Jürgen Mehl am Ort seiner Kindheit. Im Hintergrund die Stadtsilhouette wie man sie vom Himmelreichwäldle aus sieht. Foto: Schulz

Jürgen Mehl spricht am Platz seiner Kindheit über das geplante Projekt von ThyssenKrupp und die Auswirkungen auf die Stadt.

Rottweil - Wenn der Testturm auf dem Berner Feld einmal steht, wird die Stadt ein anderes Gesicht haben. Davon geht Jürgen Mehl aus. Er lebt seit seiner Kindheit in Rottweil. Wir trafen uns mit ihm im Himmelreichwädle, dem Ort seiner Kinder- und Jugendzeit.

Als der Plan, in Rottweil (damals noch im Neckartal) einen Turm zu Testzwecken für Aufzüge zu bauen, in der ersten Bürgerversammlung vorgestellt wurde, fungierte er als Euphoriebremse. Zumindest versuchte es Jürgen Mehl. Das war im Mai vergangenen Jahres. Eineinviertel Stunden lang lief die Präsentation im Kapuziner bereits, so lange schwelgten die Verantwortlichen in den höchsten Tönen vom Projekt, hörten die Besucher mit zunehmender Begeisterung zu, da trat Jürgen Mehl auf den Plan und griff sich ein Mikrofon.

Mehl ist Mitglied im Geschichts- und Altertumsverein der Stadt, ein Verein, der sich um die Wahrung der historischen Wurzeln und um die Identität der Stadt bemüht. Mehl äußerte Befürchtungen, das historische Stadtbild und das Landschaftsbild würden zu sehr beeinträchtigt werden. Der Turm und die Stadt, so seine Meinung, vertragen sich nicht miteinander.

Seitdem ist über ein Jahr vergangen, der Turm kommt nicht mehr ins Neckartal, sondern soll auf dem Berner Feld errichtet werden. Als ThyssenKrupp Elevator (TKE) einen Ballon steigen lässt, um den Bürgern in Rottweil ein Gefühl für die Höhe des Turms zu geben, bewegt sich Mehl kreuz und quer durch Rottweil. Er erforscht die späteren Sichtbeziehungen und sieht seine Einwände bestätigt. Der "Gigant" passe einfach nicht zu Rottweil.

Wir treffen uns im Himmelreichwäldle. Als Kind hat Jürgen Mehl den dortigen katholischen Kindergarten besucht, sein Weg nach Hause, das damals in der Waldtorstraße lag, führte durch die historische Innenstadt. Das Himmelreichwäldle ist auch der Ort seiner Jugend. Weiter oben gab es einen Fußballplatz. Im Wäldle hat Jürgen Mehl seine erste Zigarette geraucht. Von dort aus hat man einen sehr guten Blick auf Rottweil und seine Türme. Geht es nach den Plänen von TKE, Stadtverwaltung und großen Teilen des Gemeinderats, wird sich ein weiterer Turm ins historische Stadtbild schieben: 246 Meter hoch, der Außendurchmesser beträgt fast 25 Meter. Zum Vergleich: Der Hochturm hat eine Kantenlänge von neun bis zehn Metern.

Dabei ist es nicht nur die Optik, der Eingriff in die Stadtsilhouette, die ihn stört, sondern auch, dass die Verwaltung offensichtlich nicht auf Augenhöhe mit TKE agiert. Seit den Kommunalwahlen im Mai sitzt der 56-Jährige für die SPD im Gemeinderat. Er bemängelt, dass in dem städtebaulichen Vertrag eine zu geringe Summe für Ausgleichsmaßnahmen festgesetzt sei, die TKE zu leisten habe. Von 125 000 Euro sei die Rede. Die Verschönerung von Stadtgraben und Nägelesgraben würden indes bereits 180.000 Euro kosten. Das würde bedeuten, die Stadt müsste die Differenz ausgleichen. Hätte man ein anderes Verfahren (Ausgleichsabgabeverordnung, AAVO) angewandt, dann hätte man bis zu fünf Prozent der Baukosten als Summe für Ausgleichsmaßnahmen ansetzen können. Also rund eine Million, so Mehl. Doch dazu, hätte die Verwaltung ein vorhabenbezogenes Bebauungsplanverfahren anstrengen müssen.

Weitere Vereinbarungen gelte es zu hinterfragen, so Mehl. Etwa die touristische Nutzung der Aussichtsplattform. Wer bestimmt, wann sie geöffnet werden darf? Und verträgt unsere Stadt überhaupt den Massentourismus, den man sich erhofft?

Der promovierte Mediziner sagt, es komme ihm vor, als säße da ein alternder Playboy mit einer hübschen Blondine im Porsche. Viele Rottweiler fühlten sich eben geehrt von der Aussicht, bald den größten Industrieturm Europas vor der eigenen Haustüre stehen zu haben.

Wehmut und Trauer verspürt Jürgen Mehl, denn diesen Blick wird es so nicht mehr lange geben. "Das ist politisch gelaufen", sagt er. Viele Menschen in der Stadt würden mit dem Turm große Hoffnungen verbinden, setzten darauf, dass der Turm die Stadt weiterbringen werde, so seine Erfahrung.

Doch die Medaille habe eine zweite Seite. "Das lebenswerte Ambiente geht verloren", sagt er. Rottweil "das war bislang eine gemütliche, ländlich-provinzielle Stadt, aber mit großer Lebensqualität", findet Mehl. "Die Stadt wird nicht mehr die gleiche sein", glaubt er. 

Info: Türmer

Der geplante Testturm von ThyssenKrupp Elevator hat die Stadt verändert, noch bevor dieser überhaupt gebaut wurde. Doch wie ist das wohl, wenn er erst einmal auf dem Berner Feld steht? Wir sprachen mit Rottweiler Bürgern, die sich in den vergangenen Wochen und Monaten intensiv mit dem 246 Meter hohen Turm befasst haben, über ihre Sichtweise auf den Turm und ihre Stadt. Der Ort des Gesprächs: Ihr Lieblingsplatz in Rottweil.