Flugblätter, Aufkleber und eine neue Facebook-Gruppe: Ohne ihren Namen zu nennen, greifen "Aktivisten" darin das Thema Flüchtlinge auf. Die Äußerungen sind rechten und völkischen Bewegungen zuzuordnen. (Symbolfoto) Foto: dpa

Widerstand vom rechten Rand: Gruppierungen machen in Rottweil mit Flugblättern und Aufklebern Stimmung gegen Asylbewerber.

Rottweil - Flugblätter, Aufkleber und eine neue Facebook-Gruppe: Ohne ihren Namen zu nennen, greifen "Aktivisten" darin das Thema Flüchtlinge auf. Die Äußerungen sind rechten und völkischen Bewegungen zuzuordnen.

Das Foto auf Facebook zeigt einen jungen Mann, der gerade etwas in einen Briefkasten eines Hauses in der unteren Hauptstraße steckt. Der Eintrag dazu ist mit "Aktiv in Rottweil" überschrieben. Darunter heißt es, die derzeitigen Zustände erforderten "von jedem Patrioten unermüdliche Einsatzbereitschaft und Widerstandsgeist". Deshalb hätten sich einige "Aktivisten" auf die Straßen ihrer Stadt begeben, "um mittels Flugblättern über die bedrohlichen Einwanderungsströme in unserer Heimat aufzuklären".

Der Eintrag stammt vom 18. Oktober. Dahinter steckt die "Identitäre Bewegung Deutschland", in Rottweil ist offenbar die Gruppe Schwaben aktiv. Die Bewegung warnt vor einem sogenannten großen Austausch: "Die einheimische Bevölkerung verschwindet schrittweise und wird durch Fremde ersetzt.", heißt es auf der Internetseite der völkischen Gruppierung.

Von der Wirtschaft sei dieser Austausch begonnen worden ("Gastarbeiter"-Betrug), von der Politik werde er ausgeführt und von den Medien vertuscht, heißt es auf der Internetseite. Diese angeblichen Fakten will die Bewegung bekannt machen.

Sticker der NPD-Jugend kleben in Fußgängerzone

Bei den Aktivisten handelt es sich nach eigenen Angaben um "normale Deutsche", die sich "nicht austauschen" lassen wollen. Auch wenn sie schreiben, dass sie sich "gegen jede Form von Rechtsextremismus, Rassismus und Nationalsozialismus" stellen, deuten ihre Ausführungen und das verwendete Vokabular zumindest auf Gedankengut aus der rechten Ecke.

Der Polizei ist die Bewegung bekannt, auch dass es einen Aktivisten im Bereich Rottweil gibt, wissen die Ordnungshüter. Die Gruppierung wird vom Staatsschutz, eine Inspektion bei der Kriminalpolizei, beobachtet. Dabei handle es sich um den Verfassungsschutz im Kleinen, erklärt Polizeisprecher Dieter Popp. Der Staatsschutz untersucht Vorgänge, die möglicherweise gegen die Verfassung gerichtet sind.

Die Flugblätter sind das eine, dazu kommen Aufkleber mit Aussagen wie "Asylflut stoppen" oder "Der Kampf in Deutschland geht weiter", die irgendjemand in der Rottweiler Fußgängerzone geklebt hatte. Freiwillige Helfer und der städtische Betriebshof haben sie wieder entfernt, Stadt und Landkreis hatten sich in der Sache an die Polizei gewendet, berichtet Popp. Dahinter steckt offenbar die Jugendorganisation der rechtsextremen NPD (nationaldemokratische Partei Deutschlands).

"Wir leben in einer Demokratie mit Meinungsfreiheit", erklärt der Sprecher, und nach bisherigen Einschätzungen sind die verbreiteten Inhalte nicht strafbar. Das wäre etwa der Fall, wenn verfassungsfeindliche Symbole oder Schriften verwendet werden oder wenn ein Fall von Volksverhetzung vorliegt.

Die Stadtverwaltung allerdings distanziert sich von solchen Aktionen deutlich. "Wir stehen für ein weltoffenes und tolerantes Rottweil. Das Bündnis für Flüchtlingshilfe und Integration ist die richtige Antwort unserer Stadtgesellschaft auf die sicherlich großen Herausforderungen der Flüchtlingskrise", erklärt Oberbürgermeister Ralf Broß. Versuche, Sorgen und Ängste in der Bevölkerung zu schüren und daraus politisches Kapital zu schlagen, seien zu verurteilen. "Wir appellieren an alle Rottweilerinnen und Rottweiler, sich dadurch nicht verunsichern oder gar in die Irre führen zu lassen."

Rechter Besucher der Seite klickt gleich"Gefällt mir!"

Bürger, die ihre Sorgen artikulieren wollen, können dies beispielsweise über die neue städtische Internetseite www.integration-rottweil.de tun. Für den weiteren Verlauf der Debatte zum Flüchtlingsthema wünscht sich die Verwaltung eine sachliche und konstruktive Atmosphäre.

Auch mit Blick auf eine Gruppe namens "Rottweil wehrt sich", die sich jüngst auf Facebook gegründet hat. "Seitdem nun die Kreissporthalle in Rottweil, für eine Belegung mit Asylanten vorbereitet wird, dachten wir es ist der Punkt erreicht mit Protest zu beginnen", heißt es im ersten Eintrag von Samstagabend. Im Kommentar zu einem verlinkten Artikel über das neue Rottweiler Bündnis für Flüchtlingshilfe steht: "Sind wir Rottweiler nur austauschbare Menschen?" – was klingt wie bei den Identitären.

