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Pflegedienstleiterin schüttet beim DGB ihr Herz aus

Liegt die Pflege am Boden? Das jedenfalls fragten sich die Mitglieder und Gäste des DGB Kreisverbandes Rottweil bei ihrem offenen Monatstreff.

Kreis Rottweil. Die Pflegedienstleiterin Pamela Gems von der katholischen Sozialstation in Tuttlingen berichtete über die Situation in der ambulanten Pflege. "Sie müssen sich das vorstellen wie beim Bäcker. Sie wählen sich ein Brot, zwei Brötchen und ein Stück Kuchen aus, zahlen dann aber nur für ein Produkt." So funktioniere die Abrechnung für erbrachte Leistungen in der Behandlungspflege, was konkret bedeute, dass egal, wie viele ärztlich verordnete Behandlungen beim Patient durchgeführt werden sollen, immer nur eine bezahlt werde. Dass solch ein Abrechnungssystem zu einem ökonomischen Vabanquespiel werde, sei nur allzu leicht zu verstehen.

"Oft sind unsere Patienten multimorbide, das heißt, sie haben gleich mehrere medizinische Probleme", betont Pamela Gems. Dann müsse sie – als Pflegedienstleiterin – auf die Zeit drängen, die die Mitarbeiterinnen für die notwendigen Behandlungen aufbringen könnten. Auch in der Pflege sei Zeit ein immenser Geldfaktor. Wo nur die statistisch erfasste Zeit für eine Behandlung finanziert werde, unabhängig von der individuellen Bedürftigkeit, könne auch eine Sozialstation nur dann finanziell überleben, wenn sie sich stringent an die Bezahlvorgaben halte. Dass die Qualität der Pflege, auch mangels Hinwendung zum Patienten und fehlender psychosozialer Unterstützung auf der Strecke bleibe, sei durch dieses Abrechnungssystem festgeschrieben.

Für die Gewerkschaftsmitglieder war auch die Beschreibung der Arbeitssituation der Beschäftigten von hohem Interesse. Dazu führte Gems aus, dass sie vor allem wegen der hohen Flexibilitätsansprüchen getrieben sei. Die Patienten bräuchten sieben Tage in der Woche Unterstützung, und dies fast rund um die Uhr. Ausfälle müssten vom eh schon häufig überlasteten Pesonalbestand übernommen werden, da die knappe Finanzierung keine Personalstellen für Springer oder Krankheitsvertretungen zulasse.

"Der größte Stress ist aber sicherlich der Spagat zwischen dem eigenen Anspruch, den zu Pflegenden mit einer guten Dienstleistung gerecht zu werden und den vorhandenen Rahmenbedingungen in der Pflege." So manche Fachkraft werfe deshalb trotz großer Identifikation mit dem Berufsbild das Handtuch, der Nachwuchsmangel schlage ohnehin deutlich zu Buche. Zwischen dem ersten und dem letzten Ausbildungsjahr komme es zu einer enormen Abbruchquote, die ganz eng mit den schwierigen Arbeitsbedingungen in Kombination mit einer Geringschätzung für das Berufsfeld zusammen hängen würden. Viele Beschäftige aus der Kranken- und Altenpflege seien frustriert und auch entmutigt, weil sich so wenig verändert habe in den vergangenen Jahren, obwohl der Pflegenotstand in aller Munde sei.

Der DGB Kreisverband Rottweil will sich angesichts dieser Offenbarungen verstärkt mit den Arbeitsbedingungen in der Pflege auseinandersetzen und in einen Diskurs mit den politisch Verantwortlichen treten. "Eine würdige Pflege braucht würdige Arbeitsbedingungen, und diese müssen über sozialstaatliche Regelungen ermöglicht werden", betonte Bernd Scheibke, Vorsitzender des DGB-Kreisverbandes.