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Gemischte Gefühle am Tag nach der Bürgermeisterwahl. Christian Ruf gewinnt. Bei Mitarbeitern viele Fragen offen.

Rottweil - Es ist der sprichwörtliche Tag danach. Christian Ruf, der Jurist aus Frankfurt, wird neuer Bürgermeister von Rottweil. Anlass, die Korken knallen zu lassen, gibt der Wahlverlauf allerdings nicht. Das Los hat entschieden. Ein Manko? Nein – sagt zumindest der glückliche Sieger.

Was sich am Mittwochabend im Ratssaal abgespielt hat, gleicht einem Krimi mit "unerwarteter Wendung", wie es so gerne im Drehbuch steht. Nur diese Wendung ist real. Es ist nicht gelungen, einen neuen Ersten Beigeordneten mit deutlichem Rückhalt des Gemeinderats ins Amt zu bringen. Nach zwei Wahlgängen hat das Los für Ruf entschieden – und die versteinerten Mienen auf der Verwaltungsbank und bei den Mitarbeitern in den Zuhörerreihen machten deutlich, was im Vorfeld längst durchgesickert war. Der Favorit war ein anderer: Verwaltungsfachmann Andreas Haas. Und nun?

Der Gewinner

Christian Ruf, den wir gestern Vormittag an seinem Arbeitsplatz in Frankfurt erreichen, macht trotz des denkwürdigen Wahlverlaufs durchweg den Eindruck eines glücklichen Gewinners. "Die Reaktionen sind überwältigend positiv", sagt er. Und auch wenn er sich ein klares Ergebnis gewünscht hätte: "Man muss es so nehmen, wie’s kommt". Immerhin habe er 13 Stadträte hinter sich. Der Traum vom Bürgermeisteramt, er hat sich nun für den 32-Jährigen erfüllt. Mehrfach hatte er bei seiner Vorstellung betont, dass er aus einem Bürgermeisterhaus komme. Sein Vater Georg Ruf war 1983 mit 25 Jahren zum Oberhaupt von Abtsgmünd, einer Gemeinde mit heute knapp 7500 Einwohnern, gewählt worden. Nach 28 Jahren gab er seinen Abschied bekannt und wurde Geschäftsführer der Kreisbaugenossenschaft Aalen.

Jene, die am Mittwoch in Rottweil auf den jungen Bewerber Christian Ruf gesetzt haben, dürften sich eine ähnliche Kontinuität wünschen. Dem 58-jährigen Mitbewerber Andreas Haas war sein Alter teilweise als Nachteil ausgelegt worden. Haas und Rufs Vater Georg sind übrigens derselbe Jahrgang. Ein Zufall am Rande.

Und der Zufall hat entschieden. Wie sieht Christian Ruf die nächsten Monate? Kann er sich trotz der großen Entfernung schon vor Amtsantritt in Rottweil orientieren? "Natürlich muss ich über grundlegende Vorgänge im Bild sein und es wird ständig Gespräche geben", sagt er. Der Wechsel Anfang März sei "im Bereich des Möglichen".

Der Verlierer

Andreas Haas hat gestern mit seinen Mitarbeitern im Rathaus in Tübingen einen Sekt getrunken. "Die haben sich gefreut. Für mich geht es hier gut weiter", sagt er. Dass er es nicht geschafft hat, sei natürlich eine persönliche Enttäuschung. "Mit einer Nicht-Wahl hätte ich allerdings besser leben können." Die Entscheidungsfindung, die sich sich nun im Rottweiler Gemeinderat abgespielt habe, sei für ihn "total daneben". Dass es ein Stadtrat nicht schaffe, zu einer Meinung zu kommen, sei geradezu "unterirdisch". Er habe gespürt: "Die Menschen im Saal wollten, dass ich gewählt werde." Wenn ein Gemeinderat das nicht erkenne, sei er kein Volksvertreter. Machtspiele zu Lasten der Verwaltung und der Bewerber hätten wohl leider hier eine große Rolle gespielt, bedauert Haas. Dem Gewinner Christian Ruf wünsche er alles Gute und der Verwaltung, dass eine konstruktive Arbeit zustande kommt.

Der Oberbürgermeister

Ralf Broß sieht die Sache "pragmatisch", sichert dem neuen Ersten Beigeordneten seine Unterstützung zu beim Schritt ins neue Amt und bei der Wohnungssuche, betont, dass es für die Verwaltung jetzt angesichts der vielen Aufgaben "kein Innehalten" gibt – und er macht doch keinen Hehl daraus, dass es bei den Mitarbeitern eine "gewisse Verunsicherung" gebe. Die Rathausmitarbeiter waren am Mittwochabend in großer Zahl in den Ratssaal gekommen. Und es hatte sich nach dem Losentscheid teilweise Entsetzen in den Gesichtern breitgemacht.

"Es gab Ungläubigkeit", sagt Broß. Zum einen über das Wahlverfahren, zum anderen darüber, so meint er, dass sich die Stadträte nicht deutlich für einen Fachmann für Bauen und Stadtentwicklung entschieden haben. "Die Vorstellungsrunde hat gezeigt, dass Andreas Haas vom fachlichen Hintergrund her anders aufgestellt ist", so Broß. Ruf habe den Blick von außen und damit natürlich nicht die Themenkenntnis. In der Verwaltung habe man in den letzten Monaten und Jahren wichtige Projekte in Teamarbeit gestemmt und dabei ein Tempo vorgelegt, "das beispielhaft ist". Umso wichtiger sei den Mitarbeitern nun, dass einer kommt, der reinpasst, Sozialkompetenz hat, der motivieren kann und Führungsqualitäten zeigt.

Ob ihr neuer Erster Beigeordneter all diese Erwartungen erfüllt, das erfahren die Mitarbeiter und die Rottweiler Bürger erst, wenn er im Amt ist. Es wird für beide Seiten ein spannender Prozess.

Der verflixte Losentscheid

Die Gemeindeordnung sieht es so vor: Nicht nur bei der Wahl des Ersten Beigeordneten, auch bei anderen Personalbesetzungen entscheidet bei einer Pattsituation das Los. Das ist zwar selten, aber immer wieder der Fall: Im Landratsamt Rottweil wurde auf diesem Weg vor einigen Jahren eine Dezernentenstelle besetzt. Und in Lahr ging es 2002 ganz ähnlich wie in Rottweil zu: Die auswärtige Bewerberin Brigitte Kaufmann trat gegen einen allseits bekannten Bewerber, in diesem Fall einen Stadtrat und Ortsvorsteher, um das Amt der Ersten Beigeordneten an. Wegen Streitereien und "Lagerbildung" im Vorfeld kam es zur Pattsituation. Das Los entschied – Brigitte Kaufmann gewann. Mit ihrer Amtsführung war man jedoch dann nicht einverstanden, 2010 wurde sie abgewählt.

Das Wort "Losglück" trifft eben nicht immer zu – kann aber. Hoffentlich auch in Rottweil.