Im Pflegebereich geht das Personal aus, auch im Kreis Rottweil scheint das nun der Fall zu sein. Foto: Daniel Karmann Foto: Schwarzwälder-Bote

Soziales: Liga der freien Wohlfahrtsverbände spricht von Versorgungsengpass / In Schramberg heikle Situation eingetreten

Der Pflegenotstand ist in der ländlichen Region angekommen und kein Großstadtproblem mehr. Darauf weisen die Vertreter der Liga der freien Wohlfahrtsverbände im Kreis hin und schildern, dass es bereits Versorgungsengpässe gebe.

Kreis Rottweil. Der Bedarf an Pflegeleistungen und Pflegeplätzen steigt stetig, während die Zahl der Pflegekräfte zu sinken scheint. Eine schwierige Situation. Nicht nur für die Einrichtungen, oder ambulanten Pflegedienste, sondern auch für die Betroffenen selbst, die teilweise – wenn sie aus der Klinik entlassen werden – nicht sofort einen Platz in einer Einrichtung oder die Zusage eines häuslichen Pflegedienstes bekommen.

Für die Vertreter der Liga der freien Wohlfahrtsverbände ein Grund, sich erneut an die Öffentlichkeit und die Politik zu wenden. "Das ist ein Thema, das man gar nicht oft genug aufgreifen kann", betont Manuela Mayer, Regionalleiterin der Caritas Schwarzwald-Alb-Donau und zugleich Vorsitzende der Liga im Landkreis.

Der Pflegenotstand und die drohenden Versorgungslücken würden seit Jahren diskutiert, aber es geschehe nichts, so die Kritik von Peter Hirsch, dem Geschäftsführer der AWO in Rottweil, Dieter Gaus, stellvertretender Kreisgeschäftsführer des Deutschen Roten Kreuzes und Tamer Öteles, Geschäftsführer der Stiftung "Lernen, Fördern Arbeiten". Es gehe gar nicht nur um Fachkräfte. "Es fehlen insgesamt helfende Hände, um den Bedarf zu decken", sagt Gaus.

Mit großen Sorgenfalten sehen die Vertreter, dass die Gesellschaft diese Thematik nur sehr peripher wahrnehme. "Wer nicht direkt betroffen ist, der interessiert sich nicht dafür", so die Kritik. Dabei gehe die Pflege alle an. Auf den Stationen sei das Personalkorsett oft sehr eng. Alle seien unter Druck, schildert Peter Hirsch. Junge, nachrückende und meist hoch motivierte Kräfte würden sich von den Anforderungen oft erdrückt fühlen.

Von den Anforderungen schier erdrückt

"Es gibt durchaus Leute, die sich in den Pflegeberufen ausbilden lassen", weiß Dieter Gaus. Aber die seien häufig nach vier Jahren aus dem Beruf wieder raus, da sie von den Anforderungen schier erdrückt würden. Bei vier Pflegekräften auf einer Station mit 30 Bewohnern habe man kaum Zeit für den einzelnen Patienten, schildert Peter Hirsch. Zudem sei auch die zunehmende Bürokratie und Dokumentationspflicht ein großes Problem. Und so werde der Beruf für viele, die eigentlich helfen wollten, unattraktiv.

Das müsse man umkehren. "Wir sind jetzt in der Situation, wo Menschen Hilfe benötigen und keine mehr bekommen", so Peter Hirsch. In Schramberg gebe es bereits erste Versorgungsengpässe. Und wenn die ambulanten Strukturen bröckeln würden, dann verlagere sich alles auf den stationären Bereich. Auch das sei nicht zu stemmen. Angehörige seien in solchen Situationen oft hilflos und komplett überfordert. Es sei Zeit endlich gegenzusteuern, so die Forderung. "Uns gehen langsam die Menschen aus", sagt Tamer Öteles. Denn die Leute, die die Berufe erlernen könnten, die wollten nicht mehr, und die anderen könnten es nicht. "Man muss dafür sorgen, dass die Bedingungen wieder besser werden", fordert Ligavorsitzende Mayer. Geld sei hier nicht alles. Da habe sich in den vergangenen Jahren bereits etwas bewegt. Aber die Arbeitsbedingungen vor Ort seien oft unattraktiv. "Die Bedingungen müssen fair sein", so Mayer.

Forderung: mehr Menschen im System

Peter Hirsch ist überzeugt davon, dass es im Gesundheitswesen wieder besser laufen würde, wenn man die Wirtschaftlichkeit hier nicht mehr ansetzen würde. "Die gehört aus dem Gesundheitswesen einfach raus. Hier geht es um Menschen", sagt er. Das Administrative habe man längst abbauen wollen. Das Gegenteil ist allerdings der Fall. Die Dokumentationszeit sei Zeit, die für den Patienten nicht zur Verfügung stehe. "Wir brauchen einfach wieder mehr Leute im System, eine andere Vergütungsstruktur und Arbeitszeitmodelle. Der Pflegeberuf muss wieder zu einem Beruf werden, in dem man das helfen wollen ausleben kann", sagt Gaus.

Einen Lösungsansatz sehen die Ligavertreter in der Wiedereinführung des Freiwilligen Sozialen Jahres für alle jungen Leute. "Das wäre auch wichtig für die Prägung der jungen Menschen." Und es gehe nicht darum hier "billige Arbeitskräfte" zu bekommen. Auch diese Kräfte müssten ordentlich bezahlt werden. Aber über die Heranführung der jungen Menschen an die Thematik könne man eventuell auch mehr Sensibilität in der Gesellschaft für das Thema erreichen.