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Flüchtlinge: Ein funktionierendes Unterbringungskonzept ist nicht alles / Soziale Betreuung mit Schwachstellen

Wie läuft die Flüchtlingsbetreuung vor Ort? Die Meinungsvielfalt zu diesem Thema ist groß. Die humanitäre Aufgabe zeigt sich facettenreich. Da gefällt bei weitem nicht alles.

Kreis Rottweil. 2300 bis 2400 Menschen aus fremden Kulturkreisen in einem Kreisgebiet wie Rottweil zu beherbergen, erfordert viele Kraftakte. Was ist wünschenswert, was als machbar anzusehen? Bei solchen Fragen scheiden sich oft die Geister. Auch im Hinsehen auf andere sozial bedürftige Gruppen lässt sich schnell Konfliktstoff erzeugen.

Die schwierige Gemengelage bei Situationsbeschreibungen wurde auch in der gestrigen Ausgabe des Schwarzwälder Boten deutlich. Während auf der einen Seite (Kreis) darüber berichtet wurde, wie gut im Schulterschluss zwischen Landkreis, Städten und Gemeinden das von der Landkreis-Verwaltung verantwortete dezentrale Unterbringungskonzept funktioniert, wurde auf der Oberndorfer Seite auf deutliche Defizite bei der sozialen Betreuung von Flüchtlingen verwiesen.

Bernd Hamann, Sozialdezernent beim Landkreis, weiß nur allzu gut um die Bandbreite der Empfindungen und Einschätzungen. Vor einem halben Jahr habe die Oberndorfer Initiative "Offene Hände" in einem Schreiben Dank bekundet für die grundsätzlich gute Kooperation mit der Kreisbehörde bei der Sozialbetreuung, vor allem hinsichtlich des fachlichen Austauschs und in Bezug auf Strukturfragen. Auch die beiden Sozialarbeiter bei Caritas und Diakonie seien sehr bereichernd, wurde damals betont.

Heute moniert diese Initiative schwere Versäumnisse bei der sozialen Betreuung der Oberndorfer Flüchtlinge. Eine solche müsse eigentlich vom Landkreis durch hauptamtliche Mitarbeiter gewährleistet sein, erklärte Eva Scherer jetzt im Oberndorfer Verwaltungsausschuss. Scherer, eine tragende Säule der Oberndorfer Initiative, hält die Zustände für "mangelhaft und haarsträubend". Die ehrenamtlicher Helfer in der Flüchtlingsarbeit seien deshalb zunehmend frustriert. Auch der Zustand der von Landkreis zur Verfügung gestellten Unterbringungsmöglichkeiten in der Neckarstadt lasse gelegentlich sehr zu wünschen übrig. Scherer und ihre Mitstreiter sind deshalb auch bei der Stadtverwaltung vorstellig geworden. Bürgermeister Hermann Acker habe daraufhin einen Brief an den Landrat geschrieben, in dem er auf diese Missstände hingewiesen habe.

Als am Montag im Kreistag über das Thema Flüchtlingsbetreuung im Kreis Rottweil gesprochen wurde, nahm Acker, wie auch alle anderen Ratskollegen, den Bericht der Kreisverwaltung über das dezentrale Unterbringungskonzept, ohne kritische Anmerkungen, zur Kenntnis. Da hätten Acker – im Wissen um die Kritik in seinem Beritt – einige Worte im Sinne konstruktiver Kritik gut angestanden. So aber könnte sich die Ahnung breit machen, dass etwas gegenüber der Öffentlichkeit unter den Teppich gekehrt werden soll. Oder wird das Thema vielleicht doch nicht mit der gebotenen Ernsthaftigkeit auf der Tagesordnung gehalten?

Bernd Hamann räumt ein, dass man sich im operativen Geschäft immer verbessern kann. Dafür strenge man sich täglich an. Allen Eventualitäten könne man allerdings auch nicht Rechnung tragen. Das Eintauchen in eine andere Kultur müsse auch von Eigeninitiative getragen sein.

Rottweiler Freundeskreis Asyl lobt die Zusammenarbeit mit dem Landkreis

Die Zusammenarbeit mit dem Landkreis und auch der Stadt Rottweil sei konstruktiv, berichtet indes Max Burger vom dortigen Freundeskreis Asyl. Wenn es Probleme gebe, würden diese meist schnell intern gelöst. Die Betreuung durch Sozialarbeiter sei zwar knapp bemessen, jedoch sei der Arbeitskreis froh über das, was man habe. Schließlich sei der Arbeitsmarkt ausgereizt und Sozialarbeiterstellen schwer zu besetzen. Dass es in einer Unterkunft mal verdreckt sei, bringt Burger nicht mit Nachlässigkeiten durch den Landkreis in Verbindung. Das liege zum Beispiel daran, dass etwa junge männliche Reisende selbst nicht so auf Sauberkeit achteten. Was Burger kritischer sieht, ist das Thema Sprachkurse. Es gebe bei den verschiedenen Anbietern der Kurse zwar Tests zur Einstufung, allerdings habe er den Eindruck, dass dort versucht werde, die Kurse auf jeden Fall voll zu bekommen. Dann seien die Flüchtlinge schnell mit dem Tempo überfordert. Burger meint jedoch: "Das Verhältnis zum Landkreis und auch zum lokalen Bündnis mit der Stadt ist sehr, sehr gut."

Angelika Haupt von den Flüchtlingshelfern der Deißlinger Brückenbauer beschreibt die Zusammenarbeit mit dem Landkreis als "nicht immer einfach". Sie habe durchaus den Eindruck, dass das Landratsamt froh sei, wenn die schwierigen Aufgaben beim Helferkreis landeten. Zum Beispiel, wenn es um Aufgaben gehe, wie die Flüchtlinge zum Jobcenter zu begleiten: "Da ist immer das Ehrenamt gefragt." Viele Flüchtlinge verstünden meist schon die "Vorladungsbriefe" vom Jobcenter nicht, einfach weil das Sprachverständnis nicht da sei. Bei solchen Dingen lehne sich der Landkreis schon zurück, meint sie. "Wenn die uns nicht hätten, würde der Laden zusammenbrechen."

Haupt berichtet, sie habe in letzter Zeit 2000 Kilometer mit dem Auto zurückgelegt, um Flüchtlingen zu helfen. So auch, um eine Hochschwangere zum Arzt zu fahren. Das gehe einfach nicht mit dem Zug. Weiter kritisiert sie den Informationsaustausch. Gerade bei Flüchtlingen, bei denen klar sei, dass sie nicht in Deutschland bleiben könnten, werde der Helferkreis nicht gut auf dem Laufenden gehalten.

Ute Bott, die mit ihrem Mann Hubert Nowack im Rottweiler Gewerbepark Neckartal ein Gebäude für Flüchtlingsunterkünfte zur Verfügung stellt, fühlt sich behördlicherseits in wesentlichen Fragen alleingelassen. So habe sie die beabsichtigte Umsiedlung der Flüchtlinge aus dem ehemaligen Rottweiler Spital – das dortige Areal wird für ein Investitionsobjekt zur Verfügung gestellt – in ihr Gebäude im Neckartal über Dritte erfahren müssen, sagt sie kopfschüttelnd. Die Menschen, die seit eineinhalb Jahren im Neckartal wohnten, seien wohl für den Standort Lauterbach vorgesehen. Da fehle es elementar an begleitender Betreuung, um den Menschen Ängste wegen der bevorstehenden Veränderungen zu nehmen. Auch hinsichtlich alltäglicher Problemstellungen fühle man sich oft arg allein gelassen.

In den vergangenen zweieinhalb Jahren sei ziemlich viel auf dem Rücken der Willkommensnetzwerke ausgetragen worden. "Wir hatten, obwohl wir in Lauterbach weit über Soll aufgenommen haben, teilweise monatelang keinen einzigen Sozialarbeiter, der für unsere Flüchtlinge zuständig war. Wir wissen natürlich, dass es schwierig war, Personal zu bekommen. Auf dem Papier hat der Kreis viele Stellen geschaffen. Wir mussten auf Nachfrage jedoch feststellen, dass dabei vom Hausmeister bis zur Buchhalterin alles mitgezählt wurde – jedoch vor Ort – bei der direkten Betreuung – niemand außer den Ehrenamtlichen tätig war, da die geschaffenen Stellen nicht besetzt waren", sagt Sonja Rajsp aus Lauterbach. "Auch bei uns im Netzwerk gibt es Verschleißerscheinungen. Manch eine Helferin hat aufgehört, weil die Belastung einfach zu groß wurde. Dankenswerterweise ist uns das Lauterbacher Rathaus irgendwann zur Seite gesprungen und übernimmt jetzt das meiste der Formular-Bearbeitungen. Das ist schon eine große Erleichterung."

Die Situation bessere sich aber. Zum einen gebe es mittlerweile mehr Sozialarbeiter, auch von kirchlicher Seite und vom Land bezuschusst, in den Kommunen, zum anderen "sind unsere Flüchtlinge aus dem Gröbsten raus".

"Auch wir hier gehen von der Willkommens- in die Integrationsphase über – jetzt ist es wichtig, dass die Flüchtlinge, die noch nicht versorgt sind, in den Integrationskurs kommen, es gibt immer noch eine lange Warteschlange, Danach gilt es, Arbeit zu finden. Wir haben viele, die unsere ehrenamtlichen Sprachkurse nutzen. Da suchen wir noch eine Helferin" erklärt Rajsp.

Mit einem Pakt für Integration stellt das Land den Kommunen in diesem und im kommenden Jahr insgesamt 320 Millionen Euro zur Verfügung: Mit 116 Millionen Euro sollen rund 1000 Integrationsmanager in Städten und Gemeinden finanziert werden, weitere 24 Millionen Euro sind für Maßnahmen aus den Bereichen Schule und Übergang zum Beruf, Spracherwerb sowie bürgerschaftliches Engagement in der Kommune vorgesehen. Dass die Mittel freigegeben werden, darauf wartet auch Bernd Hamann täglich. Dann könne man bei der Flüchtlingsarbeit mit etlichen weiteren Kräften noch weiter in die Tiefe gehen. Je mehr dabei alle Beteiligten Hand-in-Hand gehen könnten, je besser sei dann wohl auch das erzielbare Ergebnis, konstatiert der Sozialdezernent, der inzwischen immer mehr zu spüren bekommt, dass die heutigen Herausforderungen nicht weniger groß sind, als zu der Zeit, als monatlich bis zu 350 neuen Flüchtlingen im Kreisgebiet ein Unterkommen zu bieten war.