Kerzen stehen auf einem Spielplatz in Vöhringen, nachdem bei einem Streit ein 17-Jähriger getötet wurde. Der 15-jährige Täter wird im Juli verurteilt. Während des Prozesses stellt sich die Frage nach der Mitschuld des Jugendamts. Foto: Strobel

Psychotherapeutin erhebt Vorwürfe gegen die Behörde in Rottweil. Auch Richter sprechen nach schrecklicher Tat von Mitschuld.

Kreis Rottweil - Dies ist die Geschichte behördlichen Versagens, eine Geschichte, an deren Ende ein Mensch getötet wird, der Täter damit ein Leben lang zu kämpfen hat. Eine Geschichte, die Fragen aufwirft. Vor allem danach, warum das Jugendamt nicht eingeschritten ist.

Ein 15-Jähriger aus Vöhringen wurde im Juli vom Landgericht Rottweil wegen Totschlags zu sechs Jahren Haft verurteilt. Eine Psychotherapeutin kennt den Fall, sie spricht von einer Mitschuld des Jugendamts Rottweil. Auch der Richter sprach von einer Mitschuld des Jugendamts in seiner Urteilsverkündung.

"Es wäre möglich gewesen, die Tat zu verhindern, wenn das Jugendamt Rottweil adäquat reagiert hätte", behauptet Annette Skrypski, Psychotherapeutin aus Hechingen/Tübingen. Ihr war der Fall durch die persönliche Beziehung zur Mutter schon lange vor der Tat bekannt.

Mutter hatte Angst, dass etwas Schlimmes passieren könnte

Vor drei Jahren riet sie der Mutter des heute 15-Jährigen, das Jugendamt einzuschalten. Der Jugendliche lebte zu dieser Zeit bei seinem Vater, die Mutter befürchtete eine Kindeswohlgefährdung. "Und ich teilte ihre Meinung", betont Skrypski.

Das Jugendamt wurde eingeschaltet und "ausdrücklich gebeten", den Jungen aus dem Umfeld in Vöhringen zu nehmen, um "Schlimmeres zu verhindern". Bis zur Tat Ende 2012 war die Mutter im steten Kontakt mit dem Jugendamt, informierte es kontinuierlich über aktuelle Vorkommnisse, insbesondere über die häusliche Gewalt, der der Jugendliche ausgesetzt war.

Mehrfach musste ihr Sohn im Akutkrankenhaus wegen Platz- und Schnittwunden behandelt werden. Immer wieder habe die Mutter gebeten, geeignete Schritte einzuleiten, was das Jugendamt aber ignoriert habe. "In ihrer größten Not" habe sie auch den Weg zur Jugendamtsleitung nicht gescheut, schildert Skrypski.

Im Gespräch mit dem Leiter Bernd Hamann habe sie eindrücklich die körperliche und verbale Gewalt geschildert und ihre Sorge formuliert, dass abzusehen sei, dass etwas Schlimmes passiere. Dem Jugendamt war durch die Mutter auch frühzeitig bekannt, dass der damals 14-Jährige Alkohol und Drogen konsumiert. Wörtlich habe die Mutter dem Jugendamt gesagt: "Das Kind schreit um Hilfe und das Jugendamt will nichts sehen und hören."

Tatsächlich schloss das Jugendamt eine Unterbringung weiterhin aus und ließ den Jungen in seinem Umfeld.

Für Skrypski erschütternd: "Das Kind musste aufgrund von häuslicher Gewalt mehrfach medizinisch versorgt werden. Wie kann Kindeswohlgefährdung eigentlich deutlicher eingestuft werden?", fragt sich die Psychotherapeutin. "Wie viel Leid hätte vielen Menschen erspart werden können, wenn das Jugendamt die Appelle der Mutter ernst genommen hätte?" Das Verhalten der Kreisbehörde beschreibt Skrypski aus ihrer Erfahrung mit diesem Fall als "äußerst unangemessen und unprofessionell". Das lässt für sie nur einen Schluss zu: "Es ging dem Amt vorrangig darum, Kosten zu sparen."

Laut Angaben der Jugendhilfe Mutpol in Tuttlingen, die Skrypski vorliegen, seien "deutlich weniger Unterbringungen durch das Jugendamt Rottweil im Vergleich zu allen anderen angrenzenden Landkreisen zu verzeichnen". Obwohl nach Ansicht der Psychotherapeutin "kaum davon auszugehen ist, dass die Familien im Kreis Rottweil weniger belastet sind als anderswo".

Hilfe wurde im Vorfeld der Tat auch vom Bundestagsabgeordneter Volker Kauder angeboten, der den Bericht über das Jugendamt mit "großer Bestürzung" zur Kenntnis genommen habe. Er empfahl der Mutter, die Psychologische Familienberatung oder den Verein "Frauen helfen Frauen" aufzusuchen. Doch diese Schritte war die Mutter bereits gegangen.

Keiner konnte auf das Verhalten des Jugendamts Einfluss nehmen.

Für Skrypski macht dies deutlich: "Die kommunalen Gremien habe eine riesige Verantwortung über die fachliche Ausgestaltung der Jugendhilfe." Eine andere Überprüfungsbehörde gebe es nicht. Volker Kauder habe der Mutter zur einer Dienstaufsichtsbeschwerde gegen das Amt geraten. Kauder bestätigt dies in einem Gespräch. Jedoch wollte er keine weitere Stellungnahme abgeben, da seine Bürgerfragestunde, innerhalb der die Mutter die Vorgänge schilderte, ein geschützter Raum sei.

Doch bevor es zur Dienstaufsichtsbeschwerde kam, spitzte sich das Drama zu und es kam zu der schlimmen Tat in Vöhringen im Dezember vergangenen Jahres.

Und was sagt das Jugendamt selbst dazu? Das Jugendamt könne die Vorwürfe aufgrund ihrer Schweigepflicht nicht kommentieren, reagiert Leiter Bernd Hamann auf unsere Nachfrage. "Pauschal gesagt wurde aber alles dem Jugendamt Mögliche getan."

Ob sich das Jugendamt mit dieser lapidaren Antwort aus der Affäre wird ziehen können? Mittlerweile jedenfalls befassen sich auch Kreisräte mit dem Thema. Erste Schritte, so SPD-Rat Jens Jäger, seien bereits eingeleitet worden.