Applaus für offene Worte: Publikum beim CDU-Neujahrsempfang im VVP-Festsaal in Rottweil nach der Rede von Entwicklungsminister Müller. Foto: Kienzler

Gerd Müller spricht bei CDU-Neujahrsempfang im VVP Tacheles. Kauder: Neue Töne für die Partei.

Kreis Rottweil - Er hat den Gästen im Festsaal des Vinzenz-von-Paul-Hospitals in Rottweil ins Gewissen geredet. So wie das vor ihm noch keiner gemacht hat. Gerd Müller – den Namen des Entwicklungsministers im Bund wird man sich merken müssen. Er sprach beim Neujahrsempfang des CDU-Kreisverbands. Sehr ernst und nachdrücklich.

Hört man den Namen Gerd Müller, denkt man schnell an den "Bomber der Nation", jenen etwas untersetzten, aber quirligen Nationalspieler, der Deutschland 1974 zum WM-Titel schoss. Und beim Amt des Entwicklungsministers werden Erinnerungen an jenen Politiker wach, der einst eher mit der Fallschirmjägermütze auf dem Kopf, als mit kluger Politik von sich reden machte.

Seit Freitag wird man im Kreis Rottweil seine Gedanken neu sortieren müssen. Schon allein von Statur und Auftreten unterschied sich dieser Gerd Müller von Namensvetter und Vorgänger im Amt recht deutlich. Was er zu sagen hatte, war von derartig nüchterner Ernsthaftigkeit und Nachdrücklichkeit geprägt, dass einem das Gewissen schon auf den Magen drücken konnte. Soziale Verantwortung lautete das zentrale Thema des Abends.

Gerd Müller (59) ist CSU-Politiker. Er stammt aus Kempten im Allgäu, der ältesten Stadt in Deutschland, wie er am Freitagabend im Festsaal im Rottenmünster verschmitzt sagt, und er verantwortet im Kabinett Angela Merkels (CDU) in Berlin das Ressort wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Er setzt dabei unübersehbar eigene Schwerpunkte.

Als Entwicklungsminister ist Müller viel unterwegs in dieser Welt. Vor allem in die Kriegs- und Krisenregionen wie nach Syrien verschlägt es ihn, in den "Vorhof zur Hölle", wie er sagt. Das ist dort, wo Mädchen beispielsweise von ISIS-Terrorgruppen als Sklaven gehalten und vergewaltigt werden. Was er von diesen Reisen mitbringt, sind viele erschütternde Nachrichten, aber auch weitreichende Erkenntnisse.

Diese münden in politische Forderungen und Programme, etwa die Forderung nach "fairem Handel", nach ökologischen und sozialen Mindeststandards, nicht nur hier in Deutschland oder Europa etwa, sondern weltweit, so Müller. Das gelte dann und vor allem auch für die Textilarbeiter in Bangladesch, die unter erbärmlichen Zuständen Kleider für die westliche Welt produzierten. Kinder stünden ungeschützt in der Chemiebrühe und gerbten Leder für uns, berichtet der Minister. Damit müsse Schluss sein. Unter anderem deswegen hat er ein Textilbündnis ins Leben gerufen. Ein Euro pro Kleidungsstück als Lohnanteil reiche aus, um Kindern in jenen Ländern eine Schulausbildung zuteil werden zu lassen.

Überhaupt geht der Entwicklungsminister schonungslos mit seinem Publikum im Festsaal, darunter Prominenz aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft im Kreis Rottweil, um. Aber auch respektvoll. Angesichts globaler Probleme wie Ressourcenverbrauch oder Unterernährung forderte er dazu auf, nachhaltiger und bewusster zu leben. "Wir müssen teilen lernen und wir Reiche müssen für die Armen auf dieser Welt einstehen".

Gäste über schreckliche Dinge in der Welt informiert

Das bedeute nicht, dass man etwas von seinem Wohlstand abgeben müsse, aber neues Denken sei unbedingt erforderlich. 20 Prozent der Menschen verbrauchten 80 Prozent der Ressourcen und diese stammten aus den armen Ländern. "Wir leben, als würden wir die letzte Party feiern", sagt Müller. Es nutze nichts, die Mauern um sich herum höher zu ziehen. Das werde nicht funktionieren. Man müsse den Menschen vor Ort helfen, ihnen eine Perspektive geben, sonst habe man schnell noch größere Probleme hier zu Hause.

Müller sprach den Festgästen minutenlang ins Gewissen. 25.000 Kinder würden an einem Tag an den Folgen von Unterernährung sterben. Nicht hinnehmbar. Er machte aber auch Mut: "Wir können Großes leisten: Eine Welt ohne Hunger", etwa.

Diese Töne seien neu in der Partei, gab der CDU/CSU-Fraktionschef im Bundestag, Volker Kauder, unumwunden zu. Aber sie stünden einer christlichen Volkspartei gut zu Gesicht, sagt er. Kauder kam auch auf den Anschlag von Paris zu sprechen und sagte, dies sei auch ein Terrorangriff auf unsere Werte und unsere Freiheit gewesen. Dennoch mahnte er zu Besonnenheit und sagte im Hinblick auf die Mohammed-Karikaturen: "Mit religiösen Gefühlen darf man nicht Schindluder treiben".

Begrüßt wurden die Festgäste von Stefan Teufel, Kreisvorsitzender der CDU und einziger Landtagsabgeordneter im Kreis, der als politische Felder im ländlichen Raum schnelles Internet, Bildungsqualität, moderne Verkehrsinfrastruktur und Familienpolitik nannte. Ein Grußwort sprachen zudem Thomas Brobeil, der Geschäftsführer des VVP, und der Europaabgeordnete Andreas Schwab.

Der Musikverein Frohsinn Rottweil-Altstadt hat den Neujahrsempfang musikalisch begleitet und mit dem Rottweiler Narrenmarsch beendet.