Ein Weg, der Herz und Seele erfreut und für stramme Waden sorgt: Beate und Pius Löcher berichten von ganz besonderem Wandererlebnis

Von Winfried Scheidel

Rottweil. 166 Marschtage, 4400 Kilometer: Beate und Pius Löcher können sich an einem ganz besonderen Erlebnis erfreuen: Den Jakobsweg bis ins spanische Santiago de Compostela und wieder zurück nach Rottweil haben sie vom 22. April bis zum 12. Oktober hinter sich gebracht.

Nach 10 500 Bildaufnahmen und noch viel mehr Eindrücken genießt das Ehepaar jetzt erst einmal in seiner gemütlichen Stube in der Hohlengrabengasse in Rottweil die Erlebnisse der fulminanten Tour. Die Augen leuchten, wenn sie von der langen Strecke, den vielfältigen Begegnungen mit anderen Wanderern, aber auch mit den vielen Menschen aus den verschiedenen Regionen, durch die sie ihr Weg führte, erzählen.

Wer mit dem bescheidenen Wanderer-Duo ins Gespräch kommt, merkt schnell: Da hatte es zwei richtig gepackt, gemeinsam einen großen Weg harmonisch zu meistern. In Etappen zwischen 15 und 38 Kilometern ging es fast täglich voran. Nur ganz wenige Ruhe- beziehungsweise Reparaturtage waren angesagt. So, als man sich nach etwa 1500 Kilometern bei einem spanischen Schuhmacher neue Besohlungen beschaffen musste.

"Wenn man sich Ruhepausen gönnt, kommt man aus dem Rhythmus", sagen die Beiden schmunzelnd. So war man fast stetig "on tour", freute sich abends erst einmal über ein ordentliches Nachtlager, verzweifelte aber auch nicht, wenn es galt – was ein paar Mal vorkam – in Berbermanier im Freien "Platte" zu machen.

Gerade in Situationen, als in spärlich besiedelten Regionen die anvisierte Unterkunft unerwartet und entgegen der akkuraten Notizen im selbst gestalteten Tourenplan geschlossen hatte, sei ein besonders freundschaftlicher Kontakt mit der Bevölkerung zustande gekommen. Sei es, dass ein Einheimischer seinen Wohncontainer zur Verfügung stellte oder ein Bürgermeister mit seinem "langen Arm" ins Gemeindeleben doch noch für ein Dach über dem Kopf und etwas zu essen sorgte.

Vor 35 Jahren, mit dem Beginn ihrer Bekanntschaft, wurde für Beate (58) und Pius Löcher (60) das Wandern schnell zur Passion. Dabei mit der Erkenntnis, dass Wege erheblich gewinnen, wenn religiöser und historischer Bezug eines Pilgerwegs hinzukommen. In Urlauben zwischen 1999 und 2004 war man etappenweise von Rottweil nach Santiago gelangt. Danach hieß der Weg gleich zwei Mal Rottweil-Rom, davon einmal über Assisi.

Als dann 2013 das Berufsleben endete, ging es – als Generalprobe – in sechs Wochen über 950 Kilometer von Rottweil aus zu den Pilgerorten Arles und Stes.-Maries-de-la-Mer am Mittelmeer in Südfrankreich.

Und dann brach dieses Jahr der Dienstag nach Ostern an, für den bei den Löchers des Schusters Rappen nochmals besonders gestriegelt worden waren. Wochenlang hatte Pius Löcher getüftelt, bis auf seinem Smartphone das Kartenmaterial so plakativ wie möglich sortiert war. Auch bezüglich der möglichen Unterkünfte sah man sich gut informiert. In schwach besiedelten Regionen ist aber dann zuweilen trotzdem viel Improvisationskunst gefragt.

"Durch Baden, Elsass und Franche-Comté bis zum Pilgersammelort Vézelay in Burgund vorwiegend unbekannte Wege gewählt", heißt es im Reiseplan für April und Mai. Auf diesen Wegen wurde das frohgemute Duo teilweise von Bekannten begleitet. Vor den westlichen Pyrenäen wechselten die Beiden auf den westlichen Küstenweg. Im Juli wird dann zum ersten Endspurt geblasen: "Eine Woche hinter Santander verlassen wir den Küstenweg und begehen landeinwärts den ruhigeren Camino Primitivo über Oviedo mit der geweihten Kathedrale San Salvador als Ziel", heißt es im Tagebuch. Und schließlich wurde notiert: "Am 22.7. Aufbruch in Pedrouzo noch in der Dunkelheit, zusammen mit unseren Weggefährten der letzen Wochen, einer Polizistin aus Kiel und einem Studenten aus dem Münsterland. So erreichen wir rechtzeitig vor Beginn der mittäglichen Pilgermesse das Grab des Apostels Jakobus des Älteren (spanisch: Santiago) in der Kathedrale von Santiago de Compostela."

Der 25. Juli ist der Festtag des Apostels. Zu dieser Zeit zeigt sich der Ort besonders eindrucksvoll. Ab dem 26. Juli, dem 60. Geburtstag von Pius, rückt aber schon das Rottweiler Heilig-Kreuz-Münster als zweites großes Ziel in den Blickpunkt.

Der Weg zurück führt weiter östlich. Durch Galizien, über Pässe nach Kastilien und über das Hochland der Meseta zur Rioja und nach Navarra. Auf dem Camino Frances, dem meistbegangenen Pilgerweg, kommen den beiden Rottweilern tausende Pilger aus allen Kontinenten entgegen. Dabei kommt es zu vielen herzlichen Begegnungen. Und so mancher zieht vor den beiden immer noch recht munteren Schwaben den Hut. Mancher einer sei sogar nahe dran gewesen an Gesten der Anbetung, als er die Schilderung vom "Rundweg" der beiden Rottweiler Wandersleute hörte, schmunzelt Pius Löcher. Dabei sei man doch nur zum Vergnügen unterwegs gewesen.

Dass der Rückweg auch unbedingt auf Schusters Rappen sein musste, fasst Beate Löcher in die Worte: "Wenn man ein Vierteljahr hinläuft, kann man doch nicht in zwei Stunden zurückfliegen."

"Wenn man angenehme Sachen wie die Hilfe beim Finden einer Unterkunft erlebt, wird man auch sensibler gegenüber anderen", reflektieren die Beiden im Rückblick auf zahlreiche Begegnungen. "Viele schöne Momente, die beflügeln. Es gibt aber auch Tage, an denen man kämpfen muss. Der Rucksack ist dann schwerer. Da lernt man das Durchbeißen", hat Beate Löcher erfahren.

Im elsässischen Mühlhausen führten Hin- und Rückweg wieder in eine Spur. Schon einige Tage zuvor seien die Heimatgefühle sehr intensiv gewesen. Nun, den Schwarzwald im Blick, wird das Gepäck nochmals ein wenig leichter. Nur noch über dessen Höhen und ein paar Schritte weiter. Nach Rottweil und seinem Heilig-Kreuz-Münster ist es nach dem gut 2000 Kilometer langen Anlauf eigentlich nur noch ein Katzensprung.