Joshua Kimmich: im Finaltrikot, mit Europameister-Goldmedaille und vor dem Begrüßungsplakat seiner Bösinger Fans. Eine Anmerkung für "Sterne"-Zähler: Drei sind es auf dem Trikot, nicht vier. Das erste Mal ein Trikot mit vier Sternen (für vier gewonnene Weltmei­sterschaften) darf die A-Nationalelf tragen, antwortet er. Und noch ein Detail: Joshua Kimmich hat – wie alle anderen der Mannschaft – zwei Finaltrikots: eins trug er in der ersten Halbzeit, das andere in der zweiten. "Das erste war in der Pause ganz nass, wog glatt vier Kilo mehr", schmunzelt er. Foto: Pfannes Foto: Schwarzwälder-Bote

FußballJoshua Kimmich legt einen kurzen Zwischenstopp in der alten Heimat ein

Von Andreas Pfannes

Turbulente Tage und eine Überraschung nach Mitternacht liegen hinter dem U 19-Europameister Joshua Kimmich, als die Familie am gestrigen Nachmittag in Bösingen am Kaffeetisch zusam-mensitzt. Kurze Zeit zum Innehalten, Zeit, mit dem 19-Jährigen über Vergangenes zu sprechen und einen Blick in seine sportliche Zukunft zu werfen. Joshua Kimmich über seine Leistung im Turnier: Er kam erst später nach Ungarn und lief das erste Mal im zweiten Spiel auf. Dort lief es noch nicht so rund. "Dann habe ich mich gesteigert und ins Turnier hineingespielt und ein ganz gutes Turnier gespielt." Joshua Kimmich über Selbstkritik: Er ist sehr selbstkritisch. Sie gehöre dazu, um sich zu verbessern, sagt er. Und er will sich weiter verbessern. Definitiv. Joshua Kimmich über sportliche Vorbilder: Er nennt Xavi und Bastian Schweinsteiger. Die Art, wie beide Führungsspieler den Fußball interpretieren, imponiert ihm: die Übersicht; das extrem sichere Paßspiel; wie sie ihre Mitspieler einsetzen können. Joshua Kimmich über den schönsten Moment in Ungarn: Der schönste Moment war der Abpfiff des Finales, das 1:0 über Portugal. Der Titel bedeutet viel – für Mannschaft, Trainer, Betreuer, fürs komplette Team, sagt er. Seine Augen leuchten. "U 19-Europameister: das können nicht viele sagen, das ist etwas Besonderes." Sehr viel Spaß hatten sie immer gehabt, ungern in Ungarn waren sie auf gar keinen Fall. Den Teamgeist beschreibt Joshua Kimmich als "extrem gut". "Alle hatten das gleiche Ziel, jeder wollte den Titel gewinnen." Joshua Kimmich über seinen besten Kumpel im Team: Der Stuttgarter Felix Lohkemper ist einer seiner besten Freunde, sie waren zusammen auf dem Zimmer. Lohkemper wurde im Finale kurz vor Schluss eingewechselt, vergab noch zwei Riesenchancen. "Wäre einer reingegangen, hätten wir es in der Schlussphase einfacher gehabt." Joshua Kimmich über die 67. Minute des Finales und seine Rettungstat: Portugals einzige klare Chance. Er konnte zweimal vor dem Tor klären, grätschen und die Schüsse abblocken. Dann habe er "kurz die Übersicht verloren, aber einer von uns war da". "Wir haben Portugal in der zweiten Hälfte ein Stück weit stark gemacht", analysiert er. "Wir hätten frühzeitig das 2:0 machen sollen. Ein Standard hätte Ausgleich und Verlängerung bringen können." Joshua Kimmich über die Lehren aus dem Turnier: Natürlich der Titel. Die Europameisterschaft war sein erstes Turnier. In jedem Spiel konnte er Erfahrungen sammeln. Und: Das Endspiel war sein letztes Jugendspiel. "Gegen Serbien (2:2 in der Vorrunde, Anmerkung der Redaktion) lief nicht alles rund. Aber wir haben dagegen gehalten. Um erfolgreich sein zu können, reicht es nicht aus, nur schön zu spielen." Joshua Kimmich über den Empfang bei seinem Verein RB Leipzig: Gestern war das erste Spiel des Aufsteigers in der 2. Liga (0:0 gegen VfR Aalen, Anm. d. Red.). Vor dem Anpfiff war er in der Kabine. Alle haben gratuliert, alle haben sich gefreut, das ganze Team, erzählt er. "Das ist sehr schön, diese Freude zu erleben." Joshua Kimmich über die Ziele mit RB Leipzig: Über einen Durchmarsch in die Bundesliga wird nicht gesprochen. Erst einmal will der Verein in der neuen Liga ankommen. Joshua Kimmich über das Image seines Clubs: (Traditionsvereine – und wer ist das nach eigener Wahrnehmung nicht – lehnen RB Leipzig wegen seiner Verquickung mit der Firma Red Bull ab, Anm. d. Red.) Gehört habe er, dass die anderen 17 Vereine, beziehungsweise deren "harten Fans", die Heimspiele boykottieren wollen. Auch von Aalen seien nur wenige Fans in Leipzig gewesen. "Das ist aber ein Problem der Gegner und für uns ein Vorteil", kontert er und hat recht. Auswärts habe er in der vergangenen Runde in den Ostderbys bereits viel Hass erlebt. Joshua Kimmich über die Spielphilosophie von RB Leipzig: Das Spiel ist gegen den Ball ausgerichtet. Frühes Pressing ist angesagt. "Wir wollen schnell in die Spitze spielen." Nächstes Wochenende folgt das erste Auswärtsspiel der Saison, bei 1860 München. Nach der Vielzahl vergebener Gelegenheiten gegen Aalen ein harter Prüfstein. Ab Dienstag trainiert Joshua Kimmich wieder bei seinem Verein, bei dem etliche Schwaben – wie Sportdirektor Ralf Rangnick, Trainer Alexander Zorniger und seit dieser Saison auch Neuzugang Rani Khedira – aktiv sind. Joshua Kimmich über seinen Empfang in Bösingen: Um halb eins in der Nacht auf Sonntag ist er nach langer Zugfahrt angekommen. Er dachte, er gehe ins Bett und schlafe sich aus. Dann sah er vor dem Haus ein großes, schönes Plakat, gemalt von Kumpels, Freunden und Nachbarn. Darüber hat er sich sehr gefreut, machte ein Foto. Ging ins Haus, das dunkel war. Aber das war nur Tarnung. Das Wohnzimmer war rappelvoll. Plötzlich ging das Licht an. Die 15-jährige Leonie Gapp aus Herrenzimmern spielte Gitarre. Alle sangen: "Ein Hoch auf uns". Alle. Familie, Nachbarn, Freunde, Kumpels, der VfB Bösingen – die allermeisten noch aus seiner F-Jugend-Zeit spielen beim VfB, bereiten sich auf die Saison vor; die Landesliga startet in zwei Wochen. Joshua Kimmich begeistert: "Das war ein toller Moment. Alle waren da. Schöner hätte es nicht sein können." Und dann stand am gestrigen Sonntag der Besuch beim Opa im Dorf an. Unzählige Verwandte waren da. Joshua Kimmich habe 18 Cousins und Cousinen, sagt Mutter Anja. Dort wurde von den begeisterten Musikern die Nationalhymne gespielt. Tja, und am gestrigen Abend ging es dann nach Stuttgart, Joshua Kimmich wurde vom SWR in die Sendung "Sport im Dritten" eingeladen.