Sogenannte "Reichsbürger" oder "Reichsdeutsche" bringen solchen Schildern zum deutschen Rechtsstaat nach eigenem Bekunden wenig Sympathie entgegen. Foto: Berg

66-Jähriger verschickt skurrile Mahnbescheide über 950.000 Euro. Rentner beruft sich auf Recht von 1878.

Kreis Rottweil/Freudenstadt - Wahnsinnige Ideen und Vorstellungen treiben einen 66-Jährigen zu skurrilen Aktionen mit Straftatbeständen. Ist er damit reif für die Psychiatrie? Mitnichten, urteilte am Donnerstag das Landgericht Rottweil und verhängte eine Gefängnisstrafe von zwei Jahren und fünf Monaten.

Beim Prozessauftakt am 1. Dezember bezeichnete sich der Rentner aus Freudenstadt als "Reichsdeutscher", dem das Rechtssystem der von den alliierten Besatzern installierten BRD wenig zu sagen habe. Insofern könne er die Gerichtsbarkeit, vor der er jetzt stehe, auch nicht richtig ernst nehmen, ließ er vor zwei Wochen wissen, um sich dann vom Vorsitzenden Richter Wolfgang Heuer aber erstaunlich handzahm durch den Prozess führen zu lassen.

Der Mann, der einst aufgrund einer Verurteilung wegen Bestechlichkeit aus dem Polizeidienst komplementiert wurde, trat das gestern beendete Strafverfahren mit 32 Vorstrafen im Gepäck an. Beleidigungen, Widerstand gegen die Staatsgewalt, Fahren ohne Fahrerlaubnis und Betrugs machen die Mehrzahl der Delikte aus. Vor allem die Masche Computerbetrug brachte ihm das gestrige Urteil ein. Insbesondere zu unliebsamen Amtspersonen hatte der Mann im automatisierten online-Verkehr über einen Gerichtscomputer Mahnbescheide veranlasst. 38 Mal über sage und schreibe 950.000 Euro.

Auch in seiner Eigenschaft als Rechtsberater für offenbar Hilfesuchende aus seiner nach eigenem Bekunden einst in die Tausende gehenden Fangemeinde habe er Druck auf eine unfähige Justiz ausüben wollen. Weitere etwa 230 "Mahn-Attacken" mit abstrusen Vorhaltungen an die Adressaten fingen aufmerksame Justizbedienstete ab, nachdem die ersten 38 Vorstöße für viel Wirbel und Aufregung in den Amtsstuben gesorgt hatten.

Als der Angeklagte bei seinem Schlusswort nochmals ins Fabulieren gerät über seine Sicht der Welt und den Untiefen, in denen man sich schnell unverschuldet verfangen könne, und auch nochmals von gültigem Recht (vor allem das ab 1878) und geltendem Recht ("seit Eröffnung der BRD, deren Rechtssystem ich weitgehend ablehne") schwadroniert, scheint Rechtsanwalt Wilfried Clödy förmlich in sich zusammenzusacken. Zuvor hatte der Pflichtverteidiger festgestellt: "Sein Gedankengerüst ist nicht zu durchschauen." Mit "das ist ein tragischer Fall, der nicht in eine JVA gehört", beendete er sein Plädoyer.

Skurrile Mahnbescheide über 950.000 Euro

Wie schwierig die Urteilsfindung in einem solchen ungewöhnlichen Verfahren ist, war bereits zum Prozessauftakt in einer längeren angestrengten Diskussion zwischen Heuer und dem psychiatrischen Sachverständigen Professor Henner Giedke deutlich geworden. Während letzterer dem Angeklagten trotz dessen häufigem Abdriften in eine seltsame Gedankenwelt eine absolute Schuldfähigkeit attestierte, führte Heuer Argumente für die Annahme krankhafter Wahnvorstellungen ins Feld.

Oberstaatsanwalt Christian Kalkschmid bekundete bei seinem Plädoyer viel Sympathie für den Giedke-Standpunkt. Die Kleine Strafkammer schloss sich bei seinem Urteil, in das noch einige deutlich unwesentlichere Straftatbestände einbezogen sind, schließlich dieser Einschätzung und auch der Strafmaßforderung des Staatsanwalts an.

Wolfgang Heuer betonte bei der Begründung, dass eine Beurteilung in einem solch speziellen Fall eine ganz besondere Herausforderung darstelle. Der als vollendet anzusehende Computerbetrug sei in Verbindung mit einer von vornherein feststehenden Selbstschädigung (jeder der 38 in die Welt gesetzten Mahnbescheide war mit einer Gebühr von 2578 Euro verbunden; auch deshalb sieht sich der nahezu mittellose 66-Jährige einer Schuldenlast von knapp 100.000 Euro gegenüber) vonstatten gegangen. "Das wusste er, das ist das bizarre". Damit habe er sich und seine Familie ruiniert.

Ob mit dem jetzt beendeten Prozess die Zahl der Sympathisanten des einst in seinen Kreisen als Guru gehandelten 66-Jährigen bröckelt? Gestern jedenfalls waren nur noch zwei Brüder im Geiste im Saal. Gerade jenen, die sich von der Homepage von W.P. einfangen ließen, hätten bei dem Prozess die Augen geöffnet werden können zu der Scharlatanerie, mit dem der Mann sich in seiner narzisstischen Veranlagung immer wieder als Weltverbesserer positionieren wolle.