Der Verein Gescher will im Gebäude Friedrichsplatz 16 eine Kindertagesstätte eröffnen. An der Rückseite des denkmalgeschützen Gebäudes (links) ist deshalb eine Außentreppe geplant. Foto: Nädele

Verein Gescher will Tagesstätten-Betrieb am 1. November aufnehmen. Baurechtliche Fragen offen.

Rottweil - In wenigen Wochen könnte in Rottweil ein neuer Kindergarten den Betrieb aufnehmen. Zum 1. November will die Kindertagesstätte Gescher im Gebäude Friedrichsplatz 16 mit einer gemischten Gruppe für Ein- bis Sechsjährige starten.

"Der Plan war eigentlich, schon im März zu beginnen", erklärt Sylvia Schliebe vom Verein Gescher, "doch es ist ein 800 Jahre altes Haus." Da habe es baulich und in Sachen Denkmalschutz einiges zu klären gegeben. 1327 war das Gebäude als Schaffnei des Benediktinerklosters St. Blasien erstmals erwähnt worden. 1855 kaufte es der jüdische Arzt und Zeitungsverleger Moriz Rothschild.

Mittlerweile habe der heutige Besitzer mit dem Denkmalamt die offenen Fragen geklärt, berichtet Schliebe, dass der neue Bauantrag derzeit bearbeitet werde. Unter anderem geht es darum, mit einer Außentreppe die Brandschutzauflagen zu erfüllen.

Bürgermeister Werner Guhl bestätigt: Für die Genehmigung müsse das Gebäude baurechtlich noch fit gemacht werden. Da seien noch viele Details abzustimmen. Parallel dazu laufe der Antrag auf Betriebsgenehmigung, wie Schliebe erklärt. In die städtische Kindergartenbedarfsplanung ist die Einrichtung mit 28 Plätzen bereits seit dem vergangenen Jahr aufgenommen.

Zum Start ist nun eine Gruppe mit bis zu 15 Plätzen vorgesehen. Bis auf den zusätzlichen Fluchtweg über die Außentreppe sei das erste Obergeschoss soweit fertig, so dass die ersten Kinder kommen könnten. "Wir haben die Eltern, die ihre Kinder vorangemeldet haben, bisher immer vertröstet. Jetzt sind wir gerade dabei, sie zu informieren, dass es absehbar losgehen könnte und den Bedarf abzufragen", sagt Sylvia Schliebe. Sie wird als Sozialarbeiterin und Erzieherin die Leitung der Kindertagesstätte Gescher zumindest in der Startphase übernehmen. Eine Kinderpfleger-Stelle sei bereits besetzt, die Stelle einer weiteren Erzieherin werde noch ausgeschrieben.

"Es wird eine normale Kindertagesstätte", verweist Schiebe auf den Bildungsplan, "wir legen aber großen Wert auf Sprachen". Russisch und Deutsch könnten bereits abgedeckt werden, für Englisch werde noch eine Fachkraft gesucht. Die Besonderheit: Gearbeitet werde auf Basis der drei abrahamitischen Religionen – Judentum, Christentum und Islam. "Es wird bei uns im Jahreszyklus also ein paar Feste mehr geben", schmunzelt die künftige Leiterin der Einrichtung. Sie betont dabei: Auch Kinder ohne Bekenntnis können kommen, aber Religion müsse akzeptiert werden. Mindestvoraussetzung sei die Offenheit für Fremdes. Homophob oder antisemitisch, sagt sie, das gehe nicht.

Entstanden ist die Idee für ein solches Angebot aus einem Besuch bei der jüdischen Gemeinde in Rottweil vor zwei Jahren. "In Gesprächen hat sich gezeigt, dass ein Bedarf besteht", blickt Schliebe zurück.

Nach dem Start mit einer altersgemischten Gruppe soll im Laufe des kommenden Jahres die Kindertagesstätte dann um eine zweite Gruppe erweitert werden, dann mit einer Krippengruppe für Kinder von null bis drei Jahren und einer Kindergartengruppe. Die Betreuungszeiten sollen sich am Bedarf der Eltern orientieren, zwischen mindestens 20 und maximal 55 Wochenstunden. Angeboten werde jedenfalls der Ganztagsbetrieb. Für das Essen – übrigens koscher und halal – "wird zunächst jemand von der jüdischen Gemeinde sorgen", kündigt Schliebe an. Das Ziel sei aber, selber zu kochen.

"Bei den Kosten werden wir uns in etwa am Niveau in Rottweil orientieren", schätzt Schliebe, dass Eltern maximal mit 20 Prozent höheren Kosten rechnen müssen, als etwa in einer städtischen Einrichtung. Der Wirtschaftsplan entstehe im Moment in enger Absprache mit der Stadtverwaltung Rottweil.

Weitere Informationen: www.gescher-ev.de

Gescher e.V. ist laut seiner Internetseite ein gemeinnütziger Verein mit Sitz in Emmendingen, der sich zum Ziel gesetzt hat, in einer Lebensrealität nach dem 11. September 2001 und in Zeiten kommender Kämpfe um ökologische und soziale Ressourcen die Stichworte Solidarität, Integrität und Integration in eine Menschheitsgesellschaft nicht vergessen zu machen. Der Name Gescher ist die Transkription des hebräischen Wortes für Brücke.

Die Methoden und Ziele des Vereins seien getragen von drei Säulen:

u durch den Aufbau von Kindertagesstätten, in denen eine Pädagogik umgesetzt werden soll, die über die besondere Befassung mit dem Religiösen und Sprachlichen, als genuin Menschlichen, dem interkulturellen Zusammenleben ohne den Zwang zur Assimilation neue Möglichkeiten von Anfang an schaffen kann

u durch die Mitgestaltung von Kultur als einer besonderen Form zwischenmenschlicher Kommunikation mit einem eigenen Blick auf Jüdisches als Quelle der Spiritualität und Kreativität

u durch eine genaues Hinsehen auf destruktive gesellschaftliche Entwicklungen von Ausgrenzung und Zerstörung durch die angestrebte sozialwissenschaftliche Arbeit insbesondere durch die Methode der Diskursanalyse für den Bereich Sprache und Medien und die Verfolgung kultureller Codes als Indikatoren für dominante Wertesystem in Gesellschaften

So "soll Beihilfe geleistet werden für eine Kultur der Stärke von Individualität mit der Hoffnung, Solidarität und Mitleid stärker in der Gesellschaft zu verankern. Nebenbei benötigen die Kinder von heute offensichtlich andere und weitergehendere Schlüsselqualifikationen sowohl im emotionalen, als auch kognitiven Bereich, um die Probleme ihrer Generation tatsächlich angehen zu können", heißt es auf der Homepage weiter.