Wenn es nach Justizminister Rainer Stickelberger ginge, wäre die Standortfrage vermutlich schon geklärt. Rottweil habe aus vollzuglicher Sicht Vorteile, sagt er. Doch entschieden ist noch nichts.Foto: Nädele Foto: Schwarzwälder-Bote

Rottweil oder Meßstetten: Justizminister Stickelberger äußert sich über das Auswahlverfahren und den Favoriten aus vollzuglicher Sicht

Rottweil/Meßstetten. Die Gefängnisfrage für die Region zwischen Bodensee und Zollernalbkreis gelangt – nach einem jahrelangen Hin und Her – möglicherweise in die entscheidende Phase. Zwei Standorte sind noch im Rennen: das Gewann Esch bei Rottweil und ein ehemaliges Bundeswehrgelände bei Meßstetten.

Mitte Juli will die Landesregierung entscheiden, wo ein neues Gefängnis für bis zu 500 Gefangene gebaut wird. Wir sprachen mit Justizminister Rainer Stickelberger (SPD) über die Vorteile der jeweiligen Standorte. Eine Vorentscheidung gibt es nicht, versichert der Minister, weder für Rottweil, noch für Meßstetten.

Herr Minister Stickelberger, zwei Standorte stehen für ein neues Großgefängnis zur Auswahl: Meßstetten und Rottweil. Welchem Standort geben Sie den Vorzug?

Für Meßstetten wurde immer ins Feld geführt, dass es eine Konversionsfläche ist, eine Fläche, die im Prinzip bebaubar und erschlossen ist. Das war auch ein Gesichtspunkt für die Ansiedlung der LEA, der Landeserstaufnahmestelle. Für Rottweil spricht die Nähe zu den Landgerichtsbezirken Hechingen, Rottweil, Konstanz und Waldshut-Tiengen. Das ist der gedachte Einzugsbereich einer neuen Haftanstalt. Und deshalb haben wir immer vom Suchdreieck Rottweil gesprochen, weil Rottweil da gut gelegen wäre.

Das heißt, Ihr Herz schlägt für Rottweil?

Es gibt mehrere Gründe, die für Rottweil sprechen. Ein Grund ist, dass uns die Rechtsprechung sagt, wir müssen aus Resozialisierungsgründen Strafgefangene heimatnah unterbringen, um Kontakt mit Familienangehörigen zu ermöglichen. Ein zweiter Gesichtspunkt: Viele Gefangene nehmen häufig an Prozessen als Angeklagte oder Zeugen teil. Sie müssen erst zum Gericht und später wieder zurück in die Haftanstalt gebracht werden. Da gibt es einen regelrechten Pendelverkehr. Je kürzer die Strecke, desto besser. Ein dritter Punkt: Die Bediensteten, die wir für eine Justizvollzugsanstalt brauchen – circa 250 –, fallen nicht vom Himmel, sondern diese rekrutieren wir im Wesentlichen aus dem Personal der zu schließenden kleineren und älteren Gefängnisse.

Das sind Gesichtspunkte, die für ein Gefängnis die zentralen sind, also doch Rottweil?

Das sind Punkte, die aus vollzuglicher Sicht für Rottweil sprechen. Das ist auch meine Sicht, schließlich bin ich für die Justizpolitik verantwortlich. Die anderen Gesichtspunkte für Meßstetten resultieren aus strukturellen Erwägungen, etwa, dass wir als Land auch darauf schauen müssen, wie wir Konversionsflächen sinnvoll nutzen. In Meßstetten sind erhebliche strukturelle Einschnitte passiert mit Auswirkungen auf Arbeitsplätze, Verkehr, Einzelhandel. Mein primärer Gesichtspunkt liegt klar auf dem Vollzuglichen.

Es heißt, Ministerpräsident Winfried Kretschmann stehe beim Meßstetter Bürgermeister Lothar Mennig im Wort. Ist die Sache schon entschieden – für Meßstetten?

Nein. Der Prozess ist völlig offen. Es gibt keine Vorfestlegung. Meßstetten wurde benannt, weil es auch Landesinteresse ist, Konversionsflächen sinnvoll zu nutzen. Ob man diese Fläche für eine Haftanstalt als Nachnutzung vorsieht, ist nicht zwingend. Auch andere Nutzungen sind denkbar. So ein Areal kann man auch industriell, gewerblich oder für Wohnbebauung verwenden.

Sieht der Ministerpräsident die Vollzugsbelange genau so?

Ich glaube, der Ministerpräsident sieht die Belange insgesamt auch und in ihrer Vielfalt. Und ich sehe natürlich auch die anderen Belange. So gesehen, liegen wir nicht auseinander. Aber wie die Gewichtung jetzt ausfällt, muss man sehen.

Wären Sie bereit, den Rottweiler Standort Esch auch gegen Widerstände aus der Bevölkerung, der sich vor allem aus den umliegenden Gemeinden regt, durchzusetzen?

Ich sehe, dass es Widerstand gegen das Esch gibt. Es gab auch Widerstand gegen den Hochwald. Ich gehe davon aus, dass es bei jedem Standort Bedenken gibt. Es wird immer Argumente geben, die ins Feld geführt werden, zum Teil unter Sicherheitsgesichtspunkten – die Kriminalität würde steigen –, oder dass die Grundstücke entwertet würden. All das haben wir schon früher widerlegen können.

Und der Naturschutz?

