Stadtschreiber: Dmitrij Gawrisch ist offiziell ins Amt eingesetzt / Literat will verschiedene Seiten zeigen

Die besten Wünsche für einen inspirierenden Aufenthalt in Rottweil, augenzwinkernde Tipps für das Überleben im Konvikt – und vor allem ein herzliches Willkommen: Zwei Wochen nach seiner Ankunft ist Dmitrij Gawrisch offiziell Stadtschreiber.

Rottweil. Traditionell ist der erste öffentliche Auftritt eines Stadtschreibers im Konvikt. Hier lebt er während seiner "Dienstzeit", hier gibt er literaturaffinen Jugendlichen Anleitung im Schreiben, hier darf er gerne auch mit den Mitbewohnern ins Gespräch kommen. Dass Gawrisch das ausdrücklich tun möchte, ist einem der Punkte auf der Agenda geschuldet, die sich der Wahl-Berliner mit ukrainischen Wurzeln und Schweizer Vergangenheit für Rottweil gegeben hat: Über das Leben mit den Konviktoren möchte er fitter in Sachen aktueller Jugendsprache werden – um dann bei seinem nächsten Theaterstück, in dem es um jugendliche geht, authentische Sprechtexte schreiben zu können. Auch an seinem Romanprojekt will er hier weiterarbeiten. Ein Kapitel daraus wird Gegenstand der Lesung im "Schwarzen Lamm" am 25. Oktober sein. Den Teilnehmern der Schreibwerkstatt hat er das Thema "Reportage" vorgeschlagen. Und schließlich will Gawrisch "die Rottweil", die verschiedenen Repräsentationen dieser Stadt, schreibend entdecken.

Der neue Stadtschreiber kennt sich hier schon ein bisschen aus. Konviktsdirektor Ulrich Fiedler und Oberbürgermeister Ralf Broß erinnern in ihren Ansprachen daran, dass Gawrisch bereits 2012, damals war Doris Wirth Stipendiatin, zu Gast war. Durchaus auch offiziell als Autor bei einer Lesung. Im Jahr darauf hat er Eindrücke von der Rottweiler Fasnet gewonnen.

Diese finden Einzug in sein Bewerbungsschreiben für die Stadtschreiberstelle, zeigen, welche Sprache ein Literat für eine Reportage findet. Den Gästen im Festsaal des Konvikts führt Gawrisch am Donnerstagabend diesen Text vor Augen. Und er weist in seiner Bewerbung unter anderem auf ein weiteres Rottweil hin, das er seinerzeit entdeckt hatte, und dem er sich während seines dreimonatigen Aufenthalts auch widmen will: Den Hegneberg, wo er "den vertrauten Sprachklang meiner Kindheit" gehört hat. Am kommenden Dienstag wird er genau dort eine zweisprachige Lesung geben.

Dass die Rottweiler Literaturfreunde Anfang Dezember bei drei Aufführungen von "Brachland" durch die Stückbox Basel auch Gelegenheit haben, den Dramatiker Gawrisch hier vor Ort zu erleben, ist dem Zimmertheater und der Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia zu verdanken, berichtet Broß. Er sich überdies bei allen bedankt, die das Paket Rottweiler Stadtschreiber Jahr für Jahr wieder auf den Weg bringen, vom Konvikt über den Gemeinderat, die Volksbank und nicht zuletzt die Bürger, die das Aufenthaltsstipendium mittragen.

Dieses wirkt über die dreimonatige "Dienstzeit" hinaus. Nicht nur, weil regelmäßig an der eigenen literarischen Produktion gearbeitet wird, Texte mit Rottweil-Bezug entstehen und das Interesse an Literatur belebt wird, sondern ganz formal, weil die "Amtszeit" des Stadtschreibers andauert, bis der Nachfolger ins Amt eingesetzt wird. Carola Gruber, war deshalb nicht nur die 15., sondern sogar für ein Jahr und eine Woche Rottweiler Stadtschreiberin. In ihrer Rede reflektiert sie die Zeit ihres Aufenthalts und versucht eine Verortung des Stadtschreibers, dessen Zeit in Rottweil zu lange dauere, um noch als "Gast" gelten zu können, und zu kurz sei, um zum "Bewohner" zu werden. Einen Rat für ihren Nachfolger hat sie nicht, will ihn "die Freiheit des Unberatenen" lassen.

Ganz pragmatische Ratschläge haben dagegen Robin Hagenbach und Laura Kraemer für ihren neuen Mitkonviktor auf Zeit. Dass Gawrisch ein solcher im Wortsinn werde, wünscht sich Fiedler und lässt den polyglotten Stadtschreiber von Konviktoren und Team in allen elf am Konvikt vertretenen Muttersprachen begrüßen.