Veronika und Gerhard Rödel wollen verhindern, dass über ihr Haus in Flözlingen eine weitere Stromleitung verläuft. Foto: Schickle

ENRW will Leitung über Dach eines Wohnhauses verlegen. Eigentümer melden gesundheitliche Bedenken an.

Rottweil/Zimmern-Flözlingen - Die Atmosphäre im Saal des Rottweiler Amtsgerichts ist angespannt. Das passt: Es geht um eine Stromleitung. Vor Gericht treffen die Energieversorgung Rottweil (ENRW) und das Ehepaar Rödel aus Flözlingen aufeinander.

Im Saal 36 des Rottweiler Amtsgerichts stehen sich zwei Parteien gegenüber, die zwar schon lange um ein Thema ringen, aber einer gemeinsamen Lösung auch am Donnerstagnachmittag keinen Schritt näher gekommen sind. Es geht um eine Stromleitung und einen Herzschrittmacher mit integriertem Defibrillator, kurz ICD, und das schon seit rund einem Jahr. Abgesehen vom Gerichtssaal spielt sich der Streit auf dem Dach des Hauses der Familie Rödel in Flözlingen ab.

Dort, in der Waldsteige 11, befindet sich ein Leitungsträger. Über ihn werden die Nachbarn mitversorgt. Ein Nachbar noch nicht wieder: Nach einem Brand war das Gebäude abgehängt worden, wird seither über eine Baustromversorgung beliefert. Nun will dieser Nachbar wieder an die reguläre Stromversorgung, die ENRW die Leitung wieder übers Dach der Rödels verlegen. Doch die sagen Nein.

Gerhard Rödel hat zwei Herzinfarkte hinter sich, im Herbst 2011 wurde ihm ein ICD implantiert. Das will er gleich zu Beginn der Verhandlung beweisen: "Ich kann gern mein Hemd aufmachen", sagt er, lässt es aber dabei bewenden, seinen Patientenausweis vorzulegen. Was ihn am meisten empört habe, sagt er später im Gespräch mit unserer Zeitung, sei, dass die ENRW ihn der Lüge bezichtigt habe. Tatsächlich heißt es in der Klageschrift, Absender ist der Anwalt des Energieversorgers: "Es wird bestritten werden, dass der Beklagte seit Oktober 2011 einen solchen Herzschrittmacher trägt". Den Beweis in Form seines Patientenausweises liefert Rödel dann gestern.

Die Stromleitung auf dem Dach, so fürchtet der Flözlinger, könnte seinen Herzschrittmacher durcheinander bringen. Weil der Dachständer relativ niedrig ist, sei er im ungünstigsten Fall, wenn er sich in seinem Haus bewege, nur ein bis zwei Meter von den Leitungen entfernt. Die Belastung durch die vorhandenen Stromleitungen liege am Grenzwert, erklärt er, "wenn ein Dritter drankommt, wird es zuviel." Sprich, wenn der Nachbar wieder angebunden wird.

Die ENRW, in Person des technischen Leiters Holger Hüneke, sieht das anders. Er und Anwalt Helmut Rais sagen, es gebe keine Beweise, dass die Stromleitungen Herzschrittmacher aus dem Takt bringen können. Ein anderer Nachbar, der ebenfalls einen ICD habe, habe den Strom deshalb sogar unterirdisch verlegen lassen, setzt Rödel dagegen.

Ob das nicht eine Möglichkeit wäre? "Der Verursacher zahlt für die Änderungen", erklärt Hüneke. Wer also die Leitung unter der Erde haben will, muss das auch bezahlen. Andere Möglichkeiten habe die ENRW ebenfalls geprüft, aufgrund der Topografie kommt das Unternehmen aber immer wieder auf den Dachträger der Rödels zurück. "Es ist alles möglich auf dieser Welt", sagt Hüneke auf Nachfrage der Richterin. "Es ist nur die Frage, was es kostet." Das habe er auch Gerhard Rödel gesagt. Doch als das Gespräch auf die Kosten für mögliche Veränderungen gekommen sei, sei es beendet gewesen. An Rödels Anwalt gerichtet sagt der technische Leiter: "Es ist selbstverständlich, dass ich alles probier’, bevor ich vor Gericht gehe."

Ist Angst vor Einfluss auf Herzschrittmacher Grund genug für eine Verlegung?

Das Netz gehört der ENRW, der Dachständer auch. Es sei schlicht üblich, dass einer den anderen versorgt. Hüneke hat einen Plan mitgebracht, auf dem eingezeichnet ist, wie die Stromleitungen verlaufen. Darauf wird ersichtlich: Von manchem Dachträger gehen gar zehn oder 15 Leitungen ab.

Gerhard Rödel wirft der ENRW vor, er sei vor vollendete Tatsachen gestellt worden. Eines Tages standen Elektriker vor der Tür und wollten an den Dachträger. Und er sagt empört: "Es kann ja nicht sein, dass ich dafür bezahle, dass sie damit Geld verdienen." Der 74-Jährige glaubt, dass in dem Nachbargebäude, das wieder angeschlossen werden soll, nun ein höherer Strombedarf besteht als vor dem Brand. Seine Belastung aber liege schon jetzt am Grenzwert. Dem widerspricht Hüneke, mit dem Verweis, er sei vom Fach und habe sein Fach auch studiert, vehement: Selbst bei einer Trafostation herrschten mit gewissem Abstand Grenzwerte, die nicht gerfährlich seien für Träger von Herzschrittmachern. An diesem Punkt kommen die beiden nicht zusammen.

Rödels Anwalt führt ein weiteres Argument ins Feld: Auch die Psychologie dürfe man nicht außer Acht lassen. "Der Mann hat zwei Herzinfarkte hinter sich." Schon die Angst vor einer möglichen Beeinflussung des ICD mache seinem Mandanten zu schaffen. "Wir wollen sicherlich die psychischen Probleme nicht herunterspielen", antwortet Rais. "Aber wenn man auf alle psychischen Probleme Rücksicht nimmt, hätten wir weder Straßen noch Leitungen." Das wiederum sind für den Verteidiger gegenüber "unangebrachte Allgemeinplätze".

Schließlich erklärt die Richterin, zunächst einmal müsse geklärt werden, welche Alternativen es gibt, und was diese kosten. Außerdem will sie weitere Informationen zu möglichen gesundheitlichen Auswirkungen. Denn, und da verweist sie auf Paragraf zwölf der Niederspannungsanschlussverordnung (NAV), Grundstückseigentümer müssen zwar zulassen, dass Leitungen auf ihrem Grundstück angebracht werden. Es heißt aber auch, sie könnten die Verlegung der Leitungen verlangen, wenn diese nicht mehr zumutbar seien. Was zumutbar ist, darüber gehen die Meinungen im aktuellen Fall bekanntlich auseinander.

Bis zum nächsten Termin am 10. August sollen die beiden Parteien liefern. Eine endgültige Entscheidung dürfte noch länger dauern. Die Situation bleibt also angespannt.