Tatort Sulz: Hier, zwischen den beiden Elektrokästen, stand das erste Opfer, das angefahren wurde.Archiv-Foto: Steinmetz Foto: Schwarzwälder-Bote

44-jähriger Fahrer wegen zweifach versuchtem Mord vor Gericht. Sicherungsverfahren: Beschuldigter offensichtlich schuldunfähig.

Sulz/Rottweil - Sulz im April: Ein Autofahrer fährt kurz nacheinander zwei Fußgänger an. Die Staatsanwaltschaft wirft dem 44-Jährigen versuchten Mord vor. Der Mann ist aufgrund einer schweren psychischen Erkrankung offensichtlich schuldunfähig. Er soll er in einer psychiatrischen Klinik untergebracht werden.

"Schnell, schnell ein Rettungswagen, die Frau ist schwer verletzt". Die Stimme am Telefon überschlägt sich. Sie gehört einem Mann, der über den Polizeinotruf dem Beamten am anderen Ende der Leitung eben berichtete, dass wenige Augenblicke zuvor ein Autofahrer einen Fußgänger vor dem Sulzer Rathaus offensichtlich absichtlich angefahren hat und geflüchtet ist. Nun das: Der flüchtige Fahrer kehrt zurück und fährt eine Frau mitten auf dem Zebrastreifen an. Sie wird durch die Luft geschleudert und landet einige Meter weiter auf dem Asphalt. Sie blutet stark, erleidet Rippenbrüche und eine Becken-Fraktur. Der Amokfahrer fährt erneut davon.

Diese dramatischen Szenen haben sich an einem Samstagmorgen Ende April dieses Jahres auf dem Sulzer Marktplatz zugetragen.

Seit gestern werden die Vorgänge um die zweifache Amokfahrt vor der Ersten Schwurgerichtskammer des Landgerichts Rottweil unter Vorsitz von Richter Karlheinz Münzer verhandelt. Der Fahrer ist ein heute 44 Jahre alter Mann. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm zweifachen versuchten Mord vor in Verbindung mit gefährlicher Körperverletzung und Gefährdung des Straßenverkehrs. Der Beschuldigte soll sich jeweils äußerst rücksichtslos aus dem Staub gemacht haben.

"Ich möchte mich entschuldigen bei Ihnen". Es bleibt gestern vorerst die einzige öffentliche Äußerung des 44-Jährigen. Um die Intimsphäre des offensichtlich psychisch schwer kranken Menschen zu wahren, entscheidet das Gericht nach einem Antrag der Verteidigung, den 44-Jährigen unter Ausschluss der Öffentlichkeit zu hören.

Die Entschuldigung gilt einer Frau. Sie tritt gestern als Zeugin auf und war das zweite Opfer an jenem Samstagmorgen in Sulz. Noch heute wirkt der Vorfall bei ihr nach. Das 56 Jahre alte Opfer leidet an einer posttraumatischen Belastungsstörung, befindet sich in psychologischer Behandlung, und ist weiter arbeitsunfähig. Seitdem fahre sie auch nicht mehr Auto, habe Ängste. "Ich habe mich verändert", sagt sie. Richter Münzer sagt, es sei kein gezielter Anschlag gegen sie gewesen. Sie sei ein Zufallsopfer gewesen.

Der Täter ist kein völlig unbeschriebenes Blatt. Ein Zeuge sagt, er kenne ihn vom Hören-Sagen. Er soll Mitglieder des Musikvereins in dem Dorf, in dem er lebte, schon mal als Nazis beschimpft haben und als Sonderling gegolten haben. Seit der Tat befindet er sich in einer Fachklinik. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass der Beschuldigte so schwer krank ist, dass er schuldunfähig ist. In dem gestern eröffneten Hauptverfahren, das am Donnerstag, 22. Oktober, um 9 Uhr fortgesetzt werden soll, geht es um die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus, nicht um die Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe.

Im Mittelpunkt des ersten Sitzungstags steht die Rekonstruktion der Vorfälle. Mehrere Zeugen werden gehört, gezeigt wird auch ein Film, den die Kriminalpolizei zweieinhalb Wochen danach mit Zeugen und Opfern angefertigt hat. Er soll aufzeigen, was sich an jenem Morgen alles zugetragen hat.

Demnach ist es kurz nach 9 Uhr am 25. April, als der Beschuldigte auf einem Mann zusteuert, der sich vor dem Rathaus befindet. Der 54-Jährige fällt auf die Motorhaube, von dort landet er unsanft auf den Knien. Möglicherweise verhindern zwei Elektrokästen auf dem Gehweg Schlimmeres. Sie stoppen die Amokfahrt. Das erste Opfer blutet aus Nase, beide Knie schmerzen. Ein Zeuge kümmert sich um ihn und wählt die 110, die Notrufnummer der Polizei, da der Täter davonfährt.

Noch während er telefoniert, kehrt der Unglücksfahrer zurück. Er hält kurz an der Bushaltestelle und fährt das zweite Opfer um. Möglicherweise spielen Details eine Rolle. Etwa, wie hoch die Geschwindigkeit des Autos war, ob der Fahrer mit quietschenden Reifen auf seine Opfer zufuhr, in welchem Gemütszustand er sich wohl befunden hat. Insgesamt sollen 31 Zeugen gehört werden. Drei Sachverständige (medizinisch, psychiatrisch und Kfz-technisch) werden ihre Expertise abgeben. Es ist davon auszugehen, dass die Verhandlung nichtöffentlich geführt wird, sobald die persönlichen Belange des Beschuldigten zur Sprache kommen.