Zwei Männer, eine Frau, das muss böse enden: Werther (Christian Dräger, links) und Albert (Julian Dietz). Foto: Schnekenburger Foto: Schwarzwälder-Bote

"Die Leiden des jungen Werther" eröffnet neue Spielzeit am Zimmertheater / Nächste Aufführung am Freitag

Von Verena Schickle

Rottweil. Wer nicht ins Grübeln kommen, wer nicht mitfühlen und nicht mitleiden will, der sollte dem Zimmertheater Rottweil tunlichst fernbleiben, wenn dort die "Leiden des jungen Werther" zu sehen sind. Am Freitag war Premiere.

Mit Shakespeares "Der Sturm", vergleichsweise leichter Kost, hatte sich das Zimmertheater in die Sommerpause verabschiedet. Mit dem "Werther" meldet sich die Truppe um das Intendantenpaar Bettina Schültke und Peter Staatsmann zurück. Wieder – nach "Faust I" – ist es ein Werk von Goethe, das dem Publikum reichlich Stoff zum Nachdenken liefert. Und wieder spielt Martin Olbertz eine zentrale Rolle. Vorige Saison war er der Faust, diesmal lässt er andere spielen und führt Regie: Christian Dräger (Werther), Hannah Schwarz (Lotte) sowie Julian Dietz (Albert). Dramaturgie: Bettina Schültke.

Für die Theaterleute sei die Premiere am letzten Ferientag ein Kraftakt, sagte Peter Staatsmann in seiner Begrüßung – noch halb in den Ferien, halb zurück im ernsten Alltag. "Das Team hat Wunderbares geleistet." Gerade deshalb wären den Akteuren ein paar mehr Zuschauer zu wünschen gewesen.

Freilich: Dass der Spielzeitauftakt keine luftig-leichte Freitagabend-Unterhaltung bieten würde, war vorherzusehen. "Die Einsamkeit ist meiner Seel’ kostbarer Balsam" ist eines der ersten Worte, die Werther auf der Bühne spricht. Ein ungewöhnlicher Ort, hatte Goethe sein Werk doch als Briefroman angelegt. In Schreiben an seinen Freund Wilhelm schildert darin der Protagonist seine Erlebnisse: seine unglückliche Liebe zu Lotte, einer jungen Frau, die so gut wie verlobt ist mit Albert. Diesem nüchternen, geradlinigen Menschen steht der empfindsame, überschwängliche Werther gegenüber, der am Ende keinen anderen Ausweg aus dieser unglücklichen Ménage-à-trois sieht als den befreienden Selbstmord.

Diese Dreiecksbeziehung steht im Fokus der Rottweiler Inszenierung. Eigentlich noch auf Geschäftsreise, ist Albert als Charakter von Beginn an auf der Bühne präsent. Olbertz lässt das Trio agieren, als sei der Roman als Bühnenstück für drei geschrieben. Das ist anders, das ist neu. Davon abgesehen ist der Inhalt des Briefromans, der Goethe berühmt machte, natürlich weithin bekannt. Auch die Rezeptionsgeschichte: Dass Werthers literarischer Selbstmord viele tatsächliche Suizide nach sich gezogen haben soll. Junge Männer, gekleidet wie das literarische Vorbild, sollen sich am Schreibtisch erschossen haben. Das ist eines der Details, mit denen das Stück im Zimmertheater bricht.

Es sind Kleinigkeiten, die erfrischend anders wirken. Das beginnt bei der Bühne: Links und rechts davon sitzt Publikum, das erzeugt Nähe. Wie die Leute hier so sind, fragt Werther im Brief vom 17. Mai. "Wie überall", gibt er dem Publikum zur Antwort. Und setzt ein "Schaffe, schaffe, Häusle baue" nach.

Weiteres Beispiel: Wie die Zeit verfliegt, zeigt Olbertz anhand von Zetteln wie bei einem Abreißkalender. Der erste Tanz mit Lotte, dann die irgendwann täglichen Treffen und die Rückkehr Alberts: Ein Rasenmäher zerstückelt am Ende die Kalenderblätter der gemeinsam verbrachten Tage so wie die Rückkehr des Kontrahenten der trauten Zweisamkeit ein Ende bereitet. Schließlich legt sich das Kabel des Mähers wie eine Schlinge um Werthers Hals. Sie zieht sich im Laufe des Stückes immer weiter zu, bis Werther sich schließlich das Leben nimmt. Anders als in der Vorlage verlegt Olbertz den Suizid in ein Boot, das Lottes Namen trägt. So stirbt Werther in den Armen der Geliebten, der er doch fernbleiben muss.

Die Inszenierung steckt voll solcher Bilder, solch kleiner Details. Und die liefern gleich noch ein bisschen mehr Stoff zum Nachdenken.

Weitere Informationen: "Die Leiden des jungen Werther" ist das nächste Mal am Freitag, 19. September, ab 20 Uhr im Zimmertheater Rottweil zu sehen. Karten kosten 15 Euro, ermäßigt 7,50 Euro. www.zimmertheater-rottweil.de