Nevrus Bytygi und Sejdi Agushi kehren ihrer alten Heimat, dem Kosovo, den Rücken. Foto: Smaoui

Fluchtursachen der Menschen aus den Balkanländern polarisieren die Gesellschaft.

Rottweil - Fluchtursachen der Menschen aus den Balkanländern polarisieren die Gesellschaft. Viele Bürger bringen für Menschen aus Kriegsgebieten Verständnis auf, wohingegen Menschen aus den Balkanstaaten oft als »Wirtschaftsflüchtlinge« deklariert werden und nach neuer Gesetzeslage weder schutzbedürftig sind, noch Recht auf Asyl haben.

So zum Beispiel Immigranten aus dem Kosovo, ein Land, das künftig als sicherer Herkunftsstaat gilt. Sie lassen alles zurück – ihre Heimat, ihre Familien, ihre Habseligkeiten. Doch was bringt einen Menschen dazu, sein Leben zurückzulassen, um in Deutschland eine Chance auf ein Bleiberecht zu suchen?
Sie kommen hierher, weil sie eine Arbeit wollen

»80 Prozent der Menschen haben im Kosovo keine Arbeit«, sagt Sejdi Agushi und klopft laut mit dem Zeigefinger auf den Tisch, der im Zimmer der Flüchtlingsunterkunft in Rottweil steht. Wie Nevrus Bytygi stammt der alleinerziehende Vater eines Kindes aus dem Kosovo. Die beiden Männer haben sich im Flüchtlingswohnheim kennengelernt. Bevor Sejdi Agushi mit seinem Sohn eine eigene Wohnung bezog, war er für Nevrus Bytygi ein wichtiger Ansprechpartner im Haus. Denn: »Nevrus spricht weder Deutsch noch Englisch«, erklärt Agushi.

Bytygi ist frustriert. Er würde sich gerne mitteilen, »aber er kann kein Deutsch lernen, weil der Unterricht hier auf Englisch ist«, sagt sein Dolmetscher. Eine Zwickmühle, über die sich der 43-Jährige keine Gedanken gemacht habe, als er seinen Heimatort Gjakova im Kosovo zusammen mit seinen Kindern und seiner Frau Majlinda verließ.

Mit dem fest verankerten Gedanken: »Arbeiten, um meine Familie zu ernähren«, hat der dreifache Vater vor zehn Monaten die Zugfahrt von Kosovo über Serbien und Montenegro nach Deutschland angetreten. Zurück ließ er nicht viel. »Eine kleine Wohnung, ein paar Habseligkeiten«, sagt er. Reich seien sie nicht gewesen.

Nachdem der große Mann mit den blauen Augen die Schule beendet hatte, sei er auf der Suche nach einem Ausbildungsplatz gewesen. »Aber es gab nichts«, erzählt er. Sejdi Agushi fügt seinen eigenen Gedanken hinzu: »So geht es fast allen Leuten im Kosovo.« Die Worte sind impulsiv. Es wirkt, als vermische er seine eigenen Ansichten mit denen seines Freundes.

Nevrus Bytygi bleibt indes still, aufmerksam. Zurückhaltend lauscht er den Worten in einer ihm fremden Sprache. Eine gemeinsame Art haben beide an sich: Sie lachen, immer wieder mal. Kurz. Es klingt mutlos. »Im Kosovo gibt es einfach keine Arbeit«, wiederholt Agushi. Arbeit. Ein Wort, das das Gespräch vollends bestimmt. Nichts scheint wichtiger. Ein Job – die beste Lebensversicherung.
Fast alle Hoffnungen setzen sie in die Kinder

Doch um diesen zu finden, scheinen die beiden Männer die Verantwortung in die Hände anderer zu legen. Sie setzen große Hoffnungen in ihre Kinder, sagt Bytygi über die acht-, zwölf- und 14-jährigen Jungen. »Sie gehen zur Schule und lernen Deutsch.« So könnten sie das Gelernte an die Eltern weitergeben. »Bildung ist uns sehr wichtig«, erklärt Bytygi. »Und die Chancen für sie sind in Deutschland sehr gut.«

Die Kinder integrieren sich, suchen Anschluss, schließen Freundschaften. Dem Vater fällt das schwerer, die Sprachbarriere sei unüberwindbar. Doch er ist glücklich, in der Unterkunft sein zu dürfen. Zurück will er nicht mehr. Der Asylantrag ist schon lang gestellt. Bytygi weiß um seine geringen Chancen auf Bleiberecht. »Ich weiß nicht, was ich tun soll, wenn wir zurück in den Kosovo müssen«, sagt er mit gesenktem Blick. Neben dem Arbeitsmangel sei auch die Polizeigewalt dort hoch. Doch sowohl Bytygi als auch Agushi äußern sich nicht klar zu Gewalterfahrungen in ihrer Heimat. Agushi betont: »Die Menschen werden grundlegend anders behandelt als in Deutschland.«

»Natürlich sind wir gegangen, weil wir keine Möglichkeiten im Kosovo hatten«, sagt Bytygi und schaut auf seine Söhne, die beschämt auf dem Sofa sitzen. Der Vater wünscht sich nur eines: ein besseres Leben für seine Kinder. »Ich will, dass sie die Schule hier beenden.«