Der angeklagte Rottweiler Student mit seinen Anwälten. Er ist vom Totschlagsvorwurf freigesprochen worden. Foto: Weigel

Prozess: 27-jähriger Angeklagter hat möglicherweise in Notwehr gehandelt. Messerstich ist erwiesen.

Rottweil/Marburg - Ein 27-jähriger Student aus Rottweil wurde am Montag vor der Schwurgerichtskammer des Marburger Landgerichts vom Vorwurf des Totschlags freigesprochen.

Es könne nicht ausgeschlossen werden, so hieß es in de Urteilsbegründung, dass es sich bei den tödlichen Messerstichen am frühen Morgen des 12. Oktober 2014 in Marburg um eine Notwehr-Lage gehandelt habe. Ein 20-jähriger Student war bei einem eskalierenden Streit zwischen zwei rivalisierenden Gruppen durch einen Messerstich ins Herz gestorben. Unser Kollege der Oberhessischen Presse berichtet:

Mit unbewegten Gesichtern nahmen der Angeklagte und seine drei Verteidiger gestern das Urteil zur Kenntnis. Auf das Recht des letzten Wortes hatte der Angeklagte verzichtet, nachdem er zu Beginn der Hauptverhandlung sein großes Bedauern über das tödliche Ende des Streits vor einem Nachtclub ausgedrückt hatte. "Es war ein tragisches Ereignis", sagte Sascha Marks, einer der Verteidiger im Anschluss an die Urteilsverkündung.

Wie der tödliche Messerstich im Nachhinein juristisch zu bewerten war, dazu gab es allerdings unterschiedliche Ansichten der Verfahrensbeteiligten. Der Vertreter der Staatsanwaltschaft forderte in seinem Schlussplädoyer, den Angeklagten wegen Totschlags in einem minderschweren Fall zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren zu verurteilen. Der Tathergang sei basierend auf einer Vielzahl von Zeugenaussagen insofern erwiesen, als dass der 27-jährige Angeklagte am Morgen des 12. Oktober 2014 einen 20-jährigen Studenten mit einem gezielten Messerstich ins Herz getötet habe. Dabei habe er eine tödliche Verletzung zumindest billigend in Kauf genommen.

Es sei davon auszugehen, dass er das Taschenmesser mit einer Klinge von zehn Zentimetern Länge aus seiner Jackentasche geholt habe, als das spätere Opfer mit einer zu einem mobilen Verkehrsschild gehörigen Eisenstange auf ihn losgegangen sei. Notwehr sei dann aber nicht erforderlich gewesen, um den Angriff abzuwehren, so der Staatsanwalt. Der Angeklagte habe dann direkt mit dem Messer zugestoßen, ohne auszuweichen oder das Opfer zu warnen. Geschehen sei diese Tat im Zustand der verminderten Schuldfähigkeit, denn der stark angetrunkene Angeklagte habe zur Tatzeit einen Blutalkoholwert von 2,8 Promille aufgewiesen.

Der Staatsanwalt stufte die Tat als einen minderschweren Fall des Totschlags ein. Als mildernde Umstände führte er an, dass der Angeklagte nicht vorbestraft sei, glaubhaft Reue gezeigt habe und sich auch in einer notwehr-ähnlichen Lage befunden habe.

Die Schwurgerichtskammer unter Vorsitz von Richter Carsten Paul folgte dem Plädoyer der Staatsanwaltschaft nicht. Zwar sei "der objektive und subjektive Tatbestand eines vorsätzlichen Tötungsdelikts" in diesem Fall gegeben. Denn dass es den tödlichen Messerstich durch den Angeklagten gegeben habe, habe die Beweisaufnahme ergeben. Entscheidend sei aber für die Kammer gewesen, dass nicht auszuschließen sei, dass sich der Angeklagte in einer Notwehr-Lage befunden habe und dass das Herausholen und der Einsatz des Messers in Notwehr geschehen sei. Dass das spätere Todesopfer auf den Angeklagten aggressiv zugegangen sei und ihn getreten habe, habe eine Art "Kampf-Situation" bedeutet.

Schwere Vorwürfe machte Wolfgang Burkhard, einer der drei Verteidiger, den Ermittlungsbehörden in seinem Plädoyer. So seien im Laufe des Ermittlungsverfahrens zahlreiche Fehler passiert, kritisierte Burkhard. Die Ermittlungsakten wiesen eine Reihe von Widersprüchen auf. Dass der Angeklagte einen gezielten Messerstich ausgeführt habe, wie in der Anklage behauptet, sei zudem ein mehr als zweifelhafter Sachverhalt, der sich auch in der Hauptverhandlung so nicht ergeben habe. "Der Angeklagte ist unglücklicherweise mit dem Opfer zusammengestoßen, dabei kam es zu dem Messerstich", fasste Burkhard die Meinung der Verteidigung zusammen. Burkhards Verteidiger-Kollege Sascha Marks beantragte Freispruch für den Angeklagten.

Übrig blieb noch der zusätzliche Anklagevorwurf des Besitzes einer Präzisionsschleuder samt Kugel-Munition, die bei einer Hausdurchsuchung gefunden worden war. Aufgrund eines Verstoßes gegen das Waffengesetz verurteilte das Gericht den Angeklagten für den Besitz dieser gefährlichen Waffe zu einer Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu je 20 Euro. Für seine Untersuchungshaft in der Zeit vom 1. November bis zum 9. Dezember 2014 steht dem Angeklagten eine Entschädigung zu.