Die Fronleichnamsprozession 1949 mit der "Madonna von der Augenwende": Der Träger vorne rechts ist Gärtnermeister Josef Linder, damals 19 Jahre alt. Die Häuser der Oberen Hauptstraße sind festlich geschmückt. Foto: Ansgar Hall Foto: Schwarzwälder-Bote

Glaube: Marienstatue kommt nach 213 Jahren wieder in Predigerkirche / Gelebte Ökumene macht es möglich

Von Berthold Hildebrand

Für die Katholiken und die Protestanten in Rottweil ist es ein Meilenstein: Die "Madonna von der Augenwende" kehrt während der Renovierung des Heilig-Kreuz-Münsters in die Predigerkirche zurück. Gefeiert wird dies mit einem Gottesdienst am 5. März.

Rottweil. Im Rottweiler Münster steht mit der "Madonna von der Augenwende", oder "Unserer Lieben Frau von Rottweil", wie sie auch genannt wird, eine besondere Marienfigur, die seit 373 Jahren mit dem Leben der Katholiken in dieser Stadt besonders eng verbunden ist.

Während der Umbauarbeiten im Münster soll sie nun für einige Zeit an ihren ersten Platz in die Predigerkirche zurückkehren dürfen. Im aktuellen Gemeindebrief der evangelischen Kirchengemeinde heißt es dazu: "Jetzt ist es endlich soweit. Ein Jahr später als geplant findet nun das historische Ereignis der Translokation der ›Madonna von der Augenwende‹ statt. Am 5. März ab 18 Uhr wird dazu ein großer ökumenischer Gottesdienst in der Predigerkirche stattfinden. Dekan Martin Stöffelmaier und Pfarrerin Esther Kuhn-Luz, Mitglieder des Ökumenischen Ausschusses, und der Prediger- und Münster-Chor unter Leitung von Johannes Vöhringer und Wolfgang Weis werden dieses ganz besondere ökumenische Ereignis gestalten."

Das Jahr 1643

Im Zuge der jesuitischen Gegenreformation erhielt die Marienverehrung ab 1580 neuen Auftrieb. In Rottweil kam es 1643 in der Dominikanerkirche zum Wunder von der Augenwende, das für die Rottweiler Bürgerschaft stets fest verknüpft war mit der Wende im Dreißigjährigen Krieg. In höchster Not flehten die Bürger der Stadt in unablässigem Rosenkranzgebet Maria um Hilfe an. Die spätgotische Madonna mit Kind stand auf dem Tabernakel des Hochaltars.

Der Zulauf der Bevölkerung in diese Kirche sei während der Belagerung der Stadt durch die Franzosen Tag und Nacht sehr groß gewesen. Da habe sich am 10./11. November 1643 das Muttergottesbildnis entfärbt, sei erbleicht und habe die Augen zum Himmel und dann zur Stadt gewendet. Menschen hohen und niederen Standes hätten dies gesehen, auch einige Un-Katholische. Viele seien eidlich dazu vernommen worden.

Auch am 25. November habe sich das Gesicht wieder verfärbt, sei rötlich geworden, und die Augen hätten sich bewegt. Maria soll auch einige Tränen vergossen haben. Zur selben Zeit wurden die Franzosen und die Sachsen-Weimarischen von der Kur-Bayerischen Reichsarmada bei Tuttlingen geschlagen.

Der glückliche Ausgang wurde dem spätgotischen Marienbild zugeschrieben. Seitdem wird "Unsere Liebe Frau von Rottweil" als "Madonna von der Augenwende" verehrt. Die Dominikanerkirche sollte alsbald umgestaltet werden. Aus der St. Peter- und Paulskirche wurde eine Marienkirche, deren gesamtes spätbarockes Bildprogramm von Joseph Wannenmacher auf diese wundertätige Madonnenfigur ausgerichtet ist und bis heute erhalten blieb.

