Die gebürtige L’Aquilanerin Elvira Milani versucht hier ihr Glück / Sie will Erzieherin werden / Abends kommt das Heimweh

Von Tatsiana Zelenjuk

Rottweil. Dass das Leben in Deutschland nicht unbedingt "dolce vita" bedeutet, war Elvira Milani von Anfang an klar. Trotzdem hat die gebürtige L’Aquilanerin den Schritt gewagt. Seit neun Monaten ist Rottweil ihr neues Zuhause.

Die Stadt habe sie sofort fasziniert. "Das war Liebe auf den ersten Blick", erinnert sich die 20-Jährige. Durch das römische Flair habe sie Parallelen zu Italien entdeckt. Auch dass es so viel Grün gibt, mag sie sehr. "Ich halte mich sehr gern in der Natur auf. Wandern, spazieren gehen, grillen – das sind Freizeitbeschäftigungen, die mir Spaß machen."

Kennen gelernt hat sie Rottweil zusammen mit anderen Teilnehmern des Programms "MobiPro-EU" im Februar 2014. Im Juli folgte ein mehrwöchiges Praktikum in der Stadt. Spätestens dann war ihr klar, dass sie weitermachen und ihren Traum verwirklichen will.

"Job of my life" – mit diesem Slogan lockt das Förderprogramm "MobiPro-EU" ausbildungsinteressierte Jugendliche aus der EU nach Deutschland an. Elvira Milani hat sich für eine Ausbildung als Erzieherin entschieden, obwohl sie einige Semester Biologiestudium in der Heimat hinter sich hat.

"Die Situation in Italien ist einfach katastrophal", erklärt die L’Aquilanerin. "Ich habe schon immer gejobbt. Als Verkäuferin, Friseurin, Kellnerin. Eine gute Arbeit zu finden, ist aber extrem schwer." Auf Dauer keine Perspektive zu haben, kann ganz schön frustrierend sein.

So hat sich die 20-Jährige für das Projekt angemeldet. Vor ihren Eltern hat sie das zunächst verheimlicht. Elviras Entscheidung traf die traditionsbewusste italienische "famiglia" wie aus heiterem Himmel. "Bleib doch lieber zu Hause", war die typische Reaktion aus der Verwandtschaft.

Doch Elvira Milani war fest entschlossen, nicht aufzugeben. "Natürlich hatten die Eltern viele Sorgen", sagt sie. Sie sei das einzige Mädchen in der Gruppe und ihr Deutsch damals alles andere als perfekt gewesen.

Einen Sprachkurs haben die jungen Italiener dann bereits in der Heimat gemacht. "Vor dem Kurs konnte ich nicht einmal jemanden auf Deutsch begrüßen oder sagen, wie ich heiße", erinnert sich die L’Aquilanerin. Mit ihrem Schritt wollte sie beweisen, dass sie selbst etwas erreichen kann. Dass sie stark und selbstbewusst ist. Dass sie es meistert, Ängste zu überwinden und Fähigkeiten zu entwickeln. Jetzt gesteht sie ein, dass es nicht immer leicht war. "Meine Mietwohnung hatte nichts außer Heizkörpern und Glühbirnen. Dabei hatte ich zu Hause früher keine ähnlichen Erfahrungen gemacht. Auch mit Anmeldungen, Versicherungen und Co. musste ich klarkommen."

Starke Unterstützung kam in erster Linie von dem Freundeskreis "Amici dell’Aquila". Die Vereinsmitglieder halfen den jungen Leuten, sich in Deutschland einzufinden. "Ob bei Arztterminen oder Wohnungssuche – sie standen immer zur Seite." Bei Gianna Wollek will sich Elvira besonders bedanken. Eine richtige Freundschaft ist zwischen den beiden entstanden.

Vieles musste man dann doch alleine in den Griff bekommen. "In den neun Monaten bin ich ganz schnell erwachsen geworden", berichtet Milani. Das merke sie auch an der Freizeitgestaltung: Am liebsten bleibe sie gemütlich zu Hause mit einem Buch oder entspanne sich bei einem Spaziergang in der Natur. Partys seien mit einem Mal nicht mehr so attraktiv geworden.

"Ich bin jeden Tag vom frühen Morgen immer in Bewegung", erzählt die 20-Jährige. "Vormittags gehe ich fünfmal pro Woche zum Integrationskurs, nachmittags arbeite ich im Kindergarten Arche Noah als Praktikantin." Dann bleibe nur noch Zeit zum Putzen, Einkaufen, Kochen.

Neue Kultur und einen neuen Lebensstil für sich zu entdecken, findet die junge Italienerin aufregend. Spätzle, Maultaschen und Brezeln schmecken ihr gut. Zu Hause kocht sie eher italienisch. Die kulinarische Landschaft in Deutschland hat heutzutage viel zu bieten, aber eines vermisst Elvira Milani: Es sind Arrosticini – gegrillte Fleischspieße, eine regionale Spezialität aus den Abruzzen. "Schaffleisch ist total lecker, aber in Rottweil leider nicht zu finden", sagt sie.

Von der Rottweiler Fasnet ist die junge L’Aquilanerin fasziniert. In ihrer Heimat verkleide man sich zwar auch, aber noch nie habe sie so viele Menschen gemeinsam ausgelassen feiern gesehen.

An ihre Familie denkt die 20-Jährige jeden Abend, wenn der turbulente Tag zu Ende geht und alles erledigt ist. Sie denkt an ihre Eltern, an ihre Geschwister. Oft muss sie gegen Tränen ankämpfen.

Was ihr hilft, Heimweh zu überwinden und mit diesen Gefühlen umzugehen, ist die Erkenntnis, dass sie jetzt zwei neue "Ersatzfamilien" hat. Zum einen sind das acht andere Projektteilnehmer aus L’Aquila. Zum anderen die Kinder, die Elvira im Kindergarten betreut.

Junge Italiener hat der Weg nach Rottweil und das Leben in der Stadt zusammengeschweißt. "Für die Jungs bin ich die kleine Schwester und die große Mama zugleich", schmunzelt Elvira. Wie macht man die Waschmaschine an? Wie kocht man Gnocchi? Täglich richten sich Fragen solcher Art an die 20-Jährige.

In ihrer Arbeit als Erzieherin hat sie eine Leidenschaft und eine Berufung entdeckt. Die Kinder bringen ihr sehr viel Liebe und Wärme entgegen. Die Kleinen wollen auch unbedingt wissen, was in Italien zu Weihnachten gegessen oder wie Ostern gefeiert wird. Und wenn die Praktikantin ihre kleinen Zwerge beim Basteln "Far-fa-li-na" singen hört, ist sie überwältigt. "Ich bin glücklich und stolz, dass meine Kinder auf Italienisch singen", erklärt sie.

Im September wird Elvira ihren zweiten Versuch der Ausbildung am Edith-Stein-Institut starten. Letztes Jahr hat sie wegen mangelnder Sprachkenntnisse aufgeben müssen. Spezifischen Fächern wie Pädagogik oder deutsche Literatur sei sie damals nicht gewachsen gewesen. Ohne Sprache wird es mit der Ausbildung nichts. Das weiß sie. Und büffelt jeden Tag. Dass Erzieherin ihr Traumberuf ist, davon ist sie überzeugt. Etwas Schöneres und Spannenderes kann sie sich nicht vorstellen. Und für die Erfüllung dieses Traumes alle Kräfte einzusetzen, ist sie bereit.