Die Haft ist beendet, das Gefängnistor hat sich geöffnet. Fast alle entlassenen Strafgefangene werden Rottweil den Rücken kehren, meinen die Experten. Foto: amir bajrich/ Shutterstock

Einige befürchten mehr Straftaten oder höhere Sozialausgaben im Zusammenhang mit geplanter JVA.

Rottweil - Mehr Straftaten in Rottweil, mehr Obdachlose, höhere Kosten für eine soziale Betreuung? Befürchtungen gibt es viele im Zusammenhang mit der geplanten Justizvollzugsanstalt auf dem Esch. Aber sind sie wirklich gerechtfertigt?

Die Gedankengänge kann Steffen Ganninger, Sprecher des baden-württembergischen Justizministeriums, zwar nachvollziehen, aber auf Anfrage nicht bestätigen. Die weitaus meisten Strafentlassenen verlassen nach den Erfahrungen des Ministeriums die Region nach der Strafverbüßung und kehren in ihr gewohntes soziales und familiäres Umfeld von vor dem Haftantritt zurück. Dort warten die Ehefrau, die Eltern, andere Verwandte oder Freunde.

Nur in wenigen Fällen bleibe der Gefangene nach der Haft am Sitz der Vollzugsanstalt, bestätigt Ganninger, beispielsweise, wenn er dort einen Arbeitsplatz gefunden habe.

Schon einige Zeit vor der Entlassung werde der Häftling schrittweise auf die Zeit nach der Strafverbüßung vorbereitet, betont Ganninger. Nach dem Gebot des "heimatnahen Vollzugs" versuche man bewusst sicherzustellen, dass der Gefangene während der Haft den Kontakt zum sozialen Umfeld draußen nicht verliert. Man achte auf eine gute verkehrliche Anbindung der Haftanstalten, um Besuche zu ermöglichen. Übrigens eines der Kriterien, das aus der Sicht des Ministeriums für Rottweil sprach.

Die geplante Rottweiler Justizvollzugsanstalt werde den geografischen Bereich der Landgerichtsbezirke Waldshut-Tiengen, Konstanz, Rottweil und Hechingen abdecken, erläutert Ganninger weiter. Das weiterhin existierende soziale Netz, in der Regel am Wohnort und nicht am Sitz der Vollzugsanstalt, helfe, dass der Täter nach Verbüßung der Strafe wieder Tritt fasse.

Bereits in Haft gebe es eine ganze Bandbreite von "vollzugsöffnenden Maßnahmen", um den Entlassenen für das Leben in Freiheit fitzumachen. Vom Hauptschulabschluss über eine Handwerkslehre bis zur Drogentherapie reichen die Bemühungen, den Start draußen zu erleichtern, beschreibt Ganninger die Zeit schon vor der Entlassung. Im modernen Strafvollzug mache man "nicht nur einfach das Tor auf". "Wir tun unser Bestes, und wir haben im Alltag gute Erfahrungen gemacht", betont der Ministeriumssprecher.

Ganninger räumt auch mit einer weiteren Befürchtung auf. Die Zahl der Straftaten steige durch ein Gefängnis nicht an. "Das geben die nackten Zahlen nicht her." Als konkrete Beispiele nennt er Heimsheim und Offenburg. Dort wurde die Strafanstalt 2009 eröffnet. Bis heute habe sich die Kriminalstatistik dadurch nicht verändert. Augenscheinlich gebe es keinen Zusammenhang zwischen Bewegungen innerhalb Statistik und dem Bau einer Strafanstalt.

Dass es gleichwohl Drogen innerhalb des Strafvollzugs gibt, bestätigen die neue Leiterin der bestehenden JVA Rottweil, Jennifer-Catrin Rietschler, und der geschäftsführende Sozialarbeiter Michael Eich. Allerdings belege die Erfahrung in keiner Weise, dass rund um ein Gefängnis der Drogenhandel aufblühe.

Indes, Ganninger räumt ein, dass die Rückfallquote hoch ist. Aber wenn es wieder zu Straftaten komme, würden diese eher am Wohnort und nicht am Standort der JVA verübt.

Diese Aussagen kann auch Bernd Hamann, Sozialdezernent des Landkreises Rottweil, im Wesentlichen untermauern. Er sieht auf den Kreis allerdings auch keine Lawine hoher Sozialausgaben zurollen. "Wir gehen nicht davon aus", so Hamann.

Vor der, vielleicht sogar frühzeitigen, Entlassung gehe es im Gefängnis auch um eine günstige Sozialprognose des Strafgefangenen. Hat er nach der Entlassung eine Wohnung, eine Arbeitsstelle, soziale Beziehungen? "In der Regel weiß der Gefangene vor seiner Entlassung, wo er danach hingeht" so der Kreis-Dezernent. Und wenn nicht, so stünden ihm, übrigens wie jedem anderen Bürger, alle öffentlichen sozialen Sicherungsmechanismen zur Verfügung. Auch die Unterbringung sei mindestens für eine Übergangszeit möglich, bestätigt Jennifer-Catrin Rietschler. Das nächste Wohnheim sei in Villingen, manche Entlassene kämen in Böblingen unter. In Rottweil gebe es nur eine Wohneinheit oder als Alternative die Spittelmühle.

Allerdings sei der Kreis in einem wichtigen Punkt weiter als andere, so Hamann nicht ohne Stolz. Schon vor einiger Zeit sei eine eigene Stelle für "Menschen in besonderen Problemlagen" eingerichtet worden. Dieser Mitarbeiter gehe aktiv auf die Betroffenen zu und versuche zu unterstützen. Auch andere Einrichtungen wie die Spittelmühle stünden für eine Betreuung zur Verfügung. Hamann sieht bisher keinen besonderen Handlungsbedarf wegen eines möglichen Großgefängnisses in Rottweil. "Die Wirklichkeit wird zeigen, ob es dabei bleibt."