Prozess: Tadel für Anzeigenerstatter

Kreis Rottweil/Spaichingen. Das Schöffengericht am Landgericht Rottweil hat gestern Spaichingens Bürgermeister Hans Georg Schuhmacher freigesprochen. Er war angeklagt, in einer Bürgerinformationsversammlung ganz oder in wesentlichen Teilen aus Gerichtsakten zitiert zu haben, was ein Straftatbestand ist. Die Kammer unter Vorsitz von Richter Karlheinz Münzer folgte mit dem Urteil dem Antrag des Verteidigers, Rechtsanwalt Günter Urbanczyk.

In seiner Urteilsbegründung diktierte Münzer den Anzeigenerstattern ins Stammbuch, "dass ein Ermittlungsverfahren kein geeignter Ort für politische Auseinandersetzungen ist". Nach Übersendung der Akte vom Landeskriminalamt an das Tuttlinger Polizeipräsidium mit der Bemerkung, es gebe keinen Anhaltspunkt für strafrechtlich relevantes Verhalten "ging es erst richtig los", betonte Münzer. Es habe eine Eingabe von acht Gemeinderäten an die Rechtsaufsicht gegeben. Im Gegensatz zu den vorherigen Behauptungen sei diese Eingabe, die auch an die Staatsanwaltschaft ging, durchaus eine Anzeige gewesen.

Münzer zählte noch einmal die von Bürgermeister Schuhmacher aus der Ermittlungsakte zitierten Passagen auf. Sie alle hätten Sachverhalte der Amtsführung betroffen, die eigentlich im Rahmen einer Prüfung der Rechtsaufsicht hätten stehen sollen. Nur die Tatsache, dass sie in der Ermittlungsakte standen, hätte sie zur Ermittlung in einem Gerichtsverfahren gemacht. Tatsächlich seien sie aber wie eine Eingabe an die Rechtsaufsicht zu werten und damit zitabel. In der Regel würden bei solchen Sachverhalten die Ermittlungen eingestellt, ohne dass der Beschuldigte überhaupt etwas davon wisse.

Unstrittig war zwischen Staatsanwalt, Verteidiger und Gericht, dass Bürgermeister Schuhmacher in der Stadthalle vor rund 1000 Zuhörern aus der Akte zitiert hatte, das bewweist auch ein Videomitschnitt.

Zu Beginn des gestrigen finalen Verhandlungstages wurde auch die Entscheidung der Rechtsaufsicht zum Schreiben von Gemeinderäten verlesen. Die Vorhaltungen waren größtenteils nicht in öffentlichen Diskussion gewesen.

Staatsanwalt Markus Wagner hatte 20 Tagessätze zu je 200 Euro gefordert, aber beantragt, die Strafe von einer Art Bewährung innerhalb eines Jahres abhängig zu machen und 2000 Euro Verwarnungsgeld an eine soziale Einrichtung aufzuerlegen. Der Verteidiger hatte Freispruch beantragt. Er deutete an, dass es zu wenige Präzedenzfälle gebe bezüglich des wörtlichen Zitierens.

Der betreffende Strafrechtsparagraf soll verhindern, dass Zeugen oder Gerichtspersonen durch frühzeitiges Veröffentlichen von Gerichtsakten beeinflusst werden oder Beschuldigte dadurch Nachteile haben. Nach Dafürhalten des Gerichts haben sich die zitierten Passagen aber gerade nicht auf einen Schutzzweck bezogen.