Über den Dächern von Rottweil und in den Herzen der Menschen: Peter Staatsmann und Bettina Schültke, die Intendanz des Zimmertheaters. Foto: Schulz

Peter Staatsmann und Bettina Schültke leiten seit einem Jahr das Zimmertheater. Rück- und Ausblick. Mit Kommentar.

Rottweil - Ihr erstes Jahr in Rottweil ist vorüber. Seit zwölf Monaten leiten Bettina Schültke und Peter Staatsmann das Zimmertheater Rottweil. Ein Jahr, in dem sie in ihren Stücken der Frage nachgegangen sind, wem die Welt gehöre. Das mündete in muntere Theater-Abende, lebhafte Diskussionen – und in ein Konzept zur Zukunft des Zimmertheaters.

 Mit Goethes Faust fing alles an. Das war das Premieren-Stück von Bettina Schültke oder Peter Staatsmann. Mit dem Sturm von Shakespeare, dem Sommertheaterstück im Bockshof, endete es, das erste Jahr. Beide sind sie Intendanten und Geschäftsführer des Zimmertheaters, der einzigen festen Schauspielbühne in der Region. Sie, die sie an den namhaften Bühnen in Deutschland ihre Handschrift hinterlassen haben, wollten in Rottweil zu den Wurzeln des Theatermachens zurück. Sie suchten, was es an nicht mehr vielen Orten gibt: echte Schauspielkunst. Sie haben sie hier gefunden. "Die Menschen hier in Rottweil und in der Region wissen das Theater zu schätzen", ist die Erfahrung der beiden. Hier ist die Welt (fast) noch in Ordnung, haben die Zerfallserscheinungen im Kulturbetrieb noch nicht um sich gegriffen, geht nicht alles hoppla-hopp. Was nicht heißt, dass man nicht doch das eine oder andere kritisch zu überdenken hätte. u

Anstoß zu Reflexion, Diskussion und Nachdenken – neben der ästhetischen Erfahrung ist es das, was Theaterproduktionen auslösen können und sollen. Staatsmann und Schültke ist das unter anderem mit dem Stück "Schwäne des Kapitalismus" gelungen. Ein Kreis aus 40 bis 50 Personen aus unterschiedlichen gesellschaftlichen und Berufsschichten hat nach der Aufführung im Theatercafé gesessen und über Wohl und Wehe des Kapitalismus’ gesprochen, vom Vorstandsvorsitzenden einer Bank über den Landwirt aus der Region bis hin zum Gewerkschaftsmitglied. u Schöne Erinnerungen verbinden beide auch mit dem Familienstück "Die wundersame Reise des Edward Tulane" oder dem Jugendstück "Tschick". Überhaupt ist es ja so, dass das Zimmertheater bereits heute den gesamten Landkreis mit Kinder- und Jugendtheatervorstellungen versorgt. Über 8000 Schüler kommen ins Haus. Auch Schulen und Kindergärten aus anderen Landkreise besuchen das Zimmertheater. Daran wollen Schültke und Staatsmann anknüpfen. Zum einen mit ihrem Programm für ihre zweite Spielzeit, zum anderen mit einem Konzept, mit dem Verein und Theaterleitung die Zukunft des Zimmertheaters sichern wollen.

 Zum neuen Programm: Das Motto lautet "Familien/Bande" oder die Innenwelt der Außenwelt. Es geht beiden darum, die Erosion des Traditionellen, von Familienstrukturen, von gesellschaftlichen Klammern, hervorgerufen durch die moderne Welt, darzustellen. Der Angriff auf die Familienbande erfolgt durch einen gesellschaftlichen Ultramodernismus und führt, so Staatsmann, zu einer maßvollen Verteidigung dieser Bande. Eröffnet wird die Spielzeit 2014/15 am 12. September mit der Premiere von "Die Leiden des jungen Werther" von Johann Wolfgang Goethe (ab 13 Jahre). Die weiteren Premieren sind am 24. Oktober "Kabale und Liebe" von Friedrich Schiller (ab 14), am 30. November "Alice im Wunderland" von Lewis Caroll (ab 4), "Angstmän" von Hartmut El Kurdi am 16. Januar (ab 7) und "Wer hat Angst vor Virginia Wolff" von Edward Albee am 27. Februar (für Erwachsene). Im April ist Premiere von Samuel Becketts "Glückliche Tage", das Sommertheater im Bockshof startet am 3. Juli mit Victor Hugos Stücke "Der Glöckner von Notre Dame".

Darüber hinaus gibt es Programm im Café, Lesungen, Konzerte, Aufführungen der Jugendclubs, die Kabarett-Reihe "Lachen besiegelt" sowie "Die lange Nacht des Kabaretts" und der Goldene Rottweiler am 4. und 5. März.

Info: Regio-Theater

Vision

Zimmertheaterverein und Intendanz haben eine Vision: das Regionaltheater 2020. Die Attraktivität des Standorts werde nur dann zu halten sei, wenn junge Menschen nach ihrer Ausbildung oder ihrem Studium sich für die Region als Wohn-, Arbeits- und Lebensort entscheiden, heißt es in dem Konzept. Das Zimmertheater verweist auf die Hierbleiber-Kampagne der IHK. Wirtschaft und Kultur befruchteten sich gegenseitig: Über den rein ideellen Anreiz hinaus sei mittlerweile belegt, dass sowohl direkte wie indirekte ökonomische Effekte entstünden.

Ideen

Das Zimmertheater kann sich vorstellen, bei entsprechender Unterstützung die Region nachhaltig, kontinuierlich und flächendeckend mit Theater zu versorgen. Unter anderem sehen die Überlegungen mehr mobile Produktionen, eine Steigerung der Aufführungen auf das Doppelte, differenziertere Stücke für Kinder und Jugendliche, Vernetzung mit anderen kulturellen Institutionen der Region sowie Bürgerbühne und Mitmachtheater vor.

Finanzen

Nicht alles, aber vieles hängt vom lieben Geld ab. Dabei ist das Zimmertheater bereits jetzt mit dem Jahresbudget von 300.000 Euro knapp dran. Kostendeckendes Arbeiten im Kinder- und Jugendbereich ist so nicht möglich. Das Regionaltheater 2020 hätte ein Gesamtbudget von 1,2 Millionen Euro. Neben Eintrittspreisen von 300.000 Euro wird es getragen vom Land mit 350.000 Euro, vom Regionalverband, Landkreisen und Kommunen (gesamt 350.000 Euro) und von privaten Sponsoren und Gönnern (200.000 Euro).

Kommentar: Auf ein Zweites

Armin Schulz

Sie haben geschuftet und mit klugen Ideen sowie tollen Inszenierungen brilliert. Die beiden Intendanten Bettina Schültke und Peter Staatsmann haben ein sehr gutes erstes Jahr am Zimmertheater Rottweil absolviert. Auch wenn das Brüche im Personal des Theaters mit sich brachte. Dabei war der Anfang nicht einfach. Die bisherige Leitung, Tonio Kleinknecht und Tina Brüggemann, hatte schon einen prima Job gemacht. Dazu kam der Machtkampf im Trägerverein, der dem Wechsel in der Leitung des Schauspielhauses vorausging. Er endete damit, dass der alte Vorstand abdankte und mit ihm der Hauptsponsor. Jetzt gibt es einen neuen Vorstand, neue Sponsoren, eine neue Intendanz. Doch eines – beruhigend – ist mindestens gleichgeblieben: die Qualität des Theaters. Darauf lässt sich aufbauen. Auf das zweite Jahr darf man sich freuen.