So wie diese Menschen in Norcia haben auch Beate und Pius Löcher aus Rottweil nach den schweren Erdbstößen im Freien verharrt. Foto: Crocchioni Foto: Schwarzwälder-Bote

Erdbeben: Ehepaar Löcher aus Rottweil schildert die Schreckensnacht / "Wir sind glücklich – wir leben"

Rottweil. Das Ehepaar Pius und Beate Löcher aus Rottweil, derzeit auf dem Rückmarsch von Rom nach Rottweil (wir berichteten), hat zum Zeitpunkt des Erdbebens in Italien in unmittelbarer Nähe des Epizentrums übernachtet. Erst nach und nach wird ihnen bewusst, welches Glück sie hatten. In einer E-Mail schildern sie die Schreckensnacht. Hier ihr Bericht:

Der ganze Raum wackelt

Um halb vier in der Nacht am Mittwoch werden wir in unserem Hotelzimmer in Norcia aus dem Schlaf gerissen. Wir werden im Bett durchgerüttelt und hören ein lautes unheimliches Rumpeln, dazu die Geräusche des wackelnden Mobiliars, und das Rütteln schaukelt sich auf und wird noch stärker. Die Deckenlampe schwenkt wie ein Rauchfass hin und her. Der erste Gedanke: Wie stark wird das? Wie lange geht das noch? Eine unglaubliche Erleichterung stellt sich nach der Bebenphase ein. Die erste Schockstarre legt sich: Die Zimmerdecke ist noch oben! Nur – wie lang wird die Ruhe währen – und was kommt dann?

Schnell etwas anziehen und das Wichtigste einstecken, und nichts wie raus aus dem Haus. Der Strom ist ausgefallen, hektisches Laufen und Rufe sind zu hören. Auch wir eilen aus dem obersten, dem dritten Stock, nach unten. Nennenswerte Schäden im Haus sind nicht zu sehen. Für uns kaum begreiflich angesichts der Heftigkeit, mit der das Gebäude erschüttert worden war. Alle Gäste und das Hotelpersonal stehen vor dem Hotel. Ein Fußballverein stellt die Mehrzahl der Gäste. Die Jüngsten, um die zehn Jahre alt, werden in Kleinbussen untergebracht, die Jugendlichen bleiben in Decken gehüllt auf der Straße. Die Erwachsenen, auch die aus dem Nachbarhaus, bringen sich ebenfalls dort in Sicherheit.

Alle rennen ins Freie

Der Stromausfall ist recht schnell behoben. Viele Pkw fahren am Hotel vorbei. Wir nehmen an, sie fahren zur Hilfeleistung aus. Wir können nur warten. Nach einiger Zeit ziehen wir uns mit anderen in die Eingangshalle zurück. Beim ersten kräftigen Nachbeben rennen alle wieder ins Freie. Die Kälte bewegt uns nach einer Weile wieder zum Rückzug hinter die Tür. Das wiederholt sich bei zahlreichen weiteren Erdstößen. Währenddessen klingeln unablässig die Handys. Insgesamt bleiben die Leute gefasst, wenn auch deutlich betroffen und auch ängstlich.

Inzwischen ist das Fernsehgerät in der Hotelhalle eingeschaltet. Wir verstehen nicht viel. Vom Epizentrum in der Nähe von Rieti ist die Rede. Man sieht ein erstes Bild einer eingestürzten Mauer. Von mindestens sechs Toten wird berichtet. Es werden die Namen der am schlimmsten betroffenen Orte Amatrice und Accumoli gemeldet. Der Lieferwagen der Bäckerei bringt rechtzeitig für das Hotelfrühstück seine Waren, als wäre nichts gewesen.

Wenig nach sieben Uhr ist ein improvisiertes Frühstück möglich. Seit einer halben Stunde hat es keine Erschütterungen mehr gegeben. Danach zahlen wir unsere Hotelrechnung. Die Chefin meint, sie sei unglücklich über die Unannehmlichkeiten, die wir hatten. Wir erwidern ihr: "Aber nein, wir sind glücklich!" Darauf sie: "Ja, wir leben!"

Wir machen uns wieder auf den Weg, wie geplant, mit dem Erdbebenzentrum im Rücken. Beim Gang durch die Stadt sehen wir auf der Straße herabgefallene Kamine, eine verzierte große Fensterbank aus Stuck und Mauersteine. Auf den Wegen durchs Land liegen immer wieder Steine, auch große Felsbrocken. In den kleinen Orten am Weg stehen Menschen betreten beieinander. Man warnt uns vor dem Passieren einer in der Nacht weiter eingestürzten Hausruine. Wir hören auf einem Feldweg von hinten ein kurzes Grollen, ein weiterer Erdstoß. Später zittert der Weg unter uns.

Viele Nachbeben

Erst im Laufe des Tages wird uns bei genauer Betrachtung der Landkarte so richtig bewusst, wie nahe wir in Norcia dem Erdbebenzentrum waren. Es liegt im Nachbartal, nur ein Höhenzug trennte uns davon – und wir sind wohlbehalten! Um die Mittagszeit erreichen wir das ehemalige Kloster St. Eutizio. Vor der kleinen Bar machen wir Rast. Kurz vor unserem Aufbruch bebt die Erde wieder kräftig. Die Barwirtin ruft ihrem Mann zu, er solle schnell das Haus verlassen. Sie ist mit den Nerven am Ende. Beim Rückblick auf den Weiler, den wir vor der Rast passiert haben, sehen wir unter dem Örtchen eine Staubwolke ziehen. Ein Stückchen Hang ist wohl gerutscht. Flüchtig werfen wir noch ein paar Blicke auf die Klosterkirche. Aus der Giebelwand ist ein Stück Mauer herausgebrochen. In der Kirche liegen Steine und Verputzteile am Boden, auch eine Kerze vom Seitenaltar.

Wieder bewegt sich der Erdboden. Ein Paar aus Simbach am Inn, es macht eine Radtour während seines Campingurlaubs, tauscht sich mit uns aus. Die Frau meint: Zuerst das verheerende Hochwasser im Juni in Simbach und jetzt noch Erdbeben im Urlaub! Vielleicht reisen sie ab. Wir erwähnen, dass wir nach den heutigen Verzögerungen ein anderes Tagesziel als geplant ansteuern, nämlich Preci, wenn es auch fraglich ist, ob wir dort Quartier finden. Die beiden machen uns Mut: Sie sind dort auf dem Campingplatz und der bietet auch Unterkünfte für Nicht-Zelter. Wir gehen jetzt nicht auf Hangwegen weiter, sondern auf der Straße.

Wir finden tatsächlich gute Unterkunft. Wir sind noch am Abend sehr sensibel für dumpfe Geräusche. Sei es ein Klopfen an der Wand zum Nachbarzimmer, sei es der Pizzabäcker im Restaurant, der auf den Teig schlägt – immer passen wir genau auf, ob der Boden unter uns ruhig bleibt. Während wir diese Zeilen schreiben, zittert am Abend gegen elf auch hier bei Preci noch einmal die Erde.