Das Jahr 1802

Nach der Säkularisation fielen Kirche und Kloster des Predigerordens der Dominikaner an den weltlichen Landesherrn, den Herzog von Württemberg. Das Kloster wurde aufgelöst. Die Kirche wurde als "Predigerkirche" evangelische Pfarrkirche. Man entfernte deshalb die "Madonna von der Augenwende" aus der Dominikanerkirche und brachte sie in feierlicher Prozession am 29. Dezember 1802 ins Heilig-Kreuz-Münster. Seit diesem Tag fehle nun der Schlüssel zum Verständnis des Bildprogramms in der ehemaligen Dominikanerkirche, sagte Pfarrer Marcus Keinath 2013 vor Kirchengemeinderäten. Auf den Platz der Madonna kam eine weiße Christusfigur, nach 1977 ein Kruzifix.

Am 5. März darf die Madonna nun für einige Zeit wieder an ihren ursprünglichen Platz auf den Hochaltar der Predigerkirche zurückkehren.

Das Jahr 1943

In neuerer Zeit, wieder in größter Bedrängnis in schweren Kriegsjahren, wurde Maria erneut um ihre Hilfe gebeten. Den älteren katholischen Rottweilern ist dies noch besonders im Gedächtnis. Die Diözese Rottenburg und die Gemeinde Heilig-Kreuz wurden 1943 Maria geweiht. Obwohl Männer der SA den Gottesdienst überwachten und die Gottesdienstbesucher fotografierten, war das Münster brechend voll, wie Zeitzeugen berichten.

Schon 1940 hatte Bürgermeister Josef Abrell öffentliche Prozessionen verboten. Ab 1942 fanden in Rottweil aber wieder Fronleichnamsprozessionen außerhalb des Münsters statt. Der Prozessionsweg führte unter Auslassung der Hauptstraßen über die Schlachthaus-, die Nägelesgraben- und über die Kriegsdammstraße zum Münster zurück. Altäre waren am Münster, bei der heutigen Sozialstation am Kreisverkehr und gegenüber der Predigerkirche.

Dass diese Prozessionen wieder stattfinden konnten, war – so meinen einige Zeitzeugen – wohl auch dem entschlossenen Auftreten des damaligen Stadtpfarrers Carl Joseph Leiprecht, dem späteren Bischof von Rottenburg, zu verdanken. Ferner, so meint der frühere Stadtarchivar Winfried Hecht, traute sich die Partei immer weniger, der Bevölkerung in der angespannten Kriegslage und dem nicht abzusehenden Endsieg kirchlichen Trost und Zuspruch zu verweigern.

Das Jahr 1949

Als der Krieg und die anschließenden Notjahre vorbei waren, beteiligten sich die Gläubigen wieder äußerst zahlreich an den nunmehr wieder prunkvollen Prozessionen. Von der Fronleichnamsprozession im Jahr 1949 gibt es ein Foto, das die spätgotische "Madonna von der Augenwende" im Prozessionszug zeigt. Sie wird getragen von Mitgliedern der Kolpingsjugend, eines davon ist Gärtnermeister Josef Linder, damals 19 Jahre alt. Von den Mädchen wurde jene Madonna mitgetragen, die heute neben dem rechten Seitenaltar in der Kapellenkirche steht.

Übrigens seien die Prozessionen nach dem Krieg auf Wunsch der Franzosen auch stadtauswärts bis zur Körnerstraße gegangen, wo diese ihr Quartier hatten, sagt Ansgar Hall, ein anderer Zeitzeuge.

Heute werden diese beiden Marienfiguren vorwiegend als Kunstgegenstände eingestuft. Sie dürfen nicht vom Altar genommen, geschweige denn bei Prozessionen einfach so mitgetragen werden. Darüber muss das Denkmalamt entscheiden. So ist es eine besondere Freude, dass diese Stelle es erlaubt hat, dass "Unsere Liebe Frau von Rottweil", die "Madonna von der Augenwende", als Zeichen einer hervorragend gelebten Ökumene für einige Zeit auf ihren angestammten Platz auf den Hochaltar in die Predigerkirche zurückkehren darf. Dies wird ein historischer Tag und ein besonderes ökumenisches Ereignis für Rottweil.