Pfingsten im Chorfenster des Heilig-Kreuz-Münsters / Meisterwerke der Neu-Gotik

Von Egon Rieble

Rottweil. Das kirchliche Hochfest Pfingsten findet im Vergleich zu Weihnachten und Ostern in der Kunst weit weniger Darstellung. Eine besonders schöne gibt es im Heilig-Kreuz-Münster.

Die Ausgießung des Heiligen Geistes erscheint in der bildenden Kunst zum ersten Mal in einem Evangelium im Jahr 586. Die Apostel stehen links und rechts von Maria. Feuerflammen über dem Haupt, der Heilige Geist schwebt als Taube über Maria. Diese urtümliche Darstellungsweise des Pfingstgeschehens begegnet uns auch in einem der Maßwerk-Fenster im Chor des Heilig-Kreuz-Münsters in Rottweil. Die Maßwerk-Fenster aus den Jahren 1841-43 in dem mächtigen 18 Meter hohen Chor mit seiner fünfseitigen Apsis sind Meisterwerke der Neu-Gotik, einer Neu-Gotik, die ihre eigene Gültigkeit hat und die dem Innenraum zu seiner majestätischen Schönheit verhilft.

Der Heilige Geistkommt herab

Das Pfingstfenster – das zweitletzte Fenster rechts ist ein Teil der Darstellung der Heilsgeschichte, die von der Vertreibung aus dem Paradies über die Verkündigung an Maria, die Geburt Christi, die Passion, die Auferstehung und die Himmelfahrt bis zur Marienkrönung im Himmel reicht. "Die Herabkunft des Heiligen Geistes" ereignet sich in einem großen Raum, der von Fialen und Kreuzblumen gekrönt ist. Darüber befinden sich zwei farbschöne Vierpass-Fenster, über denen ein Engel mit einem Spruchband erscheint.

Die Pfingstdarstellung weist zwei Brennpunkte auf: Maria und Petrus. Beide Gestalten erscheinen frontal und sind diagonal zueinander in Beziehung gebracht. Das Petrus-Gesicht weist auf das Mariengesicht, und des Apostels linke Hand ist mit der linken Hand Mariens identisch. In der rechten hält Petrus den Schlüssel. Die Arme vor der Brust gekreuzt erscheint Maria völlig in sich geschlossen. Diese Geschlossenheit lebendiger Ruhe wird durch die Faltenliniatur des blauen Mantels instrumentiert. Über Maria: in einem Kranz von Flammenstrahlen, die Taube des Heiligen Geistes. Gold bestimmt auch die Kreise, die als Heiligenscheine die Häupter der Jünger umspielen. Sie tragen feurige Flammen. Etwas von der Beziehung Mariens zum Heiligen Geist kehrt wieder auf den Gesichtern der Apostel. Es sind begeisterte, entflammte Gesichter, die auf eigene Weise das Erfülltsein der Männer vom Gottesgeist spiegeln, die weniger auf die Taube des Heiligen Geistes als auf Maria bezogen und fixiert sind. Neben Mimik und Gestik ist es die streng kontrollierte lebendige Farbigkeit, die das Überzeugende an dieser Pfingstdarstellung ausmacht. Die gotische Szenerie ist gekennzeichnet durch Gold, das vom Weiß der Taube durchsetzt ist. Der Heilige Geist setzt das Maß geradezu farbkühn, es ist der Raum des Mysteriums. Er ist grün. Es ist die Farbe des Himmels, in dem sich im Fenster nebenan die Marienkrönung vollzieht.

Grün ist auch das Gewand des Apostels Petrus. Er ist es, der zur Pfingstpredigt aufsteht, von der die Apostelgeschichte schreibt: "Ihr Landsleute und alle Bewohner Jerusalems, hört mir zu und lasst euch erklären, was hier vorgeht" (Apostelgeschichte 2.14).

Die Taube des Heiligen Geistes erscheint auch in zwei Altären. Er begleitet in der Sakralkunst den Erzengel Gabriel bei seiner Verkündigung an Maria. Im Altarflügel der Verkündigung des Ulrich-Altars von dem Dürer-Schüler Hans Schäufelin (1480-1534) ist diese Begleitung einzigartig in der Sakralkunst. Die Taube fliegt, gesteuert von Gott-Vater, in Richtung Nazareth; abzulesen an dem gebündelten Strahl, der vom Vater-Gott ausgeht.

Im Dreifaltigkeitsaltar (1600) – der einzige Renaissancealtar im Münster – ereignet sich die Krönung Mariens durch Gott-Vater und Christus unter den Fittichen der Taube des Heiligen Geistes, die zentral im offenen Himmel schwebt. Es ist eine in Silber gehaltene Darstellung in lebendiger Strenge mit goldenem Nimbus. Golden sind übrigens auch die reizvollen Engelsköpfchen in den dorischen Säulen, die die Darstellung flankieren.