Vor dem Landgericht Rottweil muss sich derzeit ein 57-jähriger Mann verantworten. Foto: Nädele

Zum Vorwurf des versuchten Mordes ist noch viel zu klären. Terminierung jetzt bis Anfang August.

Rottweil/Trossingen - Wie beurteilen psychiatrische Gutachter den Mann, der am 13. Dezember 2015 seine Frau vor dem gemeinsamen Haus in Trossingen mit einem Jagdmesser lebensgefährlich verletzt hat? Die Mutter dreier Kinder war Wochen zuvor ausgezogen, wollte das jüngste Kind vom Wochenendbesuch beim Vater abholen. Dabei hatte der Mann plötzlich ein Messer in der Hand. Um zu töten oder um zu drohen? Sollte es ein Hilferuf des 57-Jährigen sein, mit dem der Herzkranke wieder einmal auf seine eigenen Nöte aufmerksam machen wollte? Geschah die Verletzung, weil die Frau sich unvermittelt bewegte und die Schneide nur deshalb fast zur tödlichen Waffe wurde? Es gibt viele Fragen, zu denen im Prozess wegen versuchten Mordes noch Antworten gefunden werden müssen.

Am Donnerstag holte Karlheinz Münzer als Vorsitzender der ersten Schwurgerichtskammer am Landgericht Rottweil bei den Prozessbeteiligten das Einverständnis für eine besondere Belehrung ein. Zur Klärung des Tathergangs soll es eine möglichst genaue Rekonstruktion des Vorfalls geben. Das Tatopfer soll dazu mit einbezogen werden. Münzer will darauf einwirken, dass die 42-Jährige auf ihr Untersuchungsverweigerungsrecht verzichtet. In welchem Rahmen das Geschehen könnte, muss gegebenenfalls auch geklärt werden. Bei der Zeugenvernehmung am ersten Verhandlungstag musste der Angeklagte wegen der zu befürchtenden übergroßen psychischen Belastung für seine Frau deren Darlegungen per Videoübertragung auf einem anderen Stockwerk verfolgen.

Zur Beurteilung des Tathergangs bei einer Rekonstruktion des Geschehens erhofft sich der rechtsmedizinische Gutachter auch durch Beiziehung einer Physikerin und einer Textilsachverständigen Hilfestellung, waren doch auch an der Jacke des Opfers Schnittlinien eines Messers aufgetaucht, deren Deutung ebenfalls wichtig werden könnte.

Dass die Persönlichkeit des Täters schwer zu fassen ist, machten auch am gestrigen vierten Verhandlungstag verschiedene Zeugen deutlich. Psychologen, die mit dem Mann kurzzeitig zu tun hatten, beschreiben ihn als wenig aufgeschlossen. Ein Facharzt beurteilte ihn 2015 nach einem 20-Minuten-Kontakt als schwer depressiv, möglicherweise wegen der Ende 2014 eingetretenen Herzerkrankung und des späteren Drucks, sich beruflich wieder eingliedern zu lassen. Interesse, sich helfen zu lassen, habe der Mann kaum gezeigt, bestätigt auch ein anderer Facharzt.

Eine Spielhallen-Aufsicht bezeichnete den 57-Jährigen gestern als guten Freund, der immer nett sei. Auch ein Mitarbeiter einer anderen Rottweiler Spielothek beschreibt eine Person, die nie gespielt und immer nur Spezi oder Kaffee getrunken habe und immer zuvorkommend unterwegs gewesen sei. Die Dame des Casinos lobt den langjährigen Bekannten ohnehin. Seine Frau habe er immer angebetet, plaudert sie redselig über ihre Empfindungen aus Small-talk-Unterhaltungen mit dem Angeklagten. Einblicke ins Familienleben des Täters habe sie aber überhaupt keine gehabt.

Ihre beschönigenden Worte stehen deutlich im Gegensatz zu den Darlegungen des Opfers, das ihren Mann als einen schwierigen Einzelgänger beschreibt, der fürs Familienleben immer weniger übrig gehabt habe. Die 47-jährige Schwester des Angeklagten, die das Wesen des 57-Jährigen vielleicht greifbarer machen und obige Meinungslinien etwas zusammenführen hätte können, machte gestern von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch. Bis auf eine ihm von einem Verteidiger diktierte Erklärung zu einer Unfallversion beim Tatgeschehen äußerte sich der Angeklagte bisher nicht und lässt dadurch auch zu seiner Persönlichkeit viel im Dunkeln.

Das Gericht wird sich angesichts des komplexen Beurteilungsbogens mehr Zeit nehmen als geplant. Die für den 30. Juni und den 1. Juli anberaumten Verhandlungstage sind aufgehoben. Neue Termine sind am 8. und 28. Juli sowie am 3. und 4. August.