Landrat Wolf-Rüdiger Michel, Sozialdezernent Bernd Hamann und der Leiter des Allgemeinen Sozialen Dienstes, Wolfgang Appel (von links), beim Pressegespräch. Foto: Schnekenburger

Nach gravierender Kritik: Jugendamt erklärt seine Arbeit. Totschlag-Fall in Vöhringen bleibt tabu.

Kreis Rottweil - Das Jugendamt will Vorwürfe entkräften, kann es aber nicht. Die Schweigepflicht verhindert eine Offenlage der Unterlagen auch im Fall des am Rottweiler Landgericht wegen Totschlags verurteilten 15-Jährigen aus Vöhringen.

Eine Psychotherapeutin, die die Mutter des Jugendlichen kennt und die Entwicklung über Jahre hinweg verfolgen konnte, hatte die Vorwürfe erhoben, das Amt habe über längere Zeit im Fall des Jugendlichen und auf Hilfeersuchen der Mutter nicht angemessen reagiert. Gestern bezog das Amt Stellung – soweit das möglich ist, denn von vier nötigen liege nur eine Entbindung von der Schweigepflicht vor. Das heißt, dass zum konkreten Fall nichts gesagt werden kann. Zumindest nicht direkt. Landrat Wolf-Rüdiger Michel weist auf zwei Umstände hin, die indirekt zeigten, dass das Jugendamt nicht pflichtwidrig gehandelt habe: In einer Pressemitteilung hatte das Landgericht darauf hingewiesen, dass weder in der mündlichen Urteilsbegründung noch im schriftlichen Urteil eine Mitschuld des Jugendamts erwähnt oder festgestellt werde. Auch, dass die Staatsanwaltschaft nicht ermittelt, möchte Michel als deutlichen Hinweis sehen.

Was das Amt machen kann, ist über die Arbeit berichten und in diesem Zusammenhang auch Vorwürfe allgemeinerer Art aufgreifen, die nach Bekanntwerden der Anschuldigung, das Jugendamt könnte durch zögerliches Verhalten letzten Endes die Grundlage für das Tötungsdelikt geschaffen haben, laut wurden. Laxes Verhalten gehört dazu und der Hinweis, dass man deutlich weniger Heimunterbringungen habe als in Nachbarkreisen, was Geld spare, worauf man stolz sei.

Bernd Hamann, Sozialdezernent des Landkreises, möchte das so nicht gelten lassen. Auch unter Verweis auf die Sitzungen des Jugendhilfeausschusses, in dem nicht nur Kreisräte, sondern auch Vertreter der Träger der Jugendhilfe sitzen, und in dem, salopp formuliert, auch die Ausrichtung der Arbeit des Amts definiert wird, erklärt er das Rottweiler Modell, das vor allem auf Vollzeit-Unterbringung in Pflegefamilien setzt. Erst wenn ein Jugendlicher nicht familienfähig sei, werde nach einem für seinen Hilfebedarf geeigneten Heimerziehungsplatz gesucht. Die aktuellen Zahlen, die ein Verhältnis von rund 2:1 auswerfen, entsprächen dem langjährigen Durchschnitt. Das heißt: Von drei Jugendlichen und Heranwachsenden, die untergebracht werden müssen, kommt einer ins Heim. Dazu bedarf es zudem eines richterlichen Beschlusses.

Zur Intervention bei akuten Fällen habe man zudem einen bundesweit beachteten Notdienst entwickelt, der die Fachkräfte früher in Krisensituationen einbindet als bei anderen Modellen. So könne die Polizei rund um die Uhr einen Mitarbeiter des Jugendamtes einschalten, dieser wiederum könne jederzeit einen Kollegen in die Fallbearbeitung. In Fällen, in denen es um das Kindeswohl gehe, gelte das Vier-Augen-Prinzip. Im vergangenen Jahr war laut Sozialbericht im Schnitt fast jede Woche so eine Intervention nötig, wobei 18 Fälle auf das Wochenende fielen, 13 Mal waren die Mitarbeiter in Nachtstunden gefordert. Der zeitnahe Einsatz kann zur Klärung der Situation führen. Weitere Möglichkeiten sind die Unterbringung in einer Notpflegefamilie oder als letztes Mittel in einer Einrichtung der Jugendhilfe, wohin die Betroffenen laut Sozialbericht ohne Bereitschaftsdienst von der Polizei wohl gebracht worden würden.

u Zum Schutz des Kindes In zwölf Familien im Landkreis Rottweil waren im vergangenen Jahr laut Sozialbericht Mitarbeiter der Jugendhilfe im Auftrag des Familiengerichts zum Schutz des Kindes oder der Kinder tätig. 2011 waren es neun Familien. In den Jahren zuvor bewegten sich die Zahlen zwischen einer und vier Familien. 

u Heimunterbringung Ende des vergangenen Jahres befanden sich 132 Kinder und Jugendliche in Vollzeitpflege. 45 waren in einem Heim untergebracht. Im Jahr zuvor waren es noch 52 junge Menschen gewesen. Von 2008 bis 2010 entwickelten sich die Zahlen von 35 über 49 auf 38 Kinder und Jugendliche. Ende vergangener Woche waren 118 Kinder und Jugendliche und acht Heranwachsende aus dem Landkreis Rottweil in Vollzeitpflege, 44 Kinder und Jugendliche und zwölf Heranwachsende in einem Heim untergebracht. Laut Sozialbericht geht das Dezernat Soziales, Jugend und Versorgung davon aus, dass auch im Kreis Rottweil immer öfter das Defizit der Elternhäuser durch die Unterbringung in einem Heim kompensiert werden muss.