Zepfenhan und Neukirch stehen wegen des Bürgerentscheids in der Kritik / Einer stellt sich vor die Bürger

Von Armin Schulzund Patrick Nädele

Rottweil. Nach dem Bürgerentscheid steht nicht nur das Esch als Gefängnisstandort im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses, sondern auch die beiden Teilorte Zepfenhan und Neukirch. Dort wurden – für einige Beobachter – überraschend hohe Zustimmungswerte für den Gefängnisbau im Esch, mitten in der Natur, erzielt. Und das, nachdem Bewohner und Bürgerinitiative jahrelang für den Erhalt der Natur an einem anderen möglichen JVA-Standort gerungen haben: Bitzwäldle, ein Naherholungsgebiet, das sich direkt bei Zepfenhan und Neukirch befindet. Aufgrund des Wahlverhaltens sehen sich die Bewohner der beiden Teilorte massiver Kritik ausgesetzt. Zu Unrecht, wie Jochen Baumann, BI-Sprecher und Stadtrat aus Zepfenhan, meint. Er besuchte uns gestern in der Redaktion. Seine Sicht der Dinge lesen Sie im nachfolgenden Text. Seine Absicht: Es möge wieder Ruhe und Frieden herrschen.

"Keiner konnte sich vorstellen, einmal auf die Straße zu gehen und Lärm zu machen. Jedes Mal war es eine Überwindung, die Warnweste überzuziehen. Ja, manche Menschen reagierten anfangs emotional, hatten möglicherweise Ängste. Von einem Tag auf den anderen wurde man mit etwas konfrontiert, das man nicht kannte. Ist dieses Verhalten nicht menschlich?" Baumann erinnert damit an den Zeitpunkt, als die Stadtverwaltung den Standort Bitz–wäldle aus dem Hut zauberte und sich in den beiden Teilorten Zepfenhan und Neukirch Widerstand bildete und von engagierten Bürgern organisiert wurde. Die BI "Zum Erhalt des Bitzwäldles" spricht seither vom "Bitzwald".

"Man erkannte die Ohnmacht, nichts ausrichten zu können"

Baumann rekonstruiert die Ereignisse der nachfolgenden Zeit: "Man erkannte die Ohnmacht, nichts ausrichten zu können. Die Meinung im Gemeinderat stand schon fest. In der Stadt fand man auch sonst keine Unterstützung. Die Ortschaftsräte fanden kein Gehör. Vom damaligen Ministerpräsidenten wurde man ignoriert und vom Justizminister ausgelacht."

Danach sei die Initiative ruhiger geworden. Sie habe dazugelernt. "Es war klar, dass man in Rottweil nichts erreichen konnte. Ein ›Geo‹-Tag der Artenvielfalt förderte eine Artenvielfalt zu Tage, die man selbst nicht vermutet hätte. Durch Spenden und Aktivitäten, wie die Bitzwaldtour, war es möglich, Gelder zu sammeln, die ein ökologisches Gutachten finanzierten, die die hohe naturschutzrechtliche Bedeutung des Bitzwaldes und 66 geschützte Arten nachwiesen. Man fand Gehör bei den Oppositionsparteien und beiden Spitzenkandidaten – Winfried Kretschmann und auch Nils Schmid sagten für den Fall eines Wahlsieges einen überregionalen Standortsuchlauf zu."

Dann lenkt Baumann den Blick auf die neuerliche Entscheidung der Landesregierung, das Gefängnis am Esch zu realisieren und den von der BI "Neckarburg ohne Gefängnis" initiierten Bürgerentscheid: "Am Ende blieben leider nur Standorte übrig, die ohne Eingriff in Natur und Landschaft nicht bebaut werden konnten. Die Stadt Rottweil wurde im Rahmen des Bürgerentscheids vor die Wahl gestellt – Standort Esch – ja oder nein. Die Anliegergemeinden Villingendorf und Dietingen hatten leider kein Mitspracherecht, da dies in unserem Kommunalrecht nicht vorgesehen ist. Es kam zum Bürgerentscheid."

Hier wird Baumann beinahe schon zynisch: "Und da waren sie wieder – die üblichen Verdächtigen aus Neukirch und Zepfenhan stimmen mit großen Mehrheiten für den Standort Esch. Welch ein Aufhänger für die Zeitung. Am nächsten Tag weiß ganz Baden-Württemberg Bescheid. Die Schein-Naturschützer aus den Bergdörfern haben dem Standort Esch den JVA-Bau zu geschoben. Es konnte nur die logische Folge sein, dass sich viele Leserbriefschreiber dieser Meinung anschließen." Der Grünen- Stadtrat und BI-Sprecher entgegnet: "Neukirch und Zepfenhan haben den Bürgerentscheid nicht entschieden! Hätten alle Wahlberechtigten 955 (nicht Wähler, sondern Wahlberechtigte!) gegen den Standort Esch gestimmt, hätte sich am Ergebnis nichts geändert. Auch ich habe mich gegen den Standort Esch ausgesprochen, kann aber auch nachvollziehen, dass das Ja-/Nein-Stimmen-Verhältnis vor allem in Dietingen und Villingendorf auf Unverständnis gestoßen ist. Leider ist in den Tagen und Wochen vor dem Entscheid in Leserbriefen, Zeitungsartikeln, Broschüren, Aussagen von Gemeinderäten immer wieder direkt auf den Bitzwald oder vorhandene Alternativen verwiesen worden."

Baumann erklärt das Abstimmungsverhältnis so: "›Kein Plan B‹ ließ Raum für Spekulationen. Das Land hat nicht klar Stellung bezogen. Viele Rottweiler Stimmen wollten grundsätzlich die JVA – aber nicht im Esch, sondern viel lieber im Bitzwäldle. Es gab auch Stimmen, die sagten: ›Sagt nein zum Esch, dann könnt ihr’s nachher raussuchen, das Land hat sich längst auf Rottweil festgelegt.‹ Das hat sicherlich viele verunsichert. Viele sahen sich nicht vor die Wahl Esch ja oder nein, sondern vor die Wahl ›Natur Esch retten‹ oder ›Natur Bitzwald retten‹ gestellt. Die Ortschaften Zepfenhan und Neukirch stellen 4,8 Prozent aller Wahlberechtigten. Beim Bürgerentscheid waren es 390 von 9577 Wählern, das sind vier Prozent. 96 Prozent aller anderen Stimmen kamen nicht von dort!", macht Baumann deutlich. Vor diesem Hintergrund sei es nicht fair, von dem Gesamtergebnis abzulenken, indem man nur auf diese Ortschaften zeigt. "Dies ist meine persönliche Sicht auf das Geschehen – natürlich gibt es noch viele andere. Mein Wunsch ist es, dass wieder normale Verhältnisse einkehren", so Baumann.