In seinem zweiten Leben lenkt Frank Weniger den Blick aufs Wesentliche. Foto: Weniger

Göllsdorfer Frank Weniger schreibt über seine Krankheit und das kränkelnde Schulsystem.

Rottweil-Göllsdorf - Frank Weniger hat zwei Leben: eines vor und eines nach der Diagnose Hirntumor. Über beide und seine Reise mit dem Tod hat er ein Buch geschrieben.

Frank Wenigers zweites Leben dauert bisher rund 21 Monate. 21 Monate, in denen sich alles verändert hat. Als Leiter einer Grundschule, als langjähriger Vorsitzender der Lebenshilfe in Rottweil und als engagierter Kommunalpolitiker stand er in der Öffentlichkeit. In seinem ersten Leben. Am 16. Februar 2015, dem Fasnetsmontag, ging es zu Ende. Damals erhielt er die Diagnose "Hirntumor". Seither ist für den Göllsdorfer alles anders geworden. Er musste und wollte sein Leben ändern. Jetzt hat Frank Weniger ein Buch geschrieben: "Der Tod reist mit. Autobiografie zweier Leben."

Vor knapp einem Jahr machte Weniger seine schwere Krankheit öffentlich. Damals war es ein Versuch, Gerüchten entgegenzutreten. "Ich hatte genug mit meiner gesundheitlichen Lage zu tun, da wollte ich mich nicht auch noch mit wabernden Gerüchten belasten", schreibt er darüber. Das ist mit ein Grund, warum Frank Weniger nun seine Autobiografie geschrieben hat. "Die Öffentlichkeit ist schwerer zu ertragen als die Chemo", sagt er. Er meint auch neugierige, aufdringliche Nachfragen zu seiner Krankheit. Und Nachbohren, wie viel Zeit ihm denn noch bleibe. "Dann können wir gleich reinen Tisch machen. Dann weiß jeder alles."

Und so ist es: Gleich zu Beginn schildert er den Moment, in dem er und seine Frau Hannelore die Diagnose erhalten. Es ist der Hauptgrund, zu schreiben. Völlig unerwartet, nach heftigen Kopfschmerzen zwei Tage zuvor, teilt ihnen der Arzt damals mit, dass der Göllsdorfer einen aggressiven, schnell wachsenden Hirntumor habe. Und er sagt noch mehr: "Ein Jahr, vielleicht 15 Monate, eventuell eineinhalb Jahre." So viel Zeit habe Weniger laut Statistik mit dieser Diagnose noch. Vielleicht seien es auch drei Monate mehr, "aber ob sie das letzte Vierteljahr noch erleben wollen?". Das Ehepaar treffen diese Worte wie ein Schlag.

Seither zählt Frank Weniger die Monate. Bis heute. Medizinisch habe der Mann recht gehabt, menschlich lag er völlig daneben. "Ab einem Jahr denken sie jeden Tag: Ist morgen der Tag?", erzählt Frank Weniger. Am 1. Tag des 17. Monats, das war im Juni, habe er beschlossen, alles aufzuschreiben. "Bis zur Erschöpfung" sei er jeden Tag am Computer gesessen.

Im Detail berichtet er von der Operation am offenen Gehirn, während der er immer wieder bei Bewusstsein war. Der Tumor hatte das Sprachzentrum befallen. Damit die Ärzte wussten, dass sie keine gesunden Zellen entfernen, musste ihr Patient sich mit ihnen unterhalten. Und Frank Weniger schreibt offen über die Auswirkungen seiner Operation. Schildert, wie schwer es ihm fiel, mit kahlem Schädel vor die Tür zu gehen, beschreibt die Achterbahnfahrt seiner Gefühle, und dass er seine Arbeit schließlich doch aufgeben musste, weil es nicht mehr ging.

"Ich bin ganz normal in Rente. Ich bin nicht im Krankenhaus", sagt Frank Weniger. Das gibt ihm auch eine neue Freiheit. Jetzt darf der Pädagoge Dinge über seinen Beruf sagen, die er im aktiven Dienst so nicht hätte formulieren können. Dinge wie: Das Bildungssystem kränkelt an allen Ecken und Enden. Oder dass er sich nicht noch einmal für den Lehrerberuf entscheiden würde. Das sitzt, erst recht bei einem, der seine Grundschule mit Herzblut geleitet hat.

Frank Weniger kritisiert, dass für das Kerngeschäft, den guten Unterricht, immer weniger Zeit bleibe. Er moniert Doppelstrukturen und falsch verstandene Inklusionsbemühungen. Und er beklagt, dass es an Lehrern fehlt, weil der Beruf für Männer nicht mehr attraktiv ist.

Ein Exemplar seines Buches hat Weniger an das Kultusministerium geschickt. Wie offen und ausführlich die Rückmeldung ausgefallen ist, hat auch ihn überrascht.

Mit der Krankheit haben sich die Prioritäten verschoben. Jetzt "scanne" er alles ab, was ihn umgebe. Und er "prüft, was wirklich wichtig ist und was man für wichtig gehalten hat". Etwa das Verhältnis des 62-Jährigen zu dem Begriff Genuss. Vom Wohnmobil und dem roten Cabrio, einem gerade erfüllten Lebenstraum, haben die Wenigers sich getrennt. Zum zweiten Leben passe weder das eine noch das andere. Auch allgemeines Gejammer über unsichere Zustände nicht: Seine Generation kenne Unfrieden doch nur im privaten Umfeld. "Wir genießen Sicherheit", findet Weniger. Und die Freiheit das zu tun, was anderen nicht schadet.

Bei aller neu gewonnenen Freiheit des zweiten Lebens weiß Frank Weniger: Die Krankheit ist unheilbar, auch wenn es ihm gerade gut geht. Der Tumor wird zurückkommen. Mitleid möchte der 62-Jährige nicht. "Das Buch handelt vom Tod", sagt er. "Aber es steckt unendlich viel Leben drin. Und so fühl’ ich mich auch."

Das Buch: Frank Weniger "Der Tod reist mit. Autobiografie zweier Leben", 207 Seiten, 10,90 Euro, erhältlich über den Autor

Bei Lese- und Gesprächsabenden stellt Frank Weniger sein Buch vor. Der erste findet am Mittwoch, 16. November, ab 19 Uhr im katholischen Gemeindesaal in Göllsdorf, Ferdinand-Reitze-Weg 4, statt. Der Eintritt ist frei. Weitere, beispielsweise in der Uniklinik Tübingen, sind geplant.