Es kommen immer wieder naturschutzrechtliche Einwände, die auch beim Esch ins Feld geführt werden. Esch liegt nahe eines Naturschutzgebiets, aber nicht mittendrin. Der Standort selber besteht lediglich aus Ackerflächen. Beim Hochwald haben wir den Weiler in der Nähe und das Landschaftsbild, was beides sehr tangiert würde. Das waren Gesichtspunkte, weshalb wir dem Esch den Vorzug gegeben haben.

Trotz allem wird es Ängste geben, die man auch mit einer noch so guten Aufklärungskampagne nicht aus der Welt schaffen wird. Wie wollen Sie diesen Ängsten begegnen?

Man muss sich laufend bemühen, Überzeugungsarbeit zu leisten. Dennoch wird es einen Kernbestand von Bürgern geben, die dem nicht folgen werden. Da stößt Überzeugungsarbeit an Grenzen. Es ist bei Großvorhaben oft so, dass sie abgelehnt werden. Das ist legitim. Aber wenn ich die Rückmeldungen aus den Städten sehe, bin ich optimistisch.

Die Nachbarorte von Rottweil – Zimmern, Villingendorf und Dietingen –, die keinen direkten Nutzen von einer JVA haben, sehen das Vorhaben kritisch. Wie werden Sie den Willen dieser Kommunen berücksichtigen?

Wir konzentrieren uns zunächst ganz auf das Votum aus den beiden Städten, Rottweil und Meßstetten. Das steht für uns im Vordergrund. Dass es vielfältige Betroffenheiten geben kann, das war in Tuningen auch so. Wir sind im Gespräch mit den beiden Städten. Darauf kommt es an.

Am Protest wollen Sie es dieses Mal nicht scheitern lassen?

Wir müssen auf die Gesamtstadt schauen. Für uns ist das Votum der gesamten Kommune von Bedeutung. Entscheidend ist, was die Städte sagen. Wobei die gesellschaftliche Akzeptanz nur ein Kriterium ist unter vielen.

Das heißt?

Wir sammeln alle Daten zu naturpolitischen und zu vollzuglichen Belangen, ebenso zur gesellschaftspolitischen Akzeptanz. Dann wird es eine Gesamtauswertung geben. Wobei man das nicht deduktiv ableiten kann, etwa nach dem Motto: Ich gebe oben alle Werte rein, und unten kommt dann ein Ergebnis raus.

Wie bei der Bewertungs-Matrix – wurde sie deswegen verworfen?

Die Matrix war zu abstrakt, zu technisch. Die verschiedenen Gesichtspunkte, die ich genannt habe, muss ich immer auch politisch gewichten.

Der Gemeinderat in Rottweil hat sich am Mittwoch gegen einen Bürgerentscheid ausgesprochen. Es bleibe zu wenig Zeit, die Bürger ausreichend zu informieren, wurde gesagt. Können Sie diese Entscheidung nachvollziehen?

Wichtig ist mir, zu betonen, dass die Landesregierung das Ergebnis eines Bürgerentscheids auch dann noch berücksichtigt hätte, wenn er nach dem 15. Juni, dem Ende der Anhörungsfrist, erfolgt wäre. Dies war der Kommune auch ausdrücklich zugesagt worden. Im Übrigen ist die Diskussion über die mögliche Ansiedlung einer Justizvollzugsanstalt in Rottweil nicht neu, die Argumente für und gegen einen solchen Bau werden schon lange in der Öffentlichkeit diskutiert. Bis zu einem Bürgerentscheid Ende Juni wäre aus meiner Sicht genügend Zeit gewesen, die Meinungsbildung in Rottweil voranzutreiben.

Bleibt es bei der Entscheidung im Kabinett im Juli?

Wir streben das an, weil wir weiterkommen müssen. Nachdem man bereits einige Jahre an dem Thema dran ist, wünsche ich mir, dass wir bis Sommer entscheiden. Wir brauchen das neue Gefängnis. Immer wieder werden wir angemahnt, die heimatnahe Unterbringung von Gefangenen zu ermöglichen, einen modernen Strafvollzug mit Behandlungskonzept nun bald umzusetzen.

Wird es mit einer Eröffnung vielleicht schon im Jahr 2020 klappen?

Das wäre ambitioniert. Man weiß nie, was bei der Bauleitplanung passiert. Daran werden sehr viele beteiligt. Auch die Nachbargemeinden zum Beispiel. Da gibt es Rechtsbehelfe, die möglicherweise in Anspruch genommen werden. Deshalb ist es schwer, etwas zu prognostizieren. Es wäre wünschenswert, dass es zügig geht. Sonst haben wir das Problem, dass wir die kleineren Haftanstalten, die wir schließen wollen, umfassend sanieren müssen. Doch es ist nicht sinnvoll, in solche alten Liegenschaften zu investieren. Nur das Notdürftigste zu machen, ist keine Politik, die für uns Bestand hat.

Was passiert so lange mit den beiden anderen Rottweiler Standorten – Hochwald und Bitzwäldle? Werden Sie endgültig beiseite gelegt?

Das Verfahren für diese beiden Standorte ruht. Das heißt, wenn sich im weiteren Verlauf, vor allem im Bebauungsplanverfahren, unvorhergesehene Umstände ergeben, kann alles Mögliche passieren, etwa, dass wir dann auf das Bitzwäldle und den Hochwald zurückgreifen. Aber dafür gibt es bisher keine Anhaltspunkte. Jetzt konzentrieren wir uns auf Meßstetten und das Esch. u Die Fragen stellten Patrick Nädele und Armin Schulz