Foto: Patrick Nädele

Aufzughersteller ThyssenKrupp präsentiert mit "Multi" in Rottweil seillose Antriebstechnik. Mit Video

Rottweil - Das weltweit erste seillose Aufzugssystem hat Thyssen-Krupp Elevator (TKE) am Donnerstag in Rottweil vorgestellt. Die "Multi" genannte Methode soll die seit 160 Jahren bestehende Aufzugstechnik revolutionieren und Aufzüge erstmals auch zur Seite fahren lassen.

Es ist bemerkenswert, dass in Rottweil, einer Kommune mit gerade einmal 25.000 Einwohnern, deren höchste Gebäude bis vor Kurze Kirchtürme waren, eine Technik vorgestellt wird, die für die Mega-Citys dieser Welt und deren Wolkenkratzer gedacht ist. Multi heißt das neue System, das der Aufzughersteller TKE mit Sitz in Essen am Donnerstag im dafür extra erbauten Testturm in der Kleinstadt am Neckar 200 Gästen aus aller Herren Länder präsentiert. Darunter Architekten, Planer und Entwickler. Es ist eine Weltpremiere, an der auch einer der beiden Väter des Rottweiler Testtowers für Hochgeschwindigkeitsaufzüge teilnimmt: der Stuttgarter Architekt Werner Sobek.

System ermöglicht auch Seitwärtsfahrten

Das Neue: "Multi" kommt ohne ein Seil aus und lässt gleich mehrere Kabinen nicht nur nach oben und unten durch die Schächte fahren, sondern auch seitwärts. Das, so verspricht TKE-Vorstandsvorsitzender Andreas Schierenbeck, sei ihre Antwort auf die enormen Entwicklungen in den Großstädten. Es sei der Beginn einer neuen Ära.

Immer mehr Menschen zieht es in die Metropolen. In immer höheren Gebäuden werden diese untergebracht. Seit dem Jahr 2000 hat sich weltweit die Zahl der Hochhäuser mit einer Höhe von 200 Metern vervielfacht, jedes Jahr kommen mehr als 100 dazu. Die Herausforderung: Menschen bequem, zügig und sicher in den Skyscrapern an Ort und Stelle zu bringen. Das Seilsystem, das den Aufzugsbau seit 160 Jahren dominiert, stößt hier offenbar an seine Grenze.

Die Multi-Technik des Essener Aufzugsspezialisten, die in dem 246 Meter hohen Gebäude in Rottweil seit Monaten verfeinert wird, soll dieses Problem lösen helfen: Mit dem seillosen System könnten die Transportkapazitäten um 50 Prozent gesteigert, gleichzeitig der Energieverbrauch um bis zu 60 Prozent gesenkt werden. Die Höhe der Gebäude soll im Gegensatz zur herkömmlichen Technik zu keinen Einschränkungen führen. Zudem sollen sich Planern und Architekten durch die horizontale Nutzung der Aufzüge neue Möglichkeiten im Aussehen und der Struktur hoher Gebäude ergeben.

Zwei technische Grundideen führt der Aufzughersteller weltweit erstmals zusammen: das Antriebssystem, das für die Magnetschwebebahn, den Transrapid, entwickelt wurde, und die vom Paternoster her bekannte Möglichkeit, mehrere Kabinen in einem Schacht gleichzeitig verkehren zu lassen.

"Es ist kein kleines, es ist ein großes Ding", sagt Schierenbeck selbstbewusst, bevor er zusammen mit TKE-Mitarbeitern, die an der neuen Technik getüftelt haben, per Druck auf den blauen Knopf publikumswirksam eine Multi-Kabine auf die Reise durch den als Heiligen Gral bezeichneten neuen Aufzugsschacht schickt. Im smarten Kugelzelt nebenan ist ihm der Applaus seiner Gäste sicher. Diese verfolgen das Geschehen auf einer riesigen Videowand.

Ein erster Kunde ist bereits gefunden

Freilich ist der TKE-Chef nicht hineingestiegen, überhaupt ist das eine Leerfahrt: Zur Personenbeförderung fehlt noch die behördliche Genehmigung. Dafür steht bereits der erste Kunde fest: OVG Real Estate will die Multi-Aufzüge in einem neuen Hochhaus in Berlin, dem East Side Tower, einbauen. OVG hat sich weltweit einen Namen gemacht mit der Entwicklung von The Edge, dem nach eigenen Angaben nachhaltigsten Bürogebäude der Welt, das in Amsterdam steht.

Während im Innern des Testturms der Aufzugspezialist seine gelungene Premiere feiert, sind die Handwerker außen unter Hochdruck an der Außenhülle dran. Fast alles hat bei diesem 40-Millionen-Euro Projekt geklappt wie am Schnürchen. Nur mit der Membran, die die Betonhülle des Turms vor Witterungseinflüssen und starken Winden schützen soll, tun sich Techniker, Planer und Arbeiter schwer. Für den Herbst ist die offizielle Eröffnung geplant. Bis dahin soll die Hülle sitzen.

Weiteres reizvolles Detail dieses TKE-Projekts in Rottweil ist die Aussichtsplattform auf 220 Metern Höhe. Sie ermöglicht bei guter Witterung eine Fernsicht bis zu den Alpen. Sie ist die höchste in Deutschland und wird für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Aber erst, wenn alles fertig ist, also auch die Außenhaut.