Explodierte Frisur, frei schwebende Gedanken, unerhörte Ansichten: Kay Ray. Foto: Schnekenburger

Comedian lässt beim Ferienzauber am Wasserturm tief blicken. Politische Korrektheit ist für den Künstler ein Tabu.

Rottweil - Mit einem schrägen Comedy-Abend endete am Donnerstag beim Ferienzauber die Reihe der Veranstaltungen am Wasserturm: Bevor es nach dem kostenfreien Wochenende beim Turm im Kraftwerk weiter geht, startete Kay Ray einen Angriff auf den guten Geschmack.

Was letzteren ausmacht ist letztlich eine Frage des Definitionsrahmens. Und dessen Ecken lagen gestern Abend auf, naja, ungewohnten Koordinaten. Also rein ins Zelt und geschaut, was die Welt so umtreibt. Oder besser: Was den Typen auf der Bühne so umtreibt – und was er selbst umtreibt. Zumindest darauf gibt es recht schnell eine Antwort: Kay Ray treibt das Publikum um. Rund 150 Besucher hatten sich die "Kay Ray Show" für gestern in den Kalender geschrieben, eine überschaubare Anzahl, die im umgestalteten Zelt freilich nicht verloren wirkt. Gemütlich ist’s, und gemeinsam lässt sich gut Party machen.

Es dauert nicht lange, und Kay Ray weiß die Reihen hinter sich. Eine blöde Formulierung, denn sie könnte, zumindest ansatzweise, als Auftakt einer Schwulen-Pointe aus dem Programm kommen. Floskeln wie "Steilvorlage" und ähnliches sollte man deshalb auch meiden. Aber was schreiben? Plötzlich ist alles aufgeladen, mindestens zwei- und um die Ecke gedacht unüberschaubar vieldeutig. Das ist ein glattes 1:0 für den Comedian, denn der bleibt eindeutig. Ein Witz soll kein Witz sein dürfen, nur, weil er eine Minderheit betrifft? Von wegen, denkt sich Kay Ray und plaudert munter drauflos. Hier mal ein Nebensatz über Kirche, dort eine Spitze gegen Juden, ein Witz über behinderte Menschen...

Das Programm ist, so gesehen, ziemlich einfach: Provokation, Grenzverletzung, sogar die sonst so pfleglich behandelten Gastgeber kommen nicht ungeschoren davon. Dabei ist der lange verklemmte Hinweis auf Rottweiler – ja, die Hunde – dann eine harmlose Nummer, die von einem echten Vierbeiner, der regelmäßig im Biergarten Laut gibt, provoziert wird. Steilvorlage? Lieber Silbertablett.

Von denen hat Kay Ray am Donnerstagabend jede Menge selbst mitgebracht. Das Programm ist locker geknüpft aus Anekdoten, Pointen und Liedern, die aus ganz unterschiedlichen Ecken von Georg Kreisler bis Sportfreunde Stiller kommen. Das Thema ist schnell umrissen. Es geht um den Umstand, dass Niveaulosigkeit beklagt wird und das als niveaulos Akzentuierte wachsenden Beifall erhält. Kay Ray setzt den Definitionsrahmen für den "guten Geschmack", der vielleicht irgendwie mit "political correctness" und einem gewissen Maß an Niveau zu tun hat, außerhalb davon. Er erlaubt sich Gags, die würden manchen Macher einer als "niveaulos" gegeißelten Fernsehsendung wohl die Stirn in Falten legen. Nicht, weil sie zu hohen Anspruch haben, sondern weil sie – in diesem Bild – unter der tiefergelegten Gürtellinie sind. Auch dafür hat Kay Ray ein plastisches Bild: Hose runter. Dann kann man mal schauen, wie tief die Gürtellinie sein kann.

So tief rutscht sie am Donnerstag nur bedingt. Dabei gibt es sogar Action unter der Gürtellinie, und das nicht nur als übertragenes Bild, sondern in echt. Der Comedian bedient sich nicht nur beim Imbiss aus dem Publikum, sondern nutzt gerne auch Kameramaterial für Intim-Selfies. Empörung? Weshalb auch. Lacher? Laute und viele. Sie verdrängen für einen Moment auch die Frage, weshalb Tabus und wo gesetzt werden. Und so sorgt Kay Ray nicht nur für Schenkelklopfer im geschützten Raum, dass er sich selbst gerne als Zielscheibe nimmt, erleichtert das Gewissen ein bisschen, sondern entlarvt das Niveaulose als tatsächlich solches – und das Unreflektierte einer vermeintlich "normalen" (Unterhaltungs-)Konsumgesellschaft als genau das: niveaulos. Sich selbst platziert er mittendrin. Seinem Publikum erlaubt er, an diesem Abend ungefährdet ein großes Stück vom verbotenen Kuchen zu kosten. Denn der Gedanke, dass Demagogen mitunter genau gleich arbeiten, kann in dieser schrillen Show keinen Platz haben. Wenn sich doch jemand Gedanken darüber macht – um so besser.