Am Mittwoch bekam der Turm doch sein Bäumchen. Ursprünglich war kein Richtfest geplant. Foto: Nädele

Beim Richtfest zerfließen die Grenzen zwischen technischer Faszination und gesellschaftlichen Aspekten.
 

Rottweil - Es ist Tag 300 seit dem Spatenstich auf der Baustelle des Testturms von ThyssenKrupp Elevator (TKE) in Rottweil. Auf dem Berner Feld ragt das Bauwerk längst unübersehbar in die Höhe und ist schon jetzt zur Landmarke geworden, die weithin deutlich macht: Hier ist Rottweil. Das Wetter meint es gestern nicht ganz so gut, Schauer und eine frische Prise sorgen dafür, dass sich die knapp 17 Grad etwas kälter anfühlen, als es der Blick auf die Quecksilbersäule erwarten lässt. Den Bauarbeitern ist das egal. Sie standen hier seit März bis auf ganz wenige Unterbrechungen eh in drei Schichten rund um die Uhr bei Wind und Wetter auf der Gleitschalungsplattform und haben den Turm mit bis zu 4,65 Metern pro Tag hochgezogen. Nun ist Tag 300, der Tag, an dem die Bauarbeiter im Mittelpunkt stehen sollen, denn ThyssenKrupp und der Generalunternehmer Züblin feiern Richtfest.

232 Meter hoch ist der Turm mittlerweile. Dort, wo er im Moment aufhört, wird die Aussichtsplattform den Blick hinab auf Rottweil und hinaus über den Schwarzwald bis zu den Alpen ermöglichen.

Zunächst war gar kein Richtfest geplant. Dann sollte es ein kleines geben, um die Leistung der Bautrupps und der beteiligten Planer zu würdigen. Jetzt stehen doch rund 250 Gäste auf der Anmeldungsliste, die auf dem Berner Feld mit anstoßen wollen – auf dieses Projekt, das in Rottweil schon jetzt viel angestoßen hat und von dem noch so viel mehr erwartet wird.

Große Erwartungen gibt es auch beim Bauherren: TKE hat hier im Dezember den Grundstein für seine Zukunft gelegt, denn im Rottweiler Industriegebiet werden ab Ende des nächsten Jahres, wenn der Turm in Betrieb genommen ist, die neuesten Mobilitätslösungen des Unternehmens getestet und weiterentwickelt. Aufzugfahren mit bis zu 18 Metern in der Sekunde oder 64,8 Stundenkilometern – die Technik wird aus der ältesten Stadt Baden-Württembergs stammen.

Stolz schwingt auch in den Erzählungen der Arbeiter mit

"Für ThyssenKrupp Elevator wird der Testturm in Rottweil künftig eine Schlüsselfunktion bei der Umsetzung der globalen Innovationsstrategie spielen, die eine maßgebliche Bedeutung für den Erfolg des Unternehmens hat", so Andreas Schierenbeck, Vorstandsvorsitzender von TKE. Gemeinsam mit dem Aufzugswerk in Neuhausen auf den Fildern und als Teil des Forschungs- und Entwicklungsstandorts in Pliezhausen bildet der Testturm das Innovationszentrum für Aufzugstechnologien in Deutschland.

Die Bürger nehmen diese Aussichten – die buchstäbliche von der Besucherplattform wie die sinnbildliche als Innovationsstandort – längst auf. Da gibt es die Rottweilerin, die bei ihrem Trip nach Berlin gleich mal ankündigt, dass die Hauptstädter bald abgelöst werden, was die höchste Aussichtsplattform Deutschlands betrifft. Oder es gibt den Gastwirt, der die Öffnungszeiten seines Lokals anpasst, denn schon in der Bauphase lockt der Turm Tausende Menschen an. Stolz ist man hier in Rottweil auf die "spannende" Baustelle und wird nicht müde, den Touristen beim Bummel in der Innenstadt zu erklären, was da über den Dächern in den Himmel wächst.

Stolz schwingt auch in den Erzählungen der Arbeiter mit, wenn man sich mit ihnen über diese Baustelle unterhält. Sie haben es sich auf dem Berner Feld etwas gemütlich gemacht. Hinter den Containern, die die Baubüros beherbergen, ist spaßeshalber ein Beachvolleyballfeld angelegt. Nach dem abendlichen Schichtwechsel ist bei entsprechendem Wetter das Barbecue zur Tradition geworden.

Auch gestern liegt Essensduft in der Luft, als Oberbürgermeister Ralf Broß (parteilos), Andreas Schierenbeck, Vorstandsvorsitzender von TKE, Züblin-Vorstand Ulrich Weinmann sowie der Architekt Helmut Jahn und Holger Hinz, Geschäftsführer von Werner Sobek mit ihren Reden fertig, der Richtspruch verhallt und das Sektglas am Boden zerschellt sind. Beim Richtfest zerfließen die Grenzen zwischen der technischen Faszination, die das Bauwerk auslöst, und den gesellschaftlichen Aspekten. Einerseits sind es natürlich die Eckdaten des Baus, die gestern eine Rolle spielten, andererseits ging es aber auch um die Bedeutung des Projekts – für Rottweil ebenso wie für ThyssenKrupp Elevator. Beiden Partnern bringt es medienwirksam Aufmerksamkeit über die Region, ja über Deutschland hinaus.

Im September wird mit Einbau des ersten Aufzugs begonnen

Für TKE spielt die Zeit durchaus eine Rolle – und das nicht nur, weil in dem Turm die Entwicklung der Hochgeschwindigkeitsaufzüge weiter vorangetrieben werden wird. Es geht darum, wie viele Menschen in welcher Zeit in einem Gebäude befördert werden können. Ein besonderer Fokus wird in dem Testturm aber auf dem Multi liegen, jener Neuentwicklung, die den Aufzugsbau und auch den Hausbau revolutionieren soll. Ein Modell im Maßstab 1:3 steht bereits bei TKE in Spanien, der 1:1-Prototyp wird in Rottweil ab Ende 2016 zur Marktreife gebracht werden. Schon jetzt im September beginnt TKE mit dem Einbau des ersten Aufzugs in den Turm. Dieser Feuerwehraufzug wird während der restlichen Bauzeit als Lastaufzug dienen und den Außenaufzug ersetzen, mit dem die Arbeiter bislang auf die Plattform kommen. Gleich im Anschluss geht es mit dem Einbau in den Schächten weiter, die für den Testbetrieb des Multis gedacht sind.

Da kommt ThyssenKrupp Elevator zugute, dass beim Bau bislang die Zusammenarbeit aller Beteiligten reibungslos funktioniert – "bei Großprojekten dieser Art keine Selbstverständlichkeit", wie Alexander Keller, bei TKE für Zentral-, Ost- und Nordeuropa zuständig, anlässlich des Richtfests sagt. So wenig selbstverständlich, wie einen Turm in nicht einmal ganz 300 Tagen auf 232 Meter hochzuziehen.