Am Dienstag ging im Landgericht Rottweil die Verhandlung gegen den 35-Jährigen, der seine Mutter im Drogenrausch erstochen hat, weiter. Foto: dpa

Im Mord-Prozess bringen Polizisten und Gutachter Licht ins Dunkel. 35-Jähriger verweigert weiter die Aussage.

Rottweil/Tuttlingen - Was ist das für ein Mensch, der im Dezember 2014 in Tuttlingen seine Mutter ermordet haben soll? Und: Wie konnte es zu der unfassbaren Tat kommen? Auf diese Fragen versuchte die Schwurgerichtskammer in Rottweil am gestrigen zweiten Verhandlungstag Antworten zu finden.

Der mutmaßliche Täter sitzt wieder auf der Anklagebank und starrt über weite Strecken auf seine Finger, an denen er unablässig zupft, als wolle er letzte unsichtbare Blutreste tilgen. Der Staatsanwalt wirft dem heute 35-Jährigen vor, er habe im vergangenen Dezember in einem Mehrfamilienhaus in Tuttlingen seine Mutter mit einer Vielzahl von Messerstichen getötet.

Dass der junge Mann – unter dem Einfluss von Drogen – in seiner eigenen Welt lebte, deutete sich Wochen vor dem Tod der Mutter immer mehr an. Er sah Gefahren, wo keine waren, hatte Todesängste ohne realen Grund. Am Tattag, so sagte er später den Ermittlern, seien "Dämonen aus den Wänden gekommen" und hätten ihn bedroht. Er habe sie mit Orangensaft vertrieben. Tatsächlich fanden Kriminaltechniker dann Rückstände von Orangensaft an Wänden und im Bett.

Ursache waren offenbar Drogen, die er sich per Internet aus England besorgt hatte. "Ein Horror", gab er später zu Protokoll, "das Schlimmste, was ich je erlebt habe". Plötzlich sei er überzeugt gewesen, seine Mutter wolle ihn vergiften und der Polizei seinen Drogen-Konsum verraten. Unter solchen "Wahnvorstellungen" sei er mit dem Messer auf sie losgegangen.

Vor der Polizei erklärte er sich für unschuldig und sagte, er brauche keinen Anwalt. Bei der zweiten Vernehmung, wenige Stunden später, legte er ein Geständnis ab und erklärte: "Den einzigen Menschen, der es gut mit mir meinte auf der Welt, habe ich getötet."

Hat er also wirklich im Wahn getötet oder wusste er, was er tat, wie der Hausmeister als einziger Augenzeuge am ersten Verhandlungstag erklärt hatte? Das ist die entscheidende Frage in diesem Prozess. Aufschluss soll der psychiatrische Sachverständige geben.

Gestern erstatteten zunächst die beiden Rechtsmediziner aus Freiburg und Stuttgart ihre Gutachten. Dabei wurde deutlich, mit welcher Brutalität die 64-jährige Frau getötet worden war und wie sehr sie gelitten haben muss. Die Ärztin, die den Leichnam obduziert hatte, benötigte fast eine halbe Stunde, um alle die Stiche, Schnitte und Einblutungen am ganzen Körper aufzuzählen. Am extremsten waren ein zehn Zentimeter tiefer Stich, ein Lungendurchstich und die Durchtrennung einer Rippe. Letztlich starb die Frau an einem Verblutungsschock. Wie sehr sie sich gewehrt hatte, zeigten schwere Verletzungen, unter anderem ein fast abgetrennter Daumen, die sie sich beim Abwehrkampf zuzog.

Professor Stefan Pollak von der Uni Freiburg bestätigte dann auch, dass der Täter "sehr wuchtig" zugestoßen haben muss – einmal mit einem zwölf Zentimeter, später mit einem 19 Zentimeter langen Messer. Der Sachverständige wies auch nach, dass der mutmaßliche Täter unter dem Einfluss von Designerdrogen, Speed und anderen Rauschmitteln stand.

Vor Gericht macht der Beschuldigte weiter von seinem Recht Gebrauch, die Aussage zu verweigern. Über seinen Anwalt Bernhard Mussgnug bat er gestern darum, ein Video mit dem Leichnam seiner Mutter nicht mit ansehen zu müssen. Das Gericht willigte nur teilweise ein und bestand darauf, dass er im Gerichtssaal bleibt, sich aber abwenden darf.

Der Prozess wird am heutigen Mittwoch um 9 Uhr fortgesetzt und soll – nach einer Urlaubspause – mit drei Verhandlungstagen am 25. August, 2. und 4. September fortgesetzt werden. Die Schwester der getöteten Frau lässt sich als Nebenklägerin durch einen Rechtsanwalt vertreten. Wann der psychiatrische Sachverständige, dem im Verfahren entscheidende Bedeutung zukommt, sein Gutachten abgibt, ist derzeit noch unklar.