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Diffizilen Vorarbeiten für das Anbringen der Fassade sind bald abgeschlossen. Einweihung im Oktober. Mit Kommentar

Rottweil - Die Durststrecke am Testturm scheint überwunden: Die diffizilen Vorarbeiten für das Anbringen der Fassade sind bald abgeschlossen. Ende Juni soll die Stahlrohrkonstruktion angebracht werden. Mitte Juli folgt die Einkleidung. Die Einweihung ist weiterhin für Oktober geplant.

Atlético Madrid, das spanische Topteam, das in seinen Partien üblicherweise hoch emotional zu Werke geht, wird sich ab dem Sommer in einem neuen Stadion mit den besten Mannschaften Europas wieder Fußballschlachten liefern. Das Dach der neuen Fußballarena in der spanischen Hauptstadt wird mit einer hochwertigen Membran überspannt werden. Sie wird eine Fläche von rund 80.000 Quadratmetern haben. Die ausführende Firma: Taiyo Europe.

Diese Firma hat in den vergangenen Monaten auch eine Schlacht geschlagen. Nicht auf dem Fußballfeld, nicht in Spanien. 1300 Kilometer Luftlinie ist der Ort entfernt: Es ist das beschauliche Rottweil. Der Spezialist für textile Architektur ist in der Welt tätig, doch hier, auf dem Berner Feld, hat die Firma eine neue Grenzerfahrung gemacht.

Die sich nach oben drehende Umhüllung des Testturms von Thyssen-Krupp Elevator hat sich als größeres Problem herausgestellt als zunächst angenommen. Noch im September vergangenen Jahres hatte es geheißen, dass mit der Montage der Membran demnächst begonnen werden könne. Im Mai wollte Thyssen-Krupp Elevator die Eröffnung feiern. Die Bauarbeiten haben sich indes in die Länge gezogen. Die Eröffnung musste verschoben werden.

Jetzt, nach monatelanger Vorarbeit, Zeiten planerischer und konstruktiver Strapazen und etlichen Krisengesprächen, löst sich die Anspannung der Verantwortlichen: Im Gespräch mit dem Schwarzwälder Boten erläutern Thomas Glunk, Oberbauleiter des Generalunternehmens Züblin, Hardy Stimmer von GSS Real Estate, dem Bauherrn, und Frank Höreth, Leiter Projektmanagement bei Taiyo Europe, mit welchen Problemen Planer, Techniker und Konstrukteure in den vergangenen Monaten zu kämpfen hatten.

Die Arbeitsplattform: eine Maßanfertigung, die es noch nirgends gibt. Die Stahlkonstruktion: weltweit einzigartig.

Der Turm hat es seinen Erbauern noch nie einfach gemacht. Die Betonhülle in Gleitschaltechnik zu erstellen, war ein Wagnis. Andere haben es auch versucht und sind gescheitert. Nicht so in Rottweil. Die Firma Bitschnau aus Österreich hatte sich der heiklen Aufgabe gestellt. Und sie hat es geschafft, wenngleich mehrere verzwickte Situationen zu meistern waren. Der Turm – eben ein Novum.

Und nun die Außenhülle. Allein das Vermessen des Turmes, um die Fixpunkte für die sich windende Stahlkonstruktion zu lokalisieren, erwies sich als beinahe so schwierig wie das Festnageln eines Puddings an die Wand. Der Turm kann einfach nicht ruhig stehen bleiben: Er wankt je nach Windstärke und er krümmt sich je nach Sonneneinstrahlung. Er ist also ständig in Bewegung.

Wie bei allem, das zum ersten Mal geplant, konstruiert und gebaut wird, ist nicht gleich die erste Idee die beste. So hatte der Membranspezialist zunächst vor, eine Montageplattform mit 20 Meter hohen Außenwänden an Stahlseilen hängend für den Bau der Hülle einzusetzen. Das funktionierte nicht, die Plattform war zu windanfällig, damit zu unsicher. Sicherheit geht vor, betonen Stimmer, Höreth und Glunk. Also wurde umgeplant.

Die jetzige Montageplattform klebt am Turm, sie bewegt sich auf drei Triebstockschienen hoch und runter. Sie ist sicher, flexibler und schneller als die vorige Lösung. Ein Meisterwerk der Ingenieurskunst. Aber sie kostete eben auch mehr Zeit – allein schon die Behördengänge – und Geld. Zu den technischen Herausforderungen gesellte sich ein extrem langer Winter mit vielen Tagen, an denen die Temperatur unter minus zehn Grad betrug. Kein Wetter für den Hochbau.

Sie haben sich durch alle diese Probleme gekämpft. Herzblut ist das, was die Firmen und ihre Mitarbeiter neben tausenden Schrauben für die Ankerplatten in dieses Bauwerk steckten.

Dabei werden im Inneren des Turms schon seit Monaten Hochgeschwindigkeitsaufzüge getestet. In zwei Wochen wird in Rottweil die neue Aufzugstechnik Multi vorgestellt. Sie soll die Personenbeförderung in Gebäuden revolutionieren. Auch das: ein Novum. Und sicherlich hoch emotional.  

So geht es weiter: Noch zwei Wochen lang werden die restlichen die Halteschienen für die Montageplattform angebracht, Ende Juni werden die ersten Stahlrohre montiert. Die ersten Membranfelder sollen ab der zweiten Julihälfte befestigt werden. Begonnen wird ganz oben. Bis Mitte, Ende September soll die Außenhülle fertiggestellt sein. Die Einweihung ist für Anfang Oktober geplant.

Info: Hülle in Zahlen

Die Fassade besteht aus 91 Spiralrohren und 18 Mittelrohren

Die einzelnen Stahlrohre sind 18 Meter lang.

Die Rohre des Kapuzenbereichs sind zwischen zwei und 20 Meter lang

Es gibt 72 Stück Membranfelder

Der Stahl der Fassade wiegt rund 321 Tonnen

Die Membrane wiegt rund 22 Tonnen

Zur Verankerung der Fassade wurden 1148 Stück Ankerplatten an insgesamt 5854 Dübeln gehängt

Die Montagefähre wiegt 113 Tonnen

Kommentar: Hut ab!

Von Armin Schulz

Wie schnell man sich an Erfolg gewöhnen kann. Der Testturm von Thyssen-Krupp Elevator auf dem Berner Feld in Rottweil hatte zu Beginn einen hohen Verwöhnfaktor. Alles lief wie am Schnürchen, technische und konstruktive Hürden wurden scheinbar mühelos genommen. Man konnte dem Turm beim Wachsen auf 244 Meter Höhe zusehen. Das löste bei Bauherr, beteiligten Firmen, Stadtverwaltung und Besuchern Begeisterungsstürme aus.

So hätte es weitergehen können. Ging es aber nicht. Das lag daran, dass der Bau der einzigartigen Außenhülle Planer und Ingenieure vor noch größere Herausforderungen stellte. Das zehrte an den Nerven. Den einen lief die Zeit davon, den anderen die Kosten, die Stimmung war am Boden. Jetzt haben sie sich zusammengerauft. Auch das ist eine nicht zu unterschätzende Leistung. Wie das gesamte Bauwerk. Hut ab.