Trotz des mehr als durchwachsenen Wetters demonstrierten viele vor dem Rottweiler Rathaus ihre Unterstützung für den Kampf der Gewerkschaften um gerechte Löhne und für eine solidarische Gesellschaft. Fotos: Zelenjuk Foto: Schwarzwälder-Bote

1. Mai: Traditionelle DGB-Kundgebung / Wolfgang Hermann: Beim Lohn geht es um Lebenschancen und menschliche Würde

Rottweil. "Wir sind viele. Wir sind eins": Unter diesem Motto feierten die Gewerkschaften gestern bundesweit den 1. Mai. In Rottweil allerdings wollte das Wetter nicht mitmachen.

Nach dem wunderschönen sonnigen Wochenende war es am gestrigen Montag kalt und regnerisch. Dem schlechten Wetter trotzten dennoch DGB-Mitglieder, Ehrengäste und einige Mitbürger bei der traditionellen Kundgebung vor dem Alten Rathaus. Im Fokus standen Themen wie Solidarität und soziale Gerechtigkeit, Digitalisierung, Demokratie und Integration.

Bernd Scheibke, Vorsitzender des DGB-Kreisverbands Rottweil, blickte in seinem Grußwort auf das Erreichte zurück. Er betonte: "Wir sind erfolgreich. Wir sind stark. Mit sechs Millionen Mitgliedern kämpfen wir tagtäglich für die Interessen der Beschäftigten." Neben dieser zentralen Aufgabe engagiere sich der DGB auch für Demokratie, den Sozialstaat und eine integrative und lebendige Gesellschaft.

Rückbesinnung auf ein solidarisches Europa

"Wir stehen für Menschenwürde, soziale Gerechtigkeit und Weltoffenheit", so Scheibke. Der Kreis-Vorsitzende unterstrich, dass der DGB auch in unsicheren Zeiten "Ja" zu Europa sagt: "Dass wir ein anderes Europa brauchen, ist klar. Klar muss aber auch sein, dass kein Europa keine Lösung ist." Er forderte die Rückbesinnung auf ein solidarisches und soziales Europa in Frieden und Wohlstand.

Eine weitere zentrale Forderung war die nach Lohngerechtigkeit. Vor allem bei den Minijobs müsse sich endlich etwas ändern. "Für fünf Millionen Beschäftigte ist der Minijob die einzige Erwerbsquelle. Das sind oft 100-Euro-Jobs oder Arbeit auf Abruf", schilderte Scheibke die prekäre Lage vieler Arbeitnehmer.

Scheibke machte ebenfalls klar: Auch das Rentensystem in Deutschland ist "zwar dem Grunde nach richtig, braucht aber durch die Veränderungen in der Arbeitswelt und in der demografischen Entwicklung eine große Reform". Die Zeit sei reif für einen Kurswechsel in der Rentenpolitik, stellte Scheibke fest.

Gastredner Herbert O. Zinell, Ministerialdirektor a.D. und ehemaliger Oberbürgermeister von Schramberg, rückte besonders das Thema Digitalisierung sowie deren Chancen und Risiken in den Fokus. "Durch die Digitalisierung werden Berufsbilder verschwinden, aber auch neue entstehen. Ständiges Lernen wird uns noch mehr als derzeit das ganze Berufsleben begleiten", prognostizierte Zinell. Diese Entwicklung sei nicht mehr aufzuhalten.

Wichtig sei es allerdings, dass die Gewerkschaften diesen Prozess mitgestalten. Es gelte, auch bei der Umsetzung der Arbeit 4.0 einen Transformationsprozess zu fordern, der den gesellschaftlichen Zusammenhalt, aber auch Wachstum und Wohlstand nicht gefährde, forderte Zinell.

Wolfgang Herrmann, Leiter der Katholischen Betriebsseelsorge der Diözese Rottenburg-Stuttgart, machte in seiner Rede auf das Problem prekärer Arbeitsverhältnisse und sozialer Spaltung in Deutschland aufmerksam. "Wir sind viele, wir sind eins. Aber wir müssen noch mehr und noch einiger werden, denn es gibt viele Baustellen in unserem Land", sagte Herrmann.

Entscheidend sei für ihn die Lohnfrage: "Beim Lohn geht es nie nur um Geld. Über Geld werden in unserer Gesellschaft Lebenschancen verteilt. Es wird entschieden über die Beteiligung an den wirtschaftlichen Zuwächsen und im Gefolge davon an den sozialen und kulturellen Möglichkeiten."

Es gehe beim Lohn letztlich immer um Wertschätzung und menschliche Würde, erklärte Herrmann. Für ihn gebe es in dieser Frage keine Kompromisse.

Die Gewerkschaften müssten sich deshalb weiterhin aktiv für höhere Löhne und damit für die Verteilungsgerechtigkeit, Stabilität und sozialen Frieden einbringen. Auch das Thema Integration sprach Herrmann an. Er gab unmissverständlich zu verstehen: "Wir werden es niemals hinnehmen, dass es Menschen erster und zweiter Klasse geben soll, dass Menschen anderer Hautfarbe oder anderer Kultur ausgegrenzt, diffamiert oder gar attackiert werden."

Es sei wichtig, Farbe zu bekennen für die Demokratie und eine offene Gesellschaft, betonte der Redner.