeitpunkt sitzt sie bereits im Prüfungsauto, ist zum Treffpunkt gefahren. Auf eine Diskussion zwischen Fahrlehrer und Prüfer folgt eine kurze Probefahrt. Mit dieser endet dann auch vorerst Wahls Traum vom Führerschein. Bevor sie wieder zur Prüfung antreten darf, muss ein Gutachten zur Fahreignung vorliegen.

Denn: "Es gibt eine Mindestgröße", sagt Bärbel Keetman vom TÜV Singen. Diese liege in Deutschland bei 1,50 Metern Körpergröße und sei nicht unumstößlich. Auch kleinere Fahrschüler können einen Führerschein erhalten, wenn entsprechende Gutachten vorlägen. Festgelegt ist das in der sogenannten Begutachtungsleitlinie zur Kraftfahreignung, die das Bundesverkehrsministerium herausgibt. Die Gutachten sollen klären, ob beispielsweise verlängerte Pedale oder ein erhöhter Sitz das sichere Fahren im Prüfungsauto ermöglichen. Das können ein Orthopäde und ein Sachverständiger vom TÜV beurteilen. Diese Gutachten sind dann beim zuständigen Landratsamt einzureichen, erklärt Jochen Klima, Vorsitzender des Fahrlehrerverbands Baden-Württemberg.

Landratsamt vermerkt festgestellte Auflagen

Eine erste Einschätzung, ob das notwendig werde, sei kostenlos, erläutert Keetman. Dann aber muss tiefer in die Tasche gegriffen werden: Etwa 100 Euro koste ein solches Sachverständigengutachten, sagt die TÜV-Mitarbeiterin. Die Kosten habe der Fahrschüler selbst zu tragen.

Das Landratsamt trägt die festgestellten Auflagen dann in den Führerschein ein, führt Klima aus. Deshalb sind für Privatfahrzeuge ebenfalls Gutachten einzuholen, erklärt Keetman, sonst drohten Probleme mit der Versicherung.

Ihr sei indes nicht bekannt, dass jemand wegen seiner Körpergröße auf die Fahrerlaubnis verzichten musste, sagt Keetman. "Die Technik ist so weit, dass eigentlich jedem Menschen diese Mobilität ermöglicht werden kann."

Auch der Fahrlehrer Wahls will "alles tun, damit die Prüfung noch ermöglicht werden kann", wie er unserer Zeitung versichert. Bei Annaliza Wahl bleiben aber offene Fragen: "Warum haben die das nicht früher gesagt?" Sie könne nicht verstehen, dass die Richtlinie nie Thema war und dass sie nicht zur Prüfung antreten durfte – bei einem auf Anhieb bestandenen Theorieteil und problemlos absolvierten Fahrstunden. Indem sich Wahl an unsere Zeitung wendet, will sie darauf aufmerksam machen, um anderen Betroffenen den Schock am Prüfungstag zu ersparen.

Dass die Fahrschülerin erst so spät von der Leitlinie erfahren hat, bedauert auch Klima vom Fahrlehrerverband. Das Thema sei aber bekannt, es gebe sogar spezialisierte Fahrschulen, die sich Menschen mit körperlichen Einschränkungen widmeten. Ausgeklügelte technische Umbauten ermöglichten es inzwischen auch querschnittsgelähmten Menschen, den Führerschein zu erwerben. Er habe jedoch auch Verständnis dafür, dass nicht jeder Fahrlehrer von der Leitlinie des Bundesverkehrsministeriums wisse.

Auch die Art des Fahrzeugs habe großen Einfluss darauf, wie sicher kleine Menschen unterwegs sein können. Diese Erfahrung hat auch Annaliza Wahl gemacht. Problemlos sei sie während ihrer Fahrstunden mit dem Wagen klargekommen.

Kostspieliger Umbau des Privatfahrzeugs steht an

Zur Prüfung muss sie allerdings in einem anderen Fahrzeug antreten. In diesem habe sie wesentlich tiefer gesessen, beklagt Wahl.

Es ist indes nicht ihre erste Fahrprüfung, sie hatte bereits eine philippinische Fahrerlaubnis besessen. Diese wird in Deutschland aber nicht anerkannt.

Bald darf Wahl wohl auch die deutsche Prüfung ablegen, inzwischen liegt ihr das erforderlichen Gutachten vom TÜV vor. Eigentlich sind das gute Nachrichten für die Familie. Fest steht aber auch, dass dann nochmals knapp 700 Euro in den Umbau ihres Privatfahrzeugs zu stecken sind. Zudem sei Wahl immer noch "mitgenommen", die Erlebnisse des Prüfungstags wirken nach. "Ich kann es akzeptieren, wenn ich einen Fehler mache, aber nicht so", sagt sie mit Tränen in den Augen.

Menschen, die aufgrund ihrer Körpergröße oder anderen Einschränkungen beim Autofahren beeinträchtigt sind, können dank spezieller Einrichtungen ihren Führerschein erwerben.

 Spezialisierte Fahrschulen

Inzwischen haben sich Fahrschulen etabliert, die speziell auf die Bedürfnisse eingeschränkter Menschen ausgerichtet sind. Als einer der Vorreiter macht Bernd Zawatzky in seiner Fahrschule bei Neckargemünd (Rhein-Neckar-Kreis) unter anderem auch Kleinwüchsige und Querschnittsgelähmte mobil.

 Umbau von Fahrzeugen

Technische Umbauten, wie beispielsweise Pedalverlängerungen, ermöglichen dabei das sichere Fahren. Die Lösungen sind individuell auf die körperlichen Voraussetzungen des Fahrers ausgerichtet. Die Kosten bewegen sich zwischen 100 und 100 000 Euro. Die Krankenkassen kommen nicht für den Umbau auf. Ansprechpartner können aber die Agentur für Arbeit, die deutsche Rentenversicherung, Berufsgenossenschaften und soziale Institutionen sein.