Bei zwei Einträgen hat ein "Johann Rickmers" "Gefällt mir!" geklickt. Wer den Namen recherchiert, stößt schnell auf die Information, dass der Genannte 1923 an der Seite von Hitler einen Putschversuch unternommen hatte. Selbst wenn hinter der Facebook-Gruppe tatsächlich "nur" besorgte Bürger stecken sollten: Kaum gibt’s die Seite, tummeln sich Nutzer mit rechten Tendenzen dort. Ein Verantwortlicher wird dagegen nicht genannt.

Die Stadt sieht Facebook in der Pflicht, die Impressumspflicht durchzusetzen. Dass dort ohne Einverständnis der Verwaltung das Stadtwappen verwendet wird, will das Rathaus nicht hinnehmen. Die Stadt will die Gruppe auffordern, das Wappen zu entfernen. "Ansonsten müssten wir Anzeige erstatten."

So gesehen: Alle sind gefordert

Von Verena Schickle

In Ausnahmesituationen zeigt sich, wie gut eine Gemeinschaft funktioniert. Dass alles rund läuft, wenn die Wirtschaft brummt, alle einen Arbeitsplatz und ihre eigenen vier Wände haben, ist nicht verwunderlich. In Herausforderungen gilt es sich zu bewähren. Jetzt steht Europa, steht Deutschland vor einer riesigen Herausforderung angesichts der vielen Flüchtlinge, die bei uns Zuflucht suchen. Und diese Herausforderung ist längst vor unserer Haustür angekommen. Auch in Rottweil zeigt sich jetzt, wie gut oder schlecht unsere Gemeinschaft funktioniert.

Etwas über eine Woche ist es her, dass Landrat Wolf-Rüdiger Michel erklärt hatte, derzeit kämen 265 Flüchtlinge im Monat im Kreis Rottweil an. Die Behörden wüssten kaum mehr, wie sie die Menschen unterbringen sollen. Es fehlt an Wohnraum, es fehlt an Vermietern, die bereit sind, ihre leer stehenden Wohnungen zur Verfügung zu stellen. Die Folge: Im schlimmsten Fall müssen die Flüchtlinge übergangsweise in Turnhallen hausen. Ausgerechnet gegen diese Ankündigung formiert sich nun Widerstand, auf Facebook hat sich die Gruppe "Rottweil wehrt sich" gegründet.

Das Kernproblem freilich sitzt tiefer: Es ist die zutiefst menschliche Angst vor allem Fremden. Für diese Angst und die Sorgen, die sich viele angesichts der Situation machen, kann man niemandem einen Vorwurf machen. Die Frage ist, wie der Einzelne mit seiner Angst umgeht. Auch daran zeigt sich, wie stark eine Gemeinschaft ist. Was hilft, ist ein Blick auf die Zahlen: Ende September 2014 hatte der Landkreis Rottweil knapp 136 000 Einwohner. Zum Vergleich: Derzeit leben im Kreis gut 1000 Flüchtlinge. Dazu kommt, dass im Vergleich zum Schwarzwald-Baar-Kreis, wo es etwa in Donaueschingen und Villingen-Schwenningen große Unterkünfte in ehemaligen Kasernen oder auf dem Messegelände gibt, die Aufgaben, die unser Landkreis zu meistern hat, noch klein sind.

Was ebenfalls hilft: ein Perspektivwechsel. Was müssen diese Menschen erlebt haben, um keinen anderen Weg als die gefährliche Flucht zu sehen? Was müsste passieren, damit wir unser Leben und unsere Lieben zurücklassen?

Darüber hinaus stellt sich die Frage, welche Einschränkungen wir im Alltag bisher tatsächlich durch die gestiegene Zahl an Flüchtlingen erleben. Auf Sportunterricht und Fußballtraining in der örtlichen Turnhalle verzichten zu müssen, wäre eine. Das ist unbestritten, genauso wie die Tatsache, dass Sportvereine eine wichtige Aufgabe in unserer Gesellschaft wahrnehmen, für die sie nun mal Platz benötigen. Allerdings geht es im einen Fall ums Vergnügen, im andern um ein Dach über dem Kopf. Was ist wichtiger?

Wir haben uns diese Herausforderung nicht herausgesucht, sie hat uns getroffen. Jetzt müssen wir damit umgehen. Die Aufgabe ist zu groß, als dass sie von Einzelnen gemeistert werden könnte.

Bisher überwiegen in Rottweil die positiven Beispiele für Engagement. Der neuen Facebook-Gruppe und hetzerischen Flugblättern stehen der seit Langem rührige Arbeitskreis Asyl, engagierte Mitarbeiter im Kreissozialamt und das junge Bündnis für Flüchtlingshilfe und Integration gegenüber.

Dort können sich übrigens auch die einbringen, die besorgt sind. Sie könnten konstruktiv mitarbeiten statt Ängste schüren. Rechte Hetze leistet nichts als die Atmosphäre zu vergiften. Probleme werden dadurch keine gelöst. Auch der Wille, eine Herausforderung gemeinsam zu bewältigen, löst nicht wie von selbst alle Probleme. Aber er ist die Grundvoraussetzung, um solch eine Situation überhaupt meistern zu können. Und das müssen wir.