Voll war die Stadthalle am Dienstagabend bei der Infoveranstaltung. Foto: Graner

Zweite Infoveranstaltung zur JVA in Rottweil gut besucht. Staatsrätin Gisela Erler überrascht mit Offenheit.

Rottweil - Die Bürgerinfoveranstaltung zur JVA auf dem Esch am Dienstag war bereits die zweite. Auch deshalb gibt es nicht viel Neues zu hören. Die Argumente sind bekannt. Erst Gisela Erlers Offenheit bringt Schwung in die Bude.

Fast scheint es, als habe Rottweil sich an Bürgerversammlungen gewöhnt. Zwei zum Turm, am Dienstag Abend die zweite zum Gefängnis. Initiiert von der Stadt, vorbereitet von der Begleitgruppe. Zu Beginn hält sich das Interesse an den Infoständen von Stadt, Land und Initiativen noch in Grenzen. Dann gibt es Impulsreferate von Gefängnisseelsorgern, Architekten, von Bürgerforum und -initiative "Neckarburg ohne Gefängnis" (BI).

Emotional wird dabei eigentlich nur Winfried Hecht, der sich zwar genau wie Gefängnis-Architekt Josef Hohensinn nicht an die Redezeit hält. Der aber, anders als der Österreicher, seine Zeit nicht überschreitet, weil er sich auf Details konzentriert. Sondern, weil er gleich mal zu einem Rundumschlag gegen Alfons Bürk, Projektbeauftragter der Stadt, sowie die Verwaltung (nur zwei von 16 Seiten in der allgemeinen Info-Broschüre seien "unbefriedigend", zudem hätte sich mancher gewünscht, dass sich die Stadt genauso für die Omira-Mitarbeiter eingesetzt hätte wie jetzt für die 200 Stellen, die die JVA bringen soll) ausholt. Dann kehrt er auf mehrfachen Hinweis der Moderatorin hin zu seinen Argumenten kontra Esch zurück. Als er das Mikrofon an einen Landschaftsarchitekten übergibt, läuft alles wieder in gewohnten Bahnen.

Tja, und dann kommt irgendwann Gisela Erler. Herzstück des Abends in der Stadthalle ist nämlich eine Podiumsdiskussion, in der neben der Grünen-Staatsrätin für Zivilgesellschaft und Bürgerbeteiligung Justizminister Rainer Stickelberger, Henning Theobald von der BI, Henry Rauner vom Bürgerforum Perspektiven Rottweil und Oberbürgermeister Ralf Broß zu Wort kommen.

Erneut hat Stuttgart das Duo Stickelberger/Erler geschickt, und wieder – wie schon bei früheren Besuchen in der ältesten Stadt des Landes – spricht Gisela Erler frei weg von der Leber, was ihr auf dem Herzen liegt. "Was passiert, wenn sich das Blatt gegen den Standort wendet?" Was, wenn die Rottweiler Bürger beim Entscheid am Sonntag Nein zum Esch sagen?, will Moderatorin Miriam Freudenberger von der Staatsrätin wissen. Und die ist offen: Erst ein Nein zur JVA in Tuningen, dann noch ein Nein in Rottweil? "Da fragen sich viele Leute: Wie soll denn das gehen mit der Bürgerbeteiligung?" Wie kann eine Landesregierung da überhaupt ein Gefängnis bauen?

Und sie sagt, dass das Baugesetzbuch es hergibt, hoheitliche Angelegenheiten auch ohne den Konsens der Bürger durchzusetzen. Das sitzt. Da wird es in der Stadthalle erst mal still.

Später, als sie gefragt wird, wie sie im Rückblick den Dialog und die Bürgerbeteiligungsprozess in Rottweil erlebt hat, mildert sie ihre Aussage ein wenig ab. "Dieser Prozess ist ziemlich vorbildlich, ziemlich gründlich", antwortet Erler. Wenn sie heute so emotional sei, dann, weil sie dafür stehe, dass man in Hunderten Fällen Bürgerbeteiligung hinbekomme. Gleichzeitig gehöre sie zur Landesregierung, die Entscheidungen treffen müsse. "Da bin ich auch mit dem Herzen dabei." Wenn es tatsächlich zu einem Nein komme, "dann müssen wir einen Umgang damit finden". Das sei ein Dilemma. Erler hofft freilich, dass es so weit gar nicht kommt.

Minister: Ökologie wird in Bebauungsplan berücksichtigt

Im Esch jedenfalls war sie gestern ein weiteres Mal. An Henning Theobald gerichtet sagt sie: "Du liebe Güte: Es stimmt einfach nicht, dass es von der Neckarburg aus einen relevanten Sichtbezug zum Esch gibt." Zustimmung erhält sie dafür nur von einem Teil des Publikums – auch hörbare Buhrufe erklingen.

Theobald selbst betont in der Runde, dass die BI nicht nachvollziehen kann, wie die grün-rote Landesregierung das von der UN ausgerufene "Jahr des Bodens" 2015 derart ignorieren könne. Die Schlagworte lauten unter anderem Reduzierung des Flächenverbrauchs und Erhalt der Grünflächen. "Das sind gute Vorsätze, was jetzt aber am Esch vor sich geht, ist das Gegenteil." Auch die Landwirtschaft werde missachtet, doch "ein Acker ernährt uns". Und wenn eine ausreichend große Pufferzone eingehalten werde zwischen JVA und Naturschutzgebiet, sei auf dem Esch überhaupt kein Platz mehr für ein Gefängnis. Sein Fazit: "Es verträgt sich nicht."

Justizminister Stickelberger erklärt daraufhin, es gehe darum, die unterschiedlichen Gesichtspunkte verträglich unter einen Hut zu bringen. "Das läuft auf einen Abwägungsprozess hinaus." Den angekündigten Architektenwettbewerb hält der SPD-Mann dafür für unabdingbar. Zudem würden die ökologischen Gesichtspunkte im Bebauungsplan berücksichtigt. Darüber hinaus ist Stickelberger positiv überrascht, wie sich auch Rottweiler für die JVA engagieren.

Henry Rauner beispielsweise, der als Sprecher des Bürgerforums auf dem Podium steht. Er kommt direkt nach Erlers Auftritt zu Wort, und will "die Emotionen erst mal runterbeamen". Rauner verweist auf Stuttgart 21: Bei solchen Großthemen würden die Gegner sich immer lautstark äußern, während die braven Bürger kaum zu hören seien. Das war der Grund, das Bürgerforum zu gründen, "wo wir mitreden, mitbestimmen können".

Er nennt den Kapuziner als gelungenes Beispiel und kommt auf das Thema JVA-Beleuchtung zu sprechen – eine Sorge der Bürgerinitiative. "Das mit dem Licht, Herr Theobald, da müssen wir dran arbeiten."

Botschaft an BI: Beleuchtung lässt sich dimmen

Gisela Erler hat zuvor bereits auf ihre unnachahmliche Art gesagt: "Bitte nehmen Sie zur Kenntnis, dass eine JVA nicht die ganze Nacht stark beleuchtet wird." Man könne durchaus dimmen.

Von kleinen Sticheleien abgesehen ist es das an Emotionen gestern Abend. Beim Rundgang an den Ständen entsteht der Eindruck, dass viele Bürger sich längst entschieden haben, und auf den Infoplakaten und Fotos eigentlich nicht mehr viel Neues entdecken. Bei der BI gibt es die bekannten Aufnahmen vom Esch zu sehen. Auch die Stadt wirbt mit den gewohnten Argumenten, etwa den sicheren Arbeitsplätzen. Allerdings meldet sich auch der BUND mit einem Stand zu Wort. "Natur funktioniert nicht nach Amtsstubenregeln und Technokratenhirnen!" heißt es da unter anderem. Die Esch-Gegner sind an Warnwesten gut zu erkennen, zudem haben sie vor der Halle ihre Folie gehisst, die die Höhe der Gefängnismauer markiert. Und eine kleine Gruppe empfängt Minister Stickelberger mit einem Schild "Hände weg vom Esch".

Auch der OB, der bei der Podiumsdiskussion das letzte Wort hat, betont, die Standpunkte seien klar. "Ich würde mir wünschen, dass am Sonntag viele Rottweiler zur Urne gehen", sagt Ralf Broß. Der erste Bürgerentscheid in der Stadt sei ein historischer Vorgang. Es gehe nicht nur um ein Ja oder Nein zur JVA, sondern um die Frage: "Entwickeln wir unsere Stadt oder verharren wir im Status quo?" Und Erlers Lob zur Bürgerbeteiligung wolle er an alle Beteiligten weitergeben.

Bei einem Ja zur JVA, versprach er, werde es ein weiteres Beteiligungsverfahren geben. "Wir reichen ihnen da die Hände." Wenn es so weit tatsächlich kommt, hätten Gisela Erler und ihrer Stuttgarter Kollegen eine große Sorge weniger.

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