Die Freude bei den Befürwortern um Oberbürgermeister Ralf Broß (Mitte) ist groß: Am Sonntag stimmten die Rottweiler für den Bau der JVA im Gewann Esch. Foto: Graner

Gegner des Standorts erleiden Niederlage in Bürgerentscheid. Land verspricht Bau eines Vorzeige-Projekts.

Rottweil - Die jahrelange Suche nach einem Standort für ein neues Großgefängnis im Süden des Landes ist zu Ende. Rottweil hat am Sonntag in einem Bürgerentscheid für den Bau einer neuen Justizvollzugsanstalt (JVA) für 400 Häftlinge im Gewann Esch gestimmt.

Dass die rund 20.000 Wahlberechtigten überhaupt die Möglichkeit hatten, über einen JVA-Neubau zu entscheiden, geht auf die Initiative der Bürgerinitiative (BI) »Neckarburg ohne Gefängnis« zurück. Diese hatte heftig gegen den Bau einer Haftanstalt mitten in der Natur, umgeben von mehreren Naturschutzgebieten, protestiert und ein Bürgerbegehren gestartet mit dem Ziel, das Projekt zu kippen. Ohne Erfolg. Nur knapp 42 Prozent sprachen sich gegen eine JVA im Esch aus, 58 Prozent sind dafür. Zu den stärksten Kritikern zählt auch die Nachbargemeinde Villingendorf.

Rottweil hat eine politische und emotionale Berg- und Talfahrt hinter sich. Dabei ist das Thema – nüchtern betrachtet – nicht kompliziert. 2006 prüft der Landesrechnungshof die Wirtschaftlichkeit der Vollzugseinrichtungen. Das Ergebnis: Kleine JVAs lohnen sich nicht.

Kleine JVAs sollen geschlossen werden

Die Forderung an die Politik: schafft größere Einheiten. Daraufhin sieht das Haftplatzentwicklungsprogramm des Landes vor, das Klein-Klein der Vollzugslandschaft aufzulösen und zentrale Vollzugsschwerpunkte zu bilden. In Offenburg wird ein neues Gefängnis erstellt. Es geht 2009 in Betrieb.

Auch im südlichen Landesteil soll es einen Vollzugsschwerpunkt geben: Rottweil. Die Stadt ist ein traditionsreicher Justizstandort, verfügt über ein Amts- und Landgericht. Es gibt auch ein Gefängnis, es ist sehr klein und sehr alt. Moderner und humaner Vollzug, wie es das Gesetz seit vielen Jahren vorsieht, ist nicht möglich. Ähnlich sieht es in weiteren kleineren JVAs im Süden aus. Sie alle sollen geschlossen werden. Ersetzt durch einen großen Neubau mit Platz für 400 bis 500 Inhaftierte in Rottweil.

Die Natur, immer wieder ist es die liebe Natur, die den Akteuren einen Strich durch die Rechnung macht. Beispiel Stallberg. Das ist ein großes Stück Erde am Stadtrand von Rottweil, das schon 1975 für den Bau eines neuen Gefängnisses auserkoren wurde. Der Stallberg gilt als politisch und gesellschaftlich akzeptiert, die Rottweiler Bevölkerung weiß seit Jahrzehnten, dass dort irgendwann einmal ein neues Gefängnis gebaut werden soll, und hat nichts dagegen.
Die hübsche Braut wird eiskalt abserviert

Wäre da nicht die Natur, und wäre da nicht Thomas Knödler, ein selbstbewusst auftretender Spitzenbeamter aus dem Finanzministerium. Er nimmt bei einem Besuch in Rottweil im Dezember 2008 den Stallberg aus dem Rennen. Schon immer wusste man, dass dort größere Gipsvorkommen schlummern. Nun aber will ein Gutachter festgestellt haben: Dort zu bauen, geht gar nicht. Das Risiko ist zu hoch. Das bedeutet: Ein neuer Standort muss her.

Vielleicht ist das tatsächlich so, möglicherweise hat das Land auch der Mut verlassen, seitdem in Staufen im Breisgau ein Jahr zuvor, 2007, entdeckt wurde, dass etliche Häuser in der Ortsmitte durch Hebungsrisse in Mitleidenschaft gezogen wurden.

Staufen liegt auf einer Gipskeuperschicht, sie wurde zu Geothermiezwecken angebohrt. Das bewegt die Erde und die Gemüter, und freilich ist seither die Frage: Wer bezahlt das Schlamassel?

In Rottweil ist es wie mit einer Braut, die sich sicher ist, irgendwann einmal zum Altar geführt zu werden. Die sich hübsch macht, darauf wartet und plötzlich eiskalt abserviert wird. So fühlt sich Rottweil Ende des Jahres 2008. Doch die Stadt verfällt nicht in Depressionen, sondern zaubert einen neuen Standort aus dem Hut. Das Bitzwäldle.

Und wieder spielt die Natur einen Streich, im Konzert mit Winfried Kretschmann. Das Bitzwäldle liegt an der Rottweiler Gemarkungsgrenze. Dort gibt es zwei Rottweiler Teilorte, Dörfer mit jeweils ein paar Hundert Einwohnern. Klein, aber oho. Kaum, dass bekannt ist, dass im Bitzwäldle eine JVA gebaut werden soll, gibt es Widerstand. Die Bürger fühlen sich überrumpelt und ziehen die Öko-Karte: Das Bitzwäldle sei zu schön, reinstes Naturerholungsgebiet. Irgendwann werden Gelbbauchunken entdeckt. Die Unke ist fortan das Symbol für das Naturidyll im Bitzwäldle. Schließlich gerät das Thema in den Wahlkampf zur Landtagswahl. Der Grünen-Spitzenkandidat Kretschmann verspricht eine neue Suche, gewinnt und reißt das Ruder herum. Die Folge: Die Stadt erleidet auch mit dem zweiten Standort Schiffbruch.

Besser wird es nicht. Der Zirkus beginnt von vorne. Das Land startet 2012 einen neuen Suchlauf im Städtedreieck Rottweil, Donaueschingen und Tuttlingen. Es sagt mehr Transparenz zu und sorgt doch vor allem für Stirnrunzeln, als später bekannt wird, dass auch Meßstetten im Zollernalbkreis mit der dortigen ehemaligen Kaserne plötzlich Chancen hat, JVA-Standort zu werden.
Vom Öko-Gefängnis ist die Rede

Zunächst aber landen Standorte bei Tuningen und Weigheim (beide Schwarzwald-Baar-Kreis) auf den vorderen Plätzen. In Tuningen lehnen die Bürger im Juli vergangenen Jahres mit fast 57 Prozent der abgegebenen Stimmen ein neues Großgefängnis ab. Das soll in Rottweil nicht noch einmal passieren.

Rottweil hat einen Lauf: Dass hier Thyssen-Krupp Elevator einen Testturm für Hochgeschwindigkeitsaufzüge erstellt, vergleichen viele mit einem Sechser im Lotto. Jetzt geht was in der Stadt, die lange lediglich als älteste Stadt des Landes auf sich aufmerksam machte. Selbst hier ist das Bild nicht einheitlich. Eingefleischte Rottweiler würden den Turm lieber heute als morgen wieder abbauen. Eben jene finden sich auch in der Gruppe derer, die gegen den Gefängnisneubau im Gewann Esch waren. Sie haben erneut das Nachsehen.

Es gehört zu den Besonderheiten in dieser lehrreichen Geschichte, dass sich die beiden Rottweiler Teilorte, deren Bewohner sich vor Jahren so sehr gegen ein Gefängnis im Bitzwäldle zur Wehr setzten, in der gestrigen Entscheidung als die größten Befürworter eines JVA-Neubaus mitten im Grünen entpuppen. Das Esch ist halt doch einige Kilometer weit entfernt. Dieses Wahlverhalten sagt mehr aus über die Befindlichkeiten, die bei der Suche nach einem geeigneten JVA-Standort eine Rolle spielen, als alle Meinungen, die einem in den vergangenen Jahren zu diesem Thema zu Ohren gekommen sind.

Stadt und Land sind froh, endlich einen Standort gefunden zu haben. Beide versprechen, ein Vorzeigeprojekt zu bauen. Schon macht das Wort eines Öko-Gefängnisses die Runde.