Mitglieder des internationalen Ensembles (links) und Helmut Winschermann (rechts) mit dem Kammerorchester "Deutsche Bachsolisten" Fotos: Ebert/alf Foto: Schwarzwälder-Bote

Rottweiler Festival Sommersprossen spiegelt enorme Bandbreite wider / Abschluss der Reihe am Donnerstag

Rottweil (alf/hf). Voll gefüllt war die Predigerkirche beim zweitletzten Konzert des Rottweiler Musikfestivals Sommersprossen. "Böhmische Klänge" war diese Aufführung mit Werken von Dvorák und Mozart überschrieben.

Das aus exzellenten Musikern bestehende internationale Ensemble begeisterte die Besucher und erhielt am Ende tosenden Beifall. Ingo Goritzki, Mi-Kyung Lee, Harim Chun, Hariolf Schichtig, Hyoli Togawa, Johannes Goritzki und David Pia waren unter den Solisten und Professoren. Bei den hochsommerlichen Temperaturen erwies sich die evangelische Kirche als idealer Aufführungsort.

Bei "Böhmischen Klängen" denkt mancher an Polkas aus dem Bereich der volkstümlichen Blasmusik. Im Klassik-Genre ist Böhmen ganz eng mit dem Namen Dvorák verbunden. Er schrieb das Streichquintett ES Dur op. 97 in den USA als Gast in dem von vielen Tschechen bewohnten Stadt Spillville. Dass sich Dvorák unter seinen Landsleuten dort sehr wohl fühlte, spiegelt sich in dieser Komposition wider. Und diese Lebensfreude und gute Laune interpretierten die fünf Musiker treffend. Der damalige Gemütszustand des Komponisten inspirierte förmlich die Akteure.

"Böhmische Klänge"von Dvorák und Mozart

Als zweites Werk Dvoráks kamen Teile des Streichsextetts A-Dur op. 48 zur Aufführung. Große Klangfülle, tänzerische Elemente, melancholische Passagen, abwechselnd in Dur und Moll, charakterisieren dieses Stück, das doch immer wieder an seine "Slawischen Tänze" erinnert.

Auch Mozarts Quartett F Dur KV 370 für Oboe, Violine, Viola und Violincello passte ins Programm. Für den ersten Oboisten der damaligen Mannheimer Hofkapelle hatte Mozart dieses Werk geschrieben. An dessen Stelle trat Goritzki. Er übernahm in der Predigerkirche virtuos diesen Part und entlockte diesem Holzblasinstrument die Klangvielfalt in allen Facetten.

Denkwürdig war der fünfte Abend der Sommersprossen-Reihe – ebenfalls in der Predigerkirche. Helmut Winschermann, Doyen der deutschen Oboistenszene, führte mit dem Kammerorchester "Deutsche Bachsolisten" zwei außergewöhnliche Werke auf, die durch den fast mystischen Begriff "Musikalische Opfer" verbunden sind.

Im ersten Konzertteil das "Musikalische Opfer" von Johann-Sebastian Bach, in dem Bach ein für die damalige Zeit ungewöhnlich sperriges Thema des preußischen Königs Friedrich dem Großen bearbeitet und dem König gewidmet hat. Winschermanns Deutung des Werkes zeugt von langjähriger geistiger Durchdringung des komplizierten Stoffes und zeitigt eine in sich logische, dramaturgisch spannungsvolle Abfolge der einzelnen Teile.

Zu Beginn der zweiten Konzerthälfte erläuterte der 96-jährige Dirigen seine Sicht auf das Variationenwerk op. 9 für Klavier von Johannes Brahms: Als dessen Mentor und Freund Robert Schumann in geistiger Umnachtung durch einen Sprung in den Rhein sich das Leben nehmen wollte, wählte Brahms unter dessen Albumblättern für Klavier ein besonders schlichtes, ja zärtliches aus, entwickelte daraus ein feines Gewebe von Variationen in verschiedensten Stimmungen, endend in dunklen Farben tiefer Depression.

Brahms vertraut seinetiefsten Gefühle an

Brahms schenkte diese knapp gehaltene, heute kaum mehr gespielte Komposition seiner vertrauten Freundin Clara Schumann zur Geburt ihres letztes Sohnes Felix, und Winschermann sieht in dieser Übereignung nicht nur eine Widmung, sondern eben ein musikalisches Opfer, in dem Brahms der Freundin seine tiefsten Gefühle anvertraute.

Besonders eindrucksvoll war der Moment, als Midori Winschermann das Album-Blatt von Robert Schumann vor dem Beginn der Brahmsschen Variationen im Original auf dem Flügel zu Gehör brachte. Andrea Lieberknecht (Flöte), Ingo Goritzki (Oboe), Yeon Hee Kwak (Englischhorn), Dag Jensen (Fagott), Andreas Krecher (Violine), Sebastian Gäßlein (Violine), Hiyoli Togawa (Viola), David Pia (Violoncello), Albert Locher (Kontrabass), Carsten Lorenz (Cembalo), und der bei Brahms das Englischhorn alternierende Klarinettist Ulf Rodenhäuser, schienen die Gedankengänge Winschermanns lesen zu können und musizierten in höchster Konzentration und Klangkultur.

Auch das Publikum, offensichtlich im Bewusstsein, das musikalische Vermächtnis eines großen Künstlers miterlebt zu haben, dankte mit lang anhaltendem Beifall.