Das Rottweiler Gericht. Foto: Schnekenburger

35-jähriger Angeklagter unter Ausschluss der Öffentlichkeit vernommen. Tat geschieht im Drogenrausch.

Kreis Rottweil - "Es besteht die Gefahr, dass er auch in Zukunft erhebliche Straftaten begehen wird": Das sagte Oberstaatsanwalt Joachim Dittrich am ersten Verhandlungstag gegen den 35-jährigen Mann, der sich seit gestern wegen Mordes an seiner Mutter vor dem Landgericht Rottweil verantworten muss.

Auf der Anklagebank sitzt ein wacher, groß gewachsener, schlanker und gepflegter junger Mann, der auf den ersten Blick keine Auffälligkeiten zeigt. Doch das trügt, wie sich bald herausstellt. Vor allem bei den Vorwürfen des Leitenden Oberstaatsanwalts Joachim Dittrich: Der Beschuldigte habe am Nachmittag des 12. Dezember 2014 unter dem Einfluss von Drogen seine "ahnungslose Mutter" beim Verlassen der Wohnung von hinten mit einem Küchenmesser angegriffen, sie neunmal in den Kopf und einmal in den Rücken gestochen und ihr wenig später, im Keller, mit einem 20 Zentimeter großen Messer, 15 weitere Stiche beigebracht, die schließlich zum Tod führten. Dittrich fordert in diesem "Sicherungsverfahren" nicht die obligatorische Strafe, sondern die weitere Unterbringung in einem Zentrum für Psychiatrie.

Hausmeister hat Geschehen aus nächster Nähe erlebt

Der mutmaßliche Täter verfolgt die mehrstündige Verhandlung im stickigen Gerichtssaal ohne jegliche äußerliche Regung oder Anspannung. Und doch lässt seine Körpersprache erahnen, wie es in ihm brodelt: Den Blick hat er fast inständig auf seine Fingerkuppen gerichtet, die er unablässig gegeneinander presst.

Im Mittelpunkt des ersten Verhandlungstags steht die Aussage des Hausmeisters, der das Geschehen aus nächster Nähe miterlebt hat. Er ist durch "lautes Geschrei" in dem Wohnblock auf die Tat aufmerksam geworden, geht hinunter ins Erdgeschoss, um nachzuschauen und sieht sich mit einem gleichermaßen schrecklichen wie seltsamen Bild konfrontiert. Der Sohn kniete auf dem Boden und stach auf seine Mutter ein. "Er hat kein Wort gesagt und die Augen so komisch verdreht. Ich dachte mir, der muss was genommen haben... Aber er wusste, was er tat", berichtet der 65-jährige Zeuge. Er versucht, dem Täter das Messer abzunehmen, erleidet dabei aber selber leichte Verletzungen. Dann gelingt es ihm, die Frau wegzuziehen, die noch selbstständig aufstehen und mit ihm die Treppe zur Haustür hinuntergehen kann. Sie schleppt sich in einen Abstellraum im Keller, er rennt hoch, um seine Wohnung abzuschließen und sagt einer weiteren Bewohnerin im Vorbeilaufen, sie solle die Polizei verständigen. Die 79-Jährige ist ob der Schreie ("Das vergisst man nie") völlig verstört, wählt aber schnell die 112 und sieht noch, so berichtet sie dem Gericht, wie der Sohn "ganz ruhig" die Treppe runterläuft. Er geht in den Keller, setzt sich neben seine am Boden liegenden Mutter und sticht mit dem großen Messer weiter auf sie ein – zwölf weitere Male in den oberen Körperbereich und dreimal in den Rücken.

Inzwischen eilt der Hausmeister wieder herunter und kann fast nicht glauben, was er da sieht: "Der hat in aller Ruhe auf sie eingestochen, er war überhaupt nicht aggressiv und hatte sich auch unter Kontrolle."

Der 65-Jährige nimmt zuerst einen Besen und dann die Trommel des Wasserschlauchs, um dem Täter das Messer aus der Hand zu schlagen – vergebens, der Helfer erleidet weitere kleine Schnittwunden. Aber auf einmal, so berichtet er, "wirkte der Mann fast irgendwie erschöpft und ließ das Messer fallen". Der Hausmeister schnappt es und trägt es in seine Wohnung.

Währenddessen treffen die Polizei und wenig später die Notärztin ein. Alle Versuche, die Frau zu retten, sind vergebens. Sie stirbt noch im Abstellraum wenig später.

Der Täter ist Richtung Honberg geflüchtet. Dort erwischt ihn ein Polizist kniend am Waldrand. "Er war kaum ansprechbar, hatte einen starren Blick. Ich hatte den Eindruck, dass er komplett abwesend ist", berichtet der 26-Jährige. Der Beschuldigte nimmt’s äußerlich ungerührt zur Kenntnis, den Blick fest auf seine zusammengepressten Finger gerichtet.

Die nächsten Verhandlungstage sollen Aufschluss über seinen psychischen Zustand und seinen Drogenkonsum geben. Einen ersten Eindruck vermittelt am ersten Prozesstag der psychiatrische Sachverständige Ralph-Michael Schulte, der feststellt: "Er weist zahlreiche psychische Auffälligkeiten auf."

Info: Öffentlich oder nichtöffentlich?

Öffentlich oder nichtöffentlich? Das ist im Prozess gegen den 35-Jährigen die Frage. Karl Heinz Münzer, Vorsitzender Richter, gab gleich zu Beginn die Richtung vor: Bei Sicherungsverfahren wie hier sei in der Vergangenheit "regelmäßig die Öffentlichkeit bis zur Urteilsverkündung ausgeschlossen worden", riet er. Doch das hielten in diesem Fall weder der Beschuldigte noch seine Therapeutin, noch der Oberstaatsanwalt, der psychiatrische Sachverständige und der Anwalt der Nebenklägerin für nötig. Trotzdem zog sich Münzer mit den jeweils zwei Beisitzern und Schöffen zur Beratung zurück – und verfügte dann den Anschluss der Öffentlichkeit für die Vernehmung des Angeklagten. Grund: Ihm sei wahrscheinlich nicht bewusst, wie tief in seine Psyche eingedrungen werde. Anschließend erklärte der Richter in öffentlicher Sitzung, die Maßnahme habe sich als richtig erwiesen. Einen Grund nannte er nicht. Nur soviel: Der Beschuldigte habe über seine Vita berichtet. Zur Tat sagte er allerdings dem Vernehmen nach nichts.