Stadt und Investor stellen spektakuläres, sechs Millionen Euro teures Projekt vor. Beim Bockshof wird Platz gesucht. Mit Kommentar.

Rottweil - Es hat schon etwas von einem Déjà-vu gestern im Rottweiler Rathaus: Pressekonferenz zu einem neuen Mega-Projekt. Vor knapp drei Jahren platzte hier die Bombe: Thyssen-Krupp baut einen Aufzugstestturm. Jetzt der zweite Coup: Die längste Hängebrücke der Welt soll entstehen.

Der Déjà-vu-Effekt ist nicht nur wegen der Kulisse und dem frohlockend dreinblickenden Oberbürgermeister besonders groß – auch die Videopräsentation erinnert an den Turm und spricht die Emotionen an: hoch, weit, riesig, ein bauliches Meisterwerk – ein Erlebnis. Möglich wird das Projekt durch Investor Günter Eberhardt von der Firma Eberhardt Bewehrungsbau, der den Thyssen-Krupp-Turm mitgebaut hat. Jetzt will er für sechs Millionen Euro die Brücke vom Turm in die Stadt schlagen – im wahrsten Sinne. Auf der 950-Meter-Hängebrücke soll es quer über das Neckartal gehen. Das Bauwerk spannt sich vom Bereich des historischen Bockshofs – das könnte ein Knackpunkt werden – über drei Mittelpfeiler im Bereich der Duttenhofer Straße bis zum Berner Feld. Mit freiem Blick in die Landschaft, auf maximal 40 Metern Höhe. Möglich macht das die Firma KTS, die 2014 auch schon die bislang längste Hängebrücke der Welt, die "highline 179" mit 403 Metern im österreichischen Reutte gebaut hat. Das Superlativ hätten die Österreicher dann freilich verloren.

Rekord Nummer vier

Rottweil hingegen heimst mit dem Projekt Alleinstellungsmerkmal Nummer vier ein, wie Oberbürgermeister Ralf Broß betont: höchste Besucherplattform Deutschlands, höchstes Gebäude Baden-Württembergs, längste Hängebrücke der Welt – und natürlich älteste Stadt Baden-Württembergs. Von einem "Spaziergang zwischen Zukunft und Historie" spricht der OB. Die Vision: Nach dem Bummel durch die Altstadt betritt der Besucher die Brücke an der Stadtmauer, spaziert hoch über dem Neckar zum Berner Feld und lässt sich dort im Panoramaaufzug auf die Besucherplattform beamen. Eine Zeitreise. "Die Stadt erhofft sich zusätzliche Attraktivität für die Bürger und die Besucher und Impulse für die Innenstadt."

Der Schub im Tourismusbereich sei schon jetzt spürbar, freut sich Wirtschaftsförderer André Lomsky und belegt dies mit dem Beispiel Stadtführungen: 2014 nahmen 10 000 Menschen teil, 2015 waren es schon 16 500.

Auch der Fachbereichsleiter Bauen, Lothar Huber, spürt die Sogwirkung der Großprojekte. In die Hotel-Ansiedlung beim Alten Spital komme Druck, das Hotel Johanniterbad soll erweitert werden, auf dem Berner Feld sind ein Besucherzentrum und ein Hotel geplant, zudem gebe es einen Investor für ein Parkierungskonzept und im Einzelhandel nehme man Fahrt auf.

Vom Zug zur Brücke?

Der Projektbeauftragte der Stadt, Alfons Bürk, der auch jetzt die Bande zum Investor knüpfte, geht noch weiter: "Die Investoren stehen bereit. Die Stadt fängt an zu pulsieren." Es gebe eine neue Ebene des "sich Trauens". Schon jetzt sieht er neue Haltepunkt der Gäubahn im Neckartal an den Pfeilern der neuen Hängebrücke oder unterhalb des Bockshofs. Bürk hat bekanntlich keine Angst vor Visionen. "Auch an den Turm hat zunächst niemand geglaubt. Jetzt steht er da." Und zu was es führt, wenn man den Menschen etwas Außergewöhnliches bietet, habe übrigens die Lightshow am Turm gezeigt. "In kürzester Zeit war auf dem Berner Feld Verkehrschaos – die Leute kamen von überall her."

Spaziergang auch nachts

Dieses Beispiel macht deutlich: Was die Parkplätze angeht, müsste Rottweil enorm aufrüsten. Martin Kathrein, Geschäftsführer der Firma KTS, rechnet mit 100.000 Besuchern im Jahr. Er versichert: "Die Brücke in Reutte funktioniert." Schon jetzt mussten 200 Parkplätze zusätzlich geschaffen werden, allein in der Gastronomie ringsum seien zehn neue Arbeitsplätze entstanden. Weit über 1000 Menschen kämen an Spitzentagen. Für acht Euro ziehen sie ein Ticket, dann geht das Drehkreuz auf. Alles läuft vollautomatisch und ist videoüberwacht. Nachts soll die Brücke beleuchtet werden. In Österreich ist sie von 8 bis 22 Uhr geöffnet. Die täglichen Kontrollgänge übernimmt ein Verein, das könne man sich auch in Rottweil vorstellen.

Und das Thema Sicherheit? "Es gibt Vorschriften für so einen Bau, und die halten wir alle ein", sagt Kathrein. In Reutte ist die Brücke 1,20 Meter breit und mit 1,35 Meter hohen Geländern versehen. "Der freie Blick in die Landschaft macht den Spaziergang zum besonderen Erlebnis", betont Alfons Bürk. Deshalb sei auch nicht denkbar, die Brücke als "geschlossenen Käfig" zu gestalten – Vorschläge, die angesichts einer drohenden Suizid-Gefahr laut geworden waren. Man wolle die Thematik nicht unter den Tisch kehren – aber sich auch nicht abhalten lassen.

Eröffnung 2017 möglich

Details zur Planung werden in den nächsten Wochen ausgearbeitet, dann geht es noch im Frühjahr in den Gemeinderat und es läuft "ein normales Baugenehmigungsverfahren", so Lothar Huber. Die Bürger sollen mit Infoveranstaltungen miteinbezogen werden. Rottweil hat ja inzwischen Erfahrung damit. Für Debatten könnte sorgen, wo genau am Bockshof das Eingangsportal zur Brücke entstehen soll. Rund 100 Quadratmeter Fläche sind dafür laut Kathrein erforderlich. Wenn es nach ihm geht, könnte die Brücke im Herbst 2017 fertig sein. Dem Brückenbau kann man dann bequem von der Turm-Plattform aus zuschauen.

Kommentar: Schwindelig

Von Corinne Otto

Es könnte einem glatt schwindelig werden. Nicht nur beim Gedanken an die 950 Meter lange neue Hängebrücke, sondern auch angesichts des Tempos, mit dem Rottweil große Projekte anzieht. Ein Steinchen bringt viele andere ins Rollen. Testturm, JVA, Hängebrücke... und als nächstes? Schon jetzt wird versichert, dass viele weitere Projekte in der Pipeline sind. Im Rathaus spürt man den Schwung: Tourismus, Hotels, private Parkprojekte, Neues im Einzelhandel. Was vor ein paar Jahren noch ein zähe Angelegenheit war, bekommt jetzt eine Eigendynamik, von der andere Städte nur träumen können. Aber Achtung: Viele Steine auf einmal können einen auch schnell mal überrollen. Wenn die Infrastruktur drumherum nicht stimmt, gibt’s Chaos und unzufriedene Besucher. Vor dem Brücken-Spaziergang zwischen Zukunft und Historie steht noch jede Menge Arbeit an – und der Investor zahlt leider nicht alles.