34 waren es einmal in Rottweil: Schuhmachermeister Karl-Heinz Auch ist einer der letzten seiner Profession. Foto: Klossek Foto: Schwarzwälder-Bote

Serie: Wegwerfgesellschaft macht Handwerk zu schaffen / Karl-Heinz Auch sieht Zukunft in der Orthopädie

Von Nadine Klossek

Rottweil. Quantität statt Qualität – das ist die Devise vieler Schuhträger. Etwas neu zu kaufen lohnt sich dabei oft mehr als die Reparatur. Ein Umstand, mit dem auch der letzte Schuhmachermeister Rottweils zu kämpfen hat.

Eine helle Glocke ertönt beim Betreten des Ladens. Der Geruch von Leder liegt in der Luft. Hinter der Verkaufstheke stapelt sich das Zubehör für Schuhe: Schnürsenkel, Imprägnierspray und Pflegemittel sind fein säuberlich aufgereiht. Karl-Heinz Auch, der schon vor dem Laden in Form eines Aufstellers aus Pappe in Erscheinung tritt, steht in seiner Werkstatt. Seit 1993 repariert er hier die Schuhe seiner Kunden, mittlerweile ist er der einzige Schuhmachermeister, der in Rottweil aktiv ist.

Auf Anfrage teilt die Handwerkskammer Konstanz mit, dass es im Landkreis Rottweil nur noch fünf Schuhmacher-Betriebe gibt. In den vergangenen zehn Jahren hat zwar lediglich ein Betrieb geschlossen, doch Auch weiß um die Probleme in seinem Handwerk: "Mittlerweile gibt es Millionen von Schuhen aus Billiglohnländern." Viele Menschen würden daher oft eher auf Quantität als auf Qualität setzen. "Schuhe, die im Einkauf nur zehn oder 20 Euro kosten, bringt man schlichtweg nicht zum Schuhmacher", erklärt er. Neu kaufen statt reparieren lassen, heißt die Devise.

Der 50-Jährige hat eine Nische gefunden: Er stellt die Fasnets-Peitschen her

Wie sehr sich die Gesellschaft in dieser Hinsicht gewandelt hat, zeigen die Nachforschungen des ehemaligen Stadt-Archivars Winfried Hecht. In einem Aufsatz in den Rottweiler Heimatblättern spricht er von einer "geradezu beängstigenden" Überbesetzung im 19. Jahrhundert: "Im Jahre 1825 gab es in der Oberamtsstadt nicht weniger als 34 Schuhmachermeister." Knapp 200 Jahre später ist Auch allein auf weiter Flur.

Ein Umstand, den er laut eigener Aussage auch seiner Anpassungsfähigkeit verdankt: "Schuhmacher war schon immer ein Beruf, der Flexibilität erfordert." Aus diesem Grund hat sich Auch zum Orthopädieschuhmacher weitergebildet und sich ein zweites Standbein aufgebaut.

"Das Reparieren von Taschen und andere Näharbeiten ist mehr Werbung als eigentlicher Verdienst", erklärt er. Dass er sich dabei nicht den rentabelsten Job ausgesucht hat, ist ihm klar. "Wer das große Geld machen will, ist hier falsch."

Das Hauptgeschäft eines Schuhmachers sei heutzutage neben dem Reparieren von Absätzen die Herstellung und Anpassung von orthopädischen Einlagen oder anderen medizinischen Produkten wie Diabetikerschuhen. "Sagen wir mal so", erklärt der Schuhmacher, "die Füße werden nicht besser, eher schlechter."

Und was macht für ihn dieses Handwerk zu etwas Besonderem? "Man kann sehr kreativ sein. Außerdem hat es sehr viel mit Individualität zu tun: Jeder Fuß, und damit auch jeder Schuh, ist anders." Die Leidenschaft für diesen Beruf sei ihm außerdem praktisch in die Wiege gelegt worden: Schon sein Großvater hatte sich 1928 im Großraum Stuttgart als Schuhmacher selbstständig gemacht. Sein Vater erlernte ebenfalls diesen Beruf.

Der 50-Jährige hat an seinem Beruf festgehalten, sich angepasst, eine "Nische" gesucht, wie er selbst sagt. Für die beliebte fünfte Jahreszeit stellt er deshalb auch die Rottweiler "Goaßln", also die Peitschen, mit denen an der Fasnet "geklepft" wird, her. "Schuhmacher sind ein bisschen wie Chamäleons", meint Auch und lacht.

In loser Reihenfolge berichteten wir über Berufe, die im Wandel der Zeit um ihre Existenz bangen – sei es wegen ihres Images, fehlender Nachfrage oder aufgrund wachsender Konkurrenz vonseiten der Industrie.

Rottweil/Schiltach. Das Gerbereigewerbe hat den Ruf, ein im wahrsten Sinne des Wortes stinkendes zu sein. Auch die rund 17 Gerbereien Schiltachs wurden im 17. Jahrhundert deswegen vor die Stadtmauer verbannt und hatten einst in den Fachwerkhäusern eines gesamten Straßenzugs ihre Werkstätten. Von dem ehemals florierenden Geschäft in der "Gerbergasse" ist heute nichts mehr zu sehen – lediglich der Straßenname hat die Jahrhunderte überdauert. Der Straßenname und die Gerberei Trautwein.

Der Letzte seiner Art geht seiner Arbeit ein paar Straßen weiter nach: Carl-Friedrich Trautwein führt die einzige verbliebene, handwerkliche Gerberei im Schwarzwald. Außer dem seinen gebe es heute deutschlandeweit vielleicht noch drei oder vier weitere Betriebe dieser Größe, erzählt er.

Trautwein führt die Gerberei in der 13. Generation. Doch dass das Traditionshaus seit 1650 erfolgreich bestehen konnte, ist kein Zufall. Denn in den vergangenen 100 Jahren ist für Gerber ein potenzieller Absatzmarkt nach dem anderen weggefallen.

Die Textil- und Schuhproduktion hat sich schon vor langer Zeit ins kostengünstigere Ausland verlagert, selbst Feinleder zur Herstellung von Handschuhen oder Geldbeuteln wird meist im Ausland eingekauft. Und wurde in der Gerberei Trautwein in der Nachkriegszeit noch hauptsächlich Weißleder für die Orthopädie gegerbt, die Kriegsveteranen mit Prothesen und Stützen versorgte, so stellt dieser Bereich heute nur noch eines ihrer vielen Standbeine dar. "Wir haben uns Märkte gesucht, die wir bedienen können", erklärt Trautwein.

Abnehmer der Gerberei, die im Jahr bis zu 50 000 Schafsfelle bearbeitet, sind heute vor allem Versandhäuser von Naturtextilien. Aber auch für Musikinstrumente wird hier produziert, das feine, weiche Leder kommt beispielsweise im Orgelbau oder in Geigenbögen zum Einsatz. Ein nicht unerheblicher Teil gehe zudem zurück an die Schäfer aus der Region.

Dass die Felle fast ausschließlich von Tieren stammen, die auf Baden-Württembergs Wiesen weideten, macht die Meistergerberei für Kunden attraktiv. Schadstofffrei, gegerbt nach hohen Standards und versehen mit dem Qualitätssiegel des internationalen Verbandes der Naturtextilwirtschaft – Leder, das diese Ansprüche erfüllt, locke noch immer viele Kunden. Dass sein Vater zum richtigen Zeitpunkt auf den "Öko-Zug" aufsprang, habe den Betrieb vor einigen Jahrzehnten wortwörtlich die Haut gerettet, erzählt Trautwein.

Denn Ende der 80er-Jahre, als Trautwein gerade seine Ausbildung zum Pelzveredler in Stauffen abschloss, sei der viele Jahre andauernde Pelztrend, auf den die Familie in ihrem Unternehmen gesetzt hatte, plötzlich radikal zurück gegangen.

Zuvor schon wurde den kleinen Gerbereien, die sich die neuartigen Technologien im Gegensatz zu den großen Lederfirmen nicht leisten konnten, durch neue Umweltauflagen in den 70ern das Leben erschwert – eine nach der anderen schloss. Preislich mit der Konkurrenz im Ausland mitzuhalten, wurde immer schwieriger.

Die west-deutsche Gerberschule in Reutlingen, jahrzehntelang bundesweit die wichtigste und renommierteste Ausbildungsstätte für Lehrlinge im Ledergewerbe, ging 2011 insolvent und musste schließen.

Der Gerberei Trautwein geht es heute gut, die acht Angestellten und ihr Chef sind ausgelastet. Das Modehaus "Trautwein – Leder, Mode, Tracht" dient seit 40 Jahren als zusätzliches Standbein. "Im Moment sind wir sorgenfrei." Doch man müsse sich ständig neu orientieren und bereit sein, mit der Zeit zu gehen. Trotzdem oder gerade deshalb liebt Trautwein seinen Beruf: "Es macht mir einfach Freude, aus einem eigentlich dreckigen Produkt etwas Schönes zu machen."