Rudi Knapp und seine Eltern Maria und Rudolf in ihrer "Liederhalle": Die Dekoration im Hintergrund stammt noch von der verstorbenen Sandra Knapp. Foto: Schickle Foto: Schwarzwälder-Bote

Familie Knapp gibt ihr Gasthaus auf / Verstorbene Juniorchefin hinterlässt zu große Lücke / Geschichtsreicher Ort

Von Verena Schickle

Rottweil. Die Rottweiler "Liederhalle" hat am 30. Oktober zum letzten Mal geöffnet. Mit ihr schließt eine Traditionsgaststätte, die seit 1884 zur Stadt gehört.

Das Leben der Knapps ist mit der "Liederhalle" untrennbar verbunden. Das Gasthaus war der Grund, warum die Familie vom Tettnang am Bodensee, wo sie einen Betrieb gepachtet hatte, in die älteste Stadt des Landes gekommen ist. Am 21. März 1985 eröffneten Maria und Rudolf Knapp ihre erste eigene Wirtschaft: Sie hatten die "Liederhalle" gekauft. Bis heute arbeiten sie nicht nur in dem Gebäude in der Präsenzgasse, sondern leben auch dort.

Die Verantwortung allerdings haben sie bereits vor 13 Jahren an ihre Kinder Sandra und Rudi Knapp übergeben. Der Sohn, gelernter Koch, hat am Herd das Sagen, die Hotelfachfrau war im Gastraum die Chefin. Bis im Juni: Dann starb Sandra Knapp im Alter von nur 44 Jahren. Seither hat sich in der "Liederhalle" viel verändert. Rudolf Knapp, inzwischen 81-jährig, steht wieder an jedem Öffnungstag hinter der Theke und bedient die Gäste. "Allein hätte ich es definitiv nicht geschafft", sagt Sohn Rudi.

Trotzdem zieht die Familie jetzt einen Schlussstrich und schließt ihre "Liederhalle". Ohne die Schwester ist die Arbeit nicht zu schultern, mit Personal von außen nicht rentabel. Die Mutter ist zudem demenzkrank. "Der Abschied fällt schwer", sagt Rudi Knapp. Dennoch habe er abwägen müssen zwischen Herzblut und Verstand. Auch, weil für das Privatleben, für Freundin und Tochter, zuletzt kaum mehr Zeit blieb.

Das Gasthaus hat am 30. Oktober zum letzten Mal geöffnet. Was die Familie ärgert, sind Gerüchte über eine mögliche Schließung, die schon kurz nach dem Tod der Juniorchefin die Runde machten. Dabei, sagt Rudi Knapp, hätten sie erst einmal zur Ruhe kommen müssen, um eine Entscheidung zu treffen. Das ist jetzt passiert.

Der 40-Jährige wird künftig anderswo wieder als angestellter Koch arbeiten, die "Liederhalle" dennoch wird weder verpachtet, noch verkauft. Die Familie bleibt dort wohnen und hat schon eine Idee für eine weitere Nutzung. Mehr wollen die Knapps noch nicht sagen. Nur: Eine Wirtschaft wird es nicht mehr geben.

Dabei war die "Liederhalle" gut 130 Jahre lang ein fester Treffpunkt für viele Rottweiler. Die erste Wirtschaft unter diesem Namen betrieb ab 1884 Wilhelm von Khuon. Damals befand sich die "Liederhalle" an der Ecke Lorenzgasse/Metzgergasse, ein Saalbau schloss sich an der Präsenzgasse an, wie der frühere Stadtarchivar Winfried Hecht in den Rottweiler Heimatblättern schreibt. Im Saal hatten 700 Personen Platz. Zur Fasnet 1885 trat die "Liederhalle" laut Hecht erstmals ins Rampenlicht: mit "Carneval-Tänzen". Bis heute ist sie eine der Schmotzigen-Kneipen. Früher war sie ein Ort für Großveranstaltungen: das Festbank zu Kaisers Geburtstag am 23. Januar 1910 etwa, ein Auftritt vom "Herrn Pisjakoff aus Moskau", dem angeblich größten und schwersten Riesen der Welt im Jahr 1908. Bereits Ende des 19. Jahrhunderts hatte die Dresdner Pianistin Marie Wieck Konzerte gegeben, und 1928 fand die erste Modenschauschauen im großen Saal statt.

Im Jahr 1972 brannte das Gebäude nieder. Die Geschichte der "Liederhalle" endet damit indes nicht: Das Areal wurde neu bebaut, und 1984 übernahmen die Knapps die Wirtschaft. Inzwischen haben sie viele langjährige Gäste, die mit der Zeit zu Freunden geworden seien, sagt Rudi Knapp. Der Jahrgang 1938/39 etwa treffe sich seit 27 Jahren dort.

Seine Schwester sei für ihre warmherzige, fröhliche und offene Art von vielen geschätzt worden. Sie ist auch nach ihrem Tod in der "Liederhalle" präsent. Viel Wert habe Sandra Knapp nämlich auch darauf gelegt, dass die Gäste sich wohlfühlen. Die Sommerdekoration in Orange und Hellgrün stammt noch von der 44-Jährigen. Die Deko bleibt – bis zum letzten Tag, an dem die "Liederhalle" geöffnet hat.