Dieter Linke im Untergeschoss der Montageplattform Foto: Nädele

Fingerspitzengefühl bei rauen Bedingungen. Nun soll Plattform für nächsten Bauabschnitt um 20 Meter abgesenkt werden.

Rottweil - Das Baustellentreiben spiegelt sich in den Sonnenbrillen der Industriekletterer wider. Die Männer seilen sich von der Turmspitze herab, stoßen sich von der dunkelgrauen Betonwand ab, pendeln kurz über dem Abgrund. Nur wenige bleiben beim Blick in die Tiefe so gelassen wie die Spezialisten, die eine langjährige und harte Ausbildung durchlaufen haben.

Sie sind aus ganz Europa gekommen, um auf einer der höchsten Baustellen Deutschlands zu arbeiten: Dem Rottweiler Aufzugstestturm. Wortfetzen verschiedenster Sprachen übertönen das unstete Surren der Winden, mit denen derzeit die Membranfassade am Betonturm hochgezogen wird.

Ebenso ungewöhnlich wie der Arbeitsplatz der Männer ist der Weg dorthin. Mit dem Feuerwehraufzug geht es in die 22. Etage des Turms. Von dort aus geht es zu Fuß weiter. Der Ausstieg aus einem Fenster auf ein Baugerüst ist abenteuerlich. Den einen Fuß fest auf der Leitersprosse, den anderen im Fensterrahmen. Und kurz zuckt der Blick nach unten – fällt durch einen kleinen Spalt ins Bodenlose. Bereits hier verstärkt der Wind das aufkommende Schwindelgefühl. Das Gerüst führt auf eine zehn Meter breite, ringförmige Montageplattform. Der Wind frischt auf und zerrt an deren dunkelbraunen Bodenplatten, versetzt sie leicht ins Schwingen. Die ausgeklügelte Konstruktion verläuft in einer Höhe von 193 Metern rund um den Aufzugstestturm.

Eine Sonderanfertigung für diese einzigartige Baustelle in luftiger Höhe. Taiyo Europe hat sie selbst entwickelt, gebaut und zugelassen. Dafür ist der Membranbauspezialist unter die Maschinenbauer gegangen. Das Unternehmen verkleidet derzeit den Rottweiler Turm mit seiner einmaligen Membranfassade.

Monteure ziehen Felder wie im Segelbau auf – ein echter Knochenjob

Die Sonne brennt unerbittlich auf die Konstruktion, bleicht bereits die leicht bräunliche Hülle aus, blendet auf den Leuchtwesten der braun gebrannten Kletterer. Ihnen bleibt wenig Zeit, den Panoramablick über den Schwarzwald in sich aufzunehmen, denn trotz der traumhaften Kulisse bleibt es ein Knochenjob, die Fassade des Testturms einzukleiden.

Dem Segelbau nachempfunden, setzen die Arbeiter seit etwa 15 Tagen riesige Felder aus mit Teflon beschichtetem Glasfasergewebe in Kederschienen ein, die an Spiralrohren befestigt sind. Dafür ist Fingerspitzengefühl erforderlich. Stück für Stück ziehen Winden an, während mit vereinten Kräften die Ausrichtung der leicht durchsichtigen Membranfelder überprüft wird. Mit einer Größe von etwa zwölf auf 18 Metern wiegt ein einzelnes Feld im Schnitt 400 Kilogramm. Trotz dieser gigantischen Ausmaße ist bei der Montage filigrane Feinarbeit gefragt. Das sonst so widerstandsfähige Gewebe darf unter keinen Umständen geknickt werden. Um das zu verhindern, pinseln Arbeiter von der Plattform aus die Keder ständig mit Seifenlauge ein, die Kletter überprüfen den Lauf in der Schiene.

Ihnen kommt die stechende Sonne gelegen, denn schlägt das Wetter um, müssen die Arbeiten unterbrochen werden. Bereits bei einer Windgeschwindigkeit von fünf Metern pro Sekunde wird das Arbeiten unmöglich. Das hat in den vergangenen Wochen dafür gesorgt, dass immer wieder auf Nacharbeiten ausgewichen wurde. Dann werden unter anderem die vielen Spannschrauben nachgezogen, die die Fassaden in Form bringen.

Umso mehr stehen Projektleiter und Mitarbeiter unter Druck, die Verkleidung möglichst rasch anzubringen. Sie arbeiten rund um die Uhr an sechs Tagen die Woche, in einer Tag- und einer Nachtschicht. Nur zwischen fünf und sieben Uhr morgens stehen die Maschinen still. Auch der öffentliche Druck wächst, schließlich sind die Arbeitsfortschritte jetzt weithin sichtbar.

Im Gegensatz zu den monatelangen Vorarbeiten, die für die meisten im Verborgenen abgelaufen sind. Seit August vergangenen Jahres bohrten die Arbeiter zwischen 5000 und 6000 Löcher in die Betonwände des Turms. Das war in den Wintermonaten besonders beschwerlich, zu eisigem Wind und Schneefall kam hinzu, dass das Bohrwasser beheizt werden musste.

Dazu sah sich Taiyo Europe mit weiteren Herausforderungen konfrontiert. So sollte die Membran ursprünglich über ein Gerüst angebracht werden. Während des Planungsprozesses hatte sich allerdings herausgestellt, dass dafür eine bewegliche Plattform notwendig sein wird. Und so hat das Unternehmen den 85-Tonnen-Koloss entwickelt, auf dem Projektleiter und Arbeiter gerade versuchen, gegen den aufkommenden Wind anzureden.

Einzigartige Plattform ist durch leistungsstarke Motoren fahrbar

Über drei zahnradbetriebene Triebstockschienen kann die Montageplattform am Turm bewegt werden. Neun leistungsstarke Motoren sorgen für den Antrieb, wird die Montageplattform bis zum Boden heruntergelassen, dauert das derzeit etwa eine Stunde. Und das trotz eines Drehmoments, der so manchen Motorradfahrer neidisch mache, schmunzelt Entwicklungsingenieur Dieter Linke.

Wegen des Antriebs gilt die Plattform als Maschine, was das Zulassungsverfahren erschwert hatte. So gelten andere Normen, statt eines Ingenieurbüros hat der TÜV Rheinland die Konstruktion geprüft und abgenommen. Im Dezember dann war die Plattform mit 30 Tonnen schweren Wassercontainern beladen zum ersten Mal gefahren.

Die Testphase ist inzwischen längst beendet, in schwindelerregender Höhe sind am Freitag die letzten Membranfelder in die Turmspitze eingezogen worden. In der kommenden Woche soll die Plattform für den nächsten Bauabschnitt um 20 Meter abgesenkt werden.

Dann werden sich die Kletterer weiter nach unten abseilen, die Montageplattform wird mit größeren Membranfeldern beladen. Unregelmäßig wird sich das Surren der Winden wieder mit dem Rauschen des Windes und der steten Geräuschkulisse des Generators mischen. Und die Arbeiter müssen weiterhin Fingerspitzengefühl beweisen auf einer der höchsten Baustellen Deutschlands.