Die angeklagte, allein erziehende Cindy P. soll ihr zweijähriges Kind über Pfingsten zusammen mit ihrem Bruder zu lange in der Wohnung alleingelassen haben. Foto: dpa

Die kleine Maja starb, obwohl Kühlschrank gut bestückt war. Ihr Bruder soll einen Arzt gefordert haben.

Rottweil/Aldingen - Solche Fälle gehen auch erfahrenen Beamten trotz aller Routine an die Nieren: »Es sind die gleichen Maßnahmen wie bei Erwachsenen.« Wie der Kripo-Beamte das sagt, klingt es fast entschuldigend. Der Körper werde auf Leichenstarre und Leichenflecken überprüft. Am Pfingstsonntag 2012, so erinnert er sich, habe er, als er das Zimmer in der Wohnung in Aldingen (Landkreis Tuttlingen) betrat, den Körper in dem Bettchen erst für eine Puppe gehalten. Es war der Leichnam der kleinen Maja, die ihren zweiten Geburtstag nicht mehr erleben sollte. Seit gestern muss sich ihre Mutter vor der Schwurgerichtskammer am Rottweiler Landgericht verantworten. Die Staatsanwaltschaft wirft ihr Mord und Misshandlung Schutzbefohlener vor.

Die 25-Jährige äußert sich lediglich zu ihrer Person. Zur Sache sagt sie nichts. Zumindest vorläufig. Überfordert gewesen sei sie, sagt sie. Für diese Lebenssituation hatte sie keine Strategie mitbekommen. Sie hat ihre Kinder, die kleine Maja und deren ältere Brüder alleine gelassen. Nicht zum ersten Mal. Doch dieses Mal stirbt Maja, ausgezehrt und ausgetrocknet. An Pfingsten war das Zuwenig zu viel für den kleinen Organismus. Der Kreislauf habe nicht mehr mitgemacht, hieß es zur Todesursache.

Die Brüder erleben das Sterben des Schwesterchens mit. Der ältere, seinerzeit acht Jahre alt, kümmerte sich um die Kleineren, wenn die Mutter wieder mal unterwegs war. Er soll der Mutter auch, so berichtet der ermittelnde Kriminalbeamte, klargemacht haben, »dass es der kleinen Maja nicht gut geht«. Man müsse einen Arzt holen, soll er gefordert haben. Die Mutter befolgte den dringenden Rat nicht. Sie will wohl bemerkt haben, dass das Mädchen nicht viel aß und trank, doch das sei nicht ungewöhnlich gewesen. Dass dieser Umstand ein lebensbedrohliches Maß erreicht hatte, nahm sie nicht wahr.

Also verließ sie die Wohnung wieder einmal, ließ die Kinder allein zu Hause hinter verschlossenen Türen, ohne Möglichkeit, Hilfe zu holen, wie die Staatsanwaltschaft ihr vorwirft. Am nächsten Tag ist Maja tot.

Immer wieder bricht die 25-Jährige in Tränen aus

Immer wieder bricht die 25-Jährige gestern in Tränen aus. Dabei bedarf es dem Anschein nach nicht einmal konkreter Auslöser, wie beispielsweise Äußerungen des Kriminalbeamten, der den Zustand des Leichnams festgestellt hatte: Er erinnere sich an die stahlblauen Augen des Mädchens und die blonden Locken, hatte er erzählt, bevor er über die Tatortbefunde berichtete.

Die Folgerungen seines Kollegen nach zahlreichen Befragungen auch in Kindergarten und Schule in Aldingen, der Auswertung einer vierstelligen Anzahl von Datensätzen zu Handyverbindungen und der anschließenden Aufarbeitung des Falls: »Die Betreuungs- und Versorgungssituation war noch einigermaßen gewährleistet bis September 2011.« Der Vater der jüngeren Kinder hatte sich bis dahin noch um die Kleinen gekümmert, doch dann zog er aus. Die jetzige Angeklagte kam wohl schon zu jener Zeit nicht mehr mit der Situation zurecht.

Nächste Stufe: Für die Kleineren sorgten jetzt deren Großeltern väterlicherseits, also die Eltern des Mannes, der sich aus Beziehung und Wohnung zurückgezogen hatte, weil auch er mit der Situation nicht mehr klarkam. Für ihn stellte sich das Ganze allerdings mit anderer Blickrichtung dar: Laut Staatsanwaltschaft soll sein Problem gewesen sein, dass sich seine Partnerin um nichts mehr kümmerte. Auch nicht um den älteren Sohn aus einer früheren Beziehung. Dieser wurde von nun an von der Pflegemutter der jetzigen Angeklagten betreut. Wobei das Verhältnis zwischen den beiden Frauen nicht ohne Spannungen gewesen sein soll. »Wohlbehütet« sei sie in der Pflegefamilie aufgewachsen, hat die Angeklagte ins Vernehmungsprotokoll diktiert. Schilderungen von »glücklicher Kindheit« widersprechen freilich Aussagen, die von allzu eng gesteckten Grenzen erzählen. Dennoch: Auch jetzt haben die Kinder noch ein gewisses Maß an Betreuung.

Es sollte erneut zum Knall kommen. Dritte Stufe: An Fastnacht 2012 überwirft sich die Frau mit ihrer Pflegemutter, die dann auch nicht mehr bereit ist, sich um den älteren Jungen zu kümmern. An Ostern der nächste Schlag. Vierte Stufe: Eine schwere Krankheit des Großvaters macht die weitere Betreuung der Kleineren durch die Großeltern unmöglich. Jetzt sind die Kinder im Wesentlichen auf sich selbst gestellt. Es gibt Toastbrot und Wasser, soll der bis heute in einer psychiatrischen Kinderklinik behandelte Junge ausgesagt haben. Vor Gericht wird man ihn nicht vernehmen können. Nicht einmal nicht-öffentlich: Schon der Ortswechsel von der Klinik nach Rottweil könnte seinen labilen Zustand verschlechtern.

Maja starb makabererweise, obwohl es an Lebensmitteln in der verwahrlosten Wohnung nicht mangelte: Ganze Einkaufstaschen voll fanden die Polizeibeamten, und auch die beiden Kühlschränke waren eigentlich gut bestückt. Und sie passen zu den Eskalationsstufen: Ein Kühlschrank im Esszimmer habe fast ausschließlich Lebensmittel enthalten, deren Mindesthaltbarkeit 2011 abgelaufen war – Stufe eins. Im Kühlschrank in der Küche fanden sich Lebensmittel mit Ablauf etwa im ersten Quartal 2012 – Stufe drei. Wurstwaren und Käse in geöffneten Verpackungen seien verschimmelt gewesen. In wieweit die verpackte Nahrung noch genießbar gewesen wäre, wurde nicht untersucht. Zwar fanden die Beamten viel Leergut, aber auch einige Flaschen Limonade, die nur angebrochen oder sogar noch original verschlossen waren.

Im Kinderbettchen fanden sie neben dem leblosen Körper von Maja, der nur mit einer durchnässten und kotverschmierten Windel bekleidet war, ein Trinkfläschchen möglicherweise mit einem Rest Flüssigkeit, eine leere Sprudelflasche aus Glas, drei leere PET-Flaschen, einige Scheiben Toastbrot und ein Wiener Würstchen. In Augenhöhe und auf dem Hals der Kleinen lagen noch ein paar Brotkrümel. Morgen wird der Prozess fortgesetzt.