Dieter Nuhr: In der vergangenen Woche trat der Kabarettist in ein Fettnäpfchen, als er in seiner Sendung den Rottweiler Weblog als Quelle zitierte. Danach entschuldigte er sich. Foto: Carstensen

Dieter Nuhr zeigt in TV-Show Screenshot des anonymen Weblogs. Posselt und Nowack wollen nicht mehr wegschauen.

Rottweil - Es gibt Dinge, über die spricht man lieber nicht. Beispielsweise über den anonymen "Rottweil Weblog". Blöd, dass der Comedian Dieter Nuhr die Internetseite, auf der zumindest sehr extreme Meinungen geäußert werden, einem Millionenpublikum bekannt gemacht hat. Nuhr will seinen Fauxpas wieder gutmachen.

Wie einen Igel in die Hand nehmen, ohne sich weh zu tun? Ignorieren? Wegschauen? Links oder, hier besser formuliert, rechts liegen lassen? Seit einigen Jahren gibt es den Rottweil Weblog. Anonym betrieben, zieht er über Menschen her, die politisch links der Mitte stehen, sich sozial engagieren oder insgesamt eine andere Lebenseinstellung wie der Online-Tagebuchschreiber zu haben scheinen.

Vor über einem Jahr haben wir den Blog an dieser Stelle thematisiert, geschrieben, dass der Mensch, der sich Ronnes Schantle nennt, seine Hasstiraden und radikalen Ansichten über einen Server im Ausland laufen lässt, um sich vor Strafverfolgung zu schützen. Wir haben gefragt: Wie damit umgehen?

Stadtverwaltung und Narrenzunft äußerten sich damals zurückhaltend. Keine Plattform geben, lautete die Parole, nach dem Motto: je weniger darüber gesprochen werde, desto besser.

Screenshot in Sendung von Kabarettist Dieter Nuhr

Durch einen Zufall jedoch wurde diese Seite, von dem der Anonymus behauptet, sie bilde den gesunden Menschenverstand für Rottweil und Umgebung ab, in der vergangenen Woche für mehrere Sekunden einem Millionenpublikum vor den Fernsehgeräten vor Augen geführt. Der Kabarettist Dieter Nuhr benutzte den Weblog als Quelle für eine Comedy-Nummer und zeigte einen Screenshot.

Ein unangenehmer Fehler. Darauf aufmerksam gemacht, nahm der Sender die Folge aus dem Netz. Weiter schweigen?

Es gibt Menschen in Rottweil, die das nicht mehr wollen. Hierzu zählt der Rottweiler Journalist Peter Arnegger, dem das "Rottweiler Hetzblog" seit Langem ein Dorn im Auge ist. Er fordert den anonymen Betreiber auf, den Blog einzustellen, und einen neuen zu beginnen, unter seinem echten Namen.

Der CDU-Fraktionsvorsitzende Günter Posselt sieht den Blog ebenfalls sehr kritisch. Der Betreiber müsse endlich offen legen, wer er sei und die presserechtlichen Vorgaben erfüllen. Im Impressum steht lediglich: Ronnes Schantle, wohnhaft Vitrine Stadtmuseum. Posselt geht ebenso davon aus, dass die Meinungen, die der Autor von sich gibt, strafbar sind. "Linke Bazille" sei eine Beleidigung, so Posselt, der sich Gedanken machen will, wie man zusammen mit Kollegen und Stadtverwaltung gegen den Betreiber vorgehen könne.

Das will auch Hubert Nowack tun. Der Sprecher der Grünen im Gemeinderat sagt, er selbst sei in diesem Blog schon auf das Allerübelste diffamiert worden. "Allerdings so, dass ich fast annehmen muss, dass der Betreiber, also der Schantle, eine gestörte Persönlichkeit hat." Nowack denkt ebenfalls, die Stadtverwaltung könnte versuchen, den Urheber herausfinden zu lassen, um dann gegen ihn vorgehen zu können. "Man kann ja kaum glauben, dass das nicht möglich sei." Die Stadtverwaltung sollte sich auf jeden Fall von solchen Äußerungen öffentlich distanzieren. "Oder man ignoriert die Seite und schenkt ihr die Beachtung die sie verdient – nämlich keine."

Die Stadtverwaltung wiederum äußert sich zurückhaltend: Sofern im Rahmen der Internetpublikation von Bürgern Äußerungen fielen, die strafrechtlicher Natur seien oder beispielsweise durch Beleidigungen Persönlichkeitsrechte verletzten, sei dies selbstverständlich zu verurteilen. Hier habe die Meinungsfreiheit ihre Grenzen und Publikationen könnten dann ein Fall für Polizei und Staatsanwaltschaft sein. "Zu Inhalten des ›Schantle-Blogs‹ äußern wir uns entsprechend unserem Vorgehen etwa bei anonymen Zusendungen an die Stadtverwaltung nicht, da wir Meinungsäußerungen unter dem Deckmantel der Anonymität nicht unnötig aufwerten wollen."

Der Stadtrat Jens Jäger sagt, man könne nur hoffen, dass der Betreiber dieses Blogs sich selbst ins Aus manövriert. Und: "Ich brauche es nur nicht anklicken. Ich habe die Wahl." Glaubt man dem Blog, so wurde er seit Bestehen über 1,8 Millionen Mal angeklickt. Sobald straffällige Äußerungen (Verleumdungen, persönliche Beleidigungen) fielen, sei das ein Grund zur Anzeige, ob mit oder ohne Erfolg, meint FFR-Stadträtin Heide Friederichs. "Anonyme Berichterstattungen verstoßen gegen grundsätzliche demokratische Regeln des Umgangs. Auch hier gilt, so wenig wie möglich beachten! Und Qualifikation dagegen setzen."

Die Pfarrerin Esther Kuhn-Luz hat ebenfalls einen distanziert-kritischen Blick auf den Blog: "Der Schreiber versteht seine Meinung nicht als Beitrag zur Diskussion, sondern er redet so, als hätte er alleine die Wahrheit gepachtet – und nimmt für sich eine Position in Anspruch, als könne er beurteilen, was ›für Rottweil‹ gut und was schlecht ist. Und ihm gefällt es, andre zu beleidigen – wie Herrn Nowack zum Beispiel im Zusammenhang mit der Erinnerung an Hexenverfolgung. Ich frage mich, was ihn dazu treibt, so in verschiedene Richtungen zu schießen." Kuhn-Luz weiter: "Der Mensch, der den Rottweiler Weblog schreibt, hat sich einen sehr zynischen Sprachstil angewöhnt – zersetzend…. Und das kann zwar für ihn befreiend sein, aber verhindert einen sachlichen Austausch."

Bei der Polizei liegen Strafanzeigen von mehreren Privatpersonen vor. In einigen Fällen wurden sie eingestellt, in anderen laufen die Ermittlungen noch. Übrigens: Dieter Nuhr will seinen Fehler wieder gutmachen. Er will nach Rottweil kommen und hier ein Fest geben.

Seite 2: RBB bringt Dieter Nuhr in Schwierigkeiten

Von Peter Bruker und Armin Schulz

Rottweil - Die Mediathek der ARD wird gerne genutzt. Sendung verpasst? Kein Problem. Mit etwas Glück ist diese in der Mediathek der ARD abrufbar, und der Zuschauer kann sich diese in aller Ruhe und zu jeder Tages- und Nachtzeit ansehen. Doch Vorsicht: Hier kann man auch frisierten Sendungen aufsitzen. Beispielsweise dann, wenn man die Aufzeichnung der Ausstrahlung von Dieter Nuhrs "Satire Gipfel" vom 4. Juni ansehen will. Denn in dieser Sendung geschah - wenn man der dafür verantwortlichen Sendeanstalt Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) glauben darf - ein "unsäglicher Fauxpas". Allerdings ist dieser bei der Aufzeichnung in der Mediathek nun nicht mehr zu sehen.

Doch der Reihe nach: Nuhr kündigt den Lörracher Kabarettisten Florian Schroeder als weiteren Gast an und schwadroniert - durchaus unterhaltsam - über Eidechsen. Dabei geht es um italienische und schwäbische Arten dieser possierlichen Tierchen, deren Paarungsverhalten und welche Schlüsse daraus zu ziehen sind. "Reptilienfaschismus" lautet das Schlagwort, ein Gentest wird gefordert.

Im Hintergrund bei der Ausstrahlung in der ARD ist ein Screenshot des umstrittenen "Rottweil Weblog" eingeblendet. Eben jenes Blogs, den ein anonymer Rottweiler seit Jahren betreibt, dort nur seine rechte Meinung gelten lässt, Asylbewerber und Minderheiten hemmungslos beschimpft und auf eine unerträgliche Art und Weise - natürlich ohne je seinen eigenen Namen zu nennen - gegen alles hetzt, was nicht in sein verqueres Weltbild passt.

"Ehe der Hahn dreimal kräht, werden uns diese Lumpen wieder verraten." Das sind deftige Worte, die auf der Seite des Rottweil Weblogs zu lesen, sind. Der Anonymus betreibt in Rottweil seit einigen Jahren dieses Online-Tagebuch und zieht über Gott und die Welt her. Er nennt sich, nach einer Rottweiler Narrenfigur, "Ronnes Schantle". In der gerade zitierten Passage beschimpft er Bundeskanzlerin Angela Merkel und Finanzminister Wolfgang Schäuble. Er selbst behauptet, den gesunden Menschenverstand für Rottweil und Umgebung abzubilden. Immer wieder gab und gibt es Anzeigen von Privatpersonen gegen den Betreiber. Da der Server im Ausland steht, winken die Ermittlungsbehörden schnell ab. Und so kann der Anonymus weiter sein Unwesen treiben und sich vor Strafverfolgung sicher fühlen. Baden-Württembergs Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann nennt er wegen dessen Asylpolitik "gehirnamputiert", er beschimpft anders Denkende gerne als "linkes Lumpenpack", den Rottweiler Gemeinderat bezeichnet er als "degenerierter Hexen-Stadtrat", nur weil dieser beschlossen hat, 266 im Mittelalter wegen Hexerei und Zauberei getötete Männer und Frauen zu rehabilitieren.

In seinen extremen Ansichten vertritt er immer öfter rechtsradikales Gedankengut. Die Linie der Stadtverwaltung und der Narrenzunft ist bislang die, dieses Phänomen und diesen Blog, durch den Rottweil weltweit in den Schmutz gezogen wird, zu ignorieren. Doch inzwischen mehren sich die Stimmen, die sagen, man müsse aktiver werden und dürfe sich nicht mehr alles gefallen lassen.

Für den RBB bedeutet das Einblenden des Screenshots eben dieses Blogs einen Super-Gau. Und das ausgerechnet in einer Satiresendung. Man ist beim RBB um Schadensbegrenzung bemüht. Alles sei ein Versehen. Ein Mitarbeiter habe den Weblog gefunden und den Screenshot angefertigt, obwohl ursprünglich anderes geplant war. Versehentlich auch, dass die redaktionelle Prüfung der aufgezeichneten Sendung nicht funktioniert habe. Und: "Es sind grobe redaktionelle Fehler passiert. Wir bitten alle Beteiligten um Entschuldigung", erklärt RBB-Sprecher Justus Demmer gegenüber unserer Zeitung. Man wolle die Angelegenheit nun intern prüfen, um derartige Fehler künftig zu vermeiden.

Entschuldigen muss sich RBB wohl in erster Linie bei Kabarettist Dieter Nuhr. Dieser habe erst auf der Bühne bei der Aufzeichnung bemerkt, dass etwas nicht stimme. "Ich bin entsetzt und fassungslos. Fassungslos ist gar kein Ausdruck", meinte Nuhr gegenüber unserer Zeitung.

Für den Kabarettisten kommt dieses Ereignis zur Unzeit. Erst vor Kurzem hatte das Stuttgarter Landgericht entschieden, dass Nuhr wegen dessen Islam-Kritik als "Hassprediger" bezeichnet werden darf. Allerdings nur eine Teilniederlage für Nuhr, denn der klagende Muslim Erhat Toka muss den größeren Teil der Prozesskosten tragen.

Dennoch wird Nuhr nun wieder in der Diskussion stehen, obwohl der RBB als Sendeanstalt Fehler einräumt und die Verantwortung übernimmt. Für den Rottweiler Blogger hat Nuhr nur wenig schmeichelhafte Worte übrig. Er ordnet diesen klar in die ultrarechte Ecke ein.

Doch der Blogger aus Rottweil dürfte sich ob der ihm so zuteil gewordenen Medienbeachtung bestätigt fühlen. Und es ist zu erwarten, dass er weiter seine Hetztiraden unters Volk bringen wird. Natürlich anonym und deshalb feige. Ganz so, wie bisher.