Psychiatrisches Gutachten im Prozess um Mutter-Mord nicht-öffentlich

Von A. Lothar Häring

Rottweil/Tuttlingen. Wie konnte es so weit kommen, dass ein 35-jähriger Tuttlinger seine Mutter auf brutale Weise ersticht? Darauf sollte Ralph-Michael Schulte, der psychiatrische Gutachter, am Dienstag, dem vierten Verhandlungstag vor dem Landgericht Rottweil, Antworten geben, die diesen Prozess wohl entscheiden. Doch die interessierte Öffentlichkeit muss rätseln: Das Gericht schloss Journalisten und Zuhörer aus.

Dabei hatten weder Verteidiger Bernhard Mussgnug noch Staatsanwältin Isabel Gurski oder Anwalt Peter Rusch, der die Schwester der Toten und Nebenklägerin vertritt, Bedenken. Doch dann erhob der Beschuldigte selbst Einspruch. Er wolle sich "nicht durchleuchten lassen", sagte er.

Karl-Heinz Münzer, der Vorsitzende Richter, begründete den Beschluss damit, dass der psychische Zustand des 35-Jährigen "intensiv erörtert" werde, dass "höchstpersönliche Lebensumstände und Details aus der Intimsphäre zur Sprache kämen und dass eine öffentliche Diskussion die Chancen einer Resozialisierung erheblich mindern würde. In der Konsequenz, so entschied das Gericht, werden auch die Plädoyers nicht-öffentlich stattfinden.

Dennoch: Der Dienstag vermittelte Eindrücke davon, wie der junge Mann in den Wochen vor der Tat am 12. Dezember 2014 aufgrund seines exzessiven Alkohol- und Drogenkonsums immer mehr in einen Ausnahmezustand mit Wahnvorstellungen geriet. Ein im Gerichtssaal vorgespieltes Video zeigt ein Gespräch mit der Mutter. Sie redet ruhig und eher sanft auf ihn ein, fragt, wieso er sich so komisch bewege und verhalte, was er genommen habe. Als er antwortet, "ein Bier", verliert die Mutter die Geduld. "So brauchst du mich nicht anzulügen", sagt sie empört, "das ist der Hammer".

Nachdem er sein Studium in Kassel mit dem Bachelor erfolgreich abgeschlossen hatte, kam er im Frühling 2014 zurück ins Kinderzimmer nach Tuttlingen. Er glitt immer mehr in den Drogensumpf ab. Da nützte es auch nichts, dass ihm seine Mutter Geld zuschob und ihm eine Wohnung In Aspen kaufte, in die er im November einzog. Alle Zeugen berichteten, wie akkurat er diese Wohnung aufgeräumt und sauber gehalten habe.

Sich selber aber vernachlässigte er völlig. Bewerbungen schob er hinaus, verlor den Halt, landete binnen weniger Wochen in Hartz IV und bezog monatlich rund 800 Euro. "Er hatte fast jedes Wochenende einen Filmriss", berichtete ein Kumpel. Gut eine Woche vor der Tat zeigte sich ein weiterer Bekannter erschrocken über seinen Zustand, verglich ihn mit "Slow Motion", weil er sich so langsam bewegte und sprach. Ein anderer Gleichaltriger stellte am Ende gravierende Veränderungen fest: "Er wirkte verloren und depressiv."

Keiner der Freunde wusste in all der Zeit von einer Freundin. Ein Vietnamese, der mit dem Tuttlinger während des Studiums in einer Wohnung lebte, sagte: "Er war kein böser Mensch." Er habe sich hilfsbereit gezeigt, alles sauber gehalten, sich aber weitgehend abgekapselt. Nach seiner Aussage fragte der junge Vietnamese, ob er sich von seinem Ex-Kommilitonen verabschieden dürfe. Er bekam die Erlaubnis, ging zur Anklagebank, gab die Hand und wünschte dem Angeklagten alles Gute.

Mit dem vierten Verhandlungstag ist die Beweisaufnahme beendet. Die Plädoyers finden am kommenden Mittwoch ab 9 Uhr statt. Um 15 Uhr will das Gericht das Urteil verkünden. Karl Heinz Münzer, der Vorsitzende Richter, ging am Dienstag noch einmal auf die Besonderheit dieses Verfahrens ein: Es handle es sich nicht um einen üblichen Strafprozess, sondern um ein Sicherungsverfahren. Das gehe von vorneherein davon aus, dass der mutmaßliche Täter schuldunfähig sei. Ziel sei es, ihn weiterhin in einem Zentrum für Psychiatrie und nicht im Gefängnis unterzubringen.