Wie führt man ein Unternehmen, wie eine Stadt? Experte Günther H. Schust meint: Ein Chef versteht sich als Unterstützer, Promotor und Mediator. Foto: Otto Foto: Schwarzwälder-Bote

Führungskultur: Autor Günther H. Schust: Zeit des einsamen Entscheiders ist vorbei

Rottweil. Günther H. Schust ist in Rottweil kein Unbekannter. Hier geboren, lebt er mittlerweile in München. Beim ersten Unternehmergespräch im Jahr 2013 der Stadt Rottweil über das Thema "Was wir von den Schweizern lernen können" hat er in der Holzmanufaktur im Neckartal das Referat gehalten. Schon damals, so erinnert er sich, habe er die Zuhörer aufgefordert, die Achse Stuttgart-Rottweil-Schweiz sehr ernst zu nehmen. "Wenn wir es fertigbringen, von den Schweizern das Führen und Innovieren zu lernen – die Schweiz ist die Innovations- und wettbewerbsfähigste Nation der Welt –, dann werden wir in Rottweil sehr erfolgreich sein". Wir sprachen mit ihm über das Führen von Mitarbeitern und "Rottweil 5.0".

Sie sind auf eine Formulierung des Rottweiler Oberbürgermeisters Ralf Broß aufmerksam geworden. Beim Empfang der Stadt auf dem Turmfest sprach er von "Rottweil 5.0". Was gefällt Ihnen daran?

Ich finde es toll, dass Herr Oberbürgermeister Broß eine richtige Vision für die Stadt formuliert hat, nämlich Rottweil 5.0, die er mit seinen Mitstreitern in naher Zukunft realisieren will. Das Zitat von Oberbürgermeister Ralf Broß: "Von der alten Reichstadt zur Stadt mit guten Ideen. Es soll eine Epoche werden, in der Tradition und Innovation keine Gegensätze sind." Die ehemalige "Stadt der Römer" (die Römer haben ja schon damals eine hervorragende Technologie für Aufzüge bereitgehalten), dann die "Freie Reichstadt", die unter anderem mit ihrer Pulvertechnik bis weit nach China bekannt war (1910 war sogar eine Delegation mit dem kaiserlichen Prinzen Tsai Tao im Neckartal) und heute die moderne "Ideen-Stadt", in der eine revolutionäre Aufzugstechnologie für die ganze Welt realisiert wird. Das macht mich als gebürtiger Rottweiler schon sehr stolz, der als Gastdozent Führung, Innovation und Kommunikation an der Hochschule St. Gallen unterrichtet.

Unter dem Begriff "Führung 5.0" legen Sie in ihren neuesten Veröffentlichungen dar, was zukünftige Führungskräfte und Mitarbeiter auszeichnet. Können Sie kurz skizzieren, worauf es bei "Führung 5.0" genau ankommt?

Schon heute üben zwei Drittel aller Erwerbstätigen Tätigkeiten aus, wo sie es mit Produzieren, Einholen, Weitergeben, Umformen und dem Benutzen von Informationen zu tun haben. Dies führt zu völlig neuen Tätigkeitsprofilen in allen Bereichen, die in den (Hoch-)Schulen, Organisationen und Verwaltungen selbst entwickelt werden müssen. Auch erfolgt die zwischenmenschliche Kommunikation in interdisziplinären Netzwerken und weniger in herkömmlichen Matrix- beziehungsweise Linienstrukturen.

So werden Hierarchien deutlich flacher, die Verantwortungsspannen erweitert und dabei unnötige Schnittstellen vermieden. Die Führungskraft wird so zum Vernetzer und Unterstützer der Mitarbeiter, die die agilen Teams optimal unterstützt, intern und extern vernetzt und konsequent auf die Kunden- und Userbedürfnisse ausrichtet. Der Schlüssel dazu sind adäquat für die digitale Zukunft ausgebildete Menschen, an denen wir jedoch einen echten Mangel haben.

Im Fokus Ihrer Überlegungen stehen klassische Wirtschaftsbetriebe. Wie sind Ihre Erkenntnisse auf kommunale Strukturen übertragbar, will sagen: Was würden Sie dem Rottweiler Oberbürgermeister raten, um die Stadt in die Zukunft zu führen?

Ratschläge sind immer "Schläge", die ich mir nicht anmaße. Jedoch kann ich Herrn Oberbürgermeister Broß (und alle Leser) dazu ermuntern, sich mit der neuen (Führungs-) Welt auseinanderzusetzen. Die Zeit des einsamen Entscheiders ist endgültig vorbei. In einer Studie "Development Leadership for the 21st Century" von Korn und Ferry sagen mehr als 60 Prozent der befragten Führungskräfte, dass Organisationen und Verwaltungen zukünftig von gemischten Teams auf Zeit geführt werden. Entscheidungsbefugnis und Verantwortung werden dabei an die Schlüsselstellen im Netzwerk verlagert. Der Wandel betrifft also nicht nur neue (digitale) Geschäftsmodelle, sondern auch die Art und Weise der Qualität der Führung und Kommunikation. Wer also neue Initiativen und den Wandel will, muss erst den "Sand im Getriebe" entfernen. So reicht es nicht mehr aus, über Zahlen, Daten und Fakten zu führen, sondern er oder sie muss eine "durchlässige" Organisationsstruktur erzeugen, damit die Mitarbeiter die PS auch auf die Straße bringen.

Sind Verwaltungsstrukturen, die sich über Jahrzehnte herausgebildet haben, überhaupt noch in der Lage, adäquat auf die Herausforderungen in der heutigen Zeit und die Anforderungen, die durch Bürger und Unternehmen an sie gestellt werden, zu reagieren?

Verwaltungsstrukturen – auch E-Government oder die sogenannte virtuelle Verwaltung – wirken so lange als Reaktionshemmnisse, solange die Notwendigkeit einer Zusammenarbeit nicht erkannt und verinnerlicht wird. Wichtig ist die Erkenntnis, dass die Kernstadt nicht ohne die unternehmerischen Leistungen des Umlandes und das Umland nicht ohne die Leistungen der Kernstadt auf Dauer wettbewerbsfähig sind. Es braucht also ein Verständnis für eine gemeinsame Vision, den Willen zur gemeinsamen Lösung und die Bereitschaft, dass alle die dafür notwendigen Aufgaben in umweltgerechter Verantwortung durchführen wollen. Voraussetzung ist dafür ein reger Meinungs- und Gedankenaustausch der Parteien mit dem Bürger, den Unternehmen, Handwerkern – und vor allem, dass die richtig "tickenden Köpfe" miteinander vernetzt werden.

Der OB ist die oberste Führungskraft einer Kommune: Auf welche Tugenden und Eigenschaften kommt es an, um erfolgreich zu führen?

You are what you share! Ein guter Chef muss, um erfolgreich zu sein, die Tore nicht selbst schießen, sondern er versteht sich als Unterstützer seiner Mannschaft, mit der er die Spielregeln und Meilensteine der Projekte und Ergebnisse vereinbart. Er ist Promotor und Facilitator, der seine Mitspieler adäquat qualifiziert und motiviert, damit diese auch die entscheidenden Tore schießen beziehungsweise die besten Ideen und Lösungen für die Stadt, den Kunden und die Umwelt realisieren können. Die Führungskraft, hier also der Oberbürgermeister, muss dabei das Zusammenspiel der Mannschaft – Gemeinderat, Verwaltung – jedoch richtig lesen können. Die Umsetzung neuer Innovationen und (IT-) Lösungen dauert aber in den Kommunen und Betrieben in Deutschland viel zu lange, weil es immer um unterschiedliche Interessen und Erwartungen geht. Gemeinsam ist man jedoch stärker. So braucht es im wesentlichen Tugenden und Eigenschaften wie zum Beispiel Empathie- und Reflexionsvermögen, Lernfähigkeit- und vor allem Entscheidungs- und Vernetzungsfähigkeit.   Die Fragen stellte Armin Schulz

Günther H. Schust ist gebürtiger Rottweiler. Der Diplom-Kaufmann und Wirschafts-Ingenieur lebt seit 1985 in München.

Schust ist Partner der IHH International Head Hunters München, Human Performance Consultant und Weiterbildner, Gastdozent an der Universität St. Gallen in der Schweiz, Lehrbeauftragter an der Fachhochschule Kempten/Allgäu, Trainer an der Führungsakademie Bad Harzburg sowie Partner und Dozent der Ludwig-Maximilians-Universität München und Zürich-Wintherthur. Er begleitet namhafte Firmen unterschiedlicher Größe bei der Umsetzung von Performancesteigerungs- und Personalentwicklungsprogrammen in Kooperation mit internationalen Hochschulen.

Schust hat vor Kurzem ein eBook mit dem Titel "Führung 5.0: Intelligent vernetzen – unterstützen – entfalten" veröffentlicht. Es ist kostenlos herunterladbar unter Schust im eVerlag www.bookboon